Vier und Dreyssigstes Kapitel.

[328] Wie wir zu dem Orakel der Boutelge kamen.


Unter fröhlichem Schein und Fürtritt unsrer edeln Frau Latern kamen wir zu dem ersehnten Eiland, wo das Boutelgen-Orakel war. Panurg dreht' sich zum Willkomm munter auf einem Bein in der Luft herum, und sprach zum Pantagruel: endlich haben wirs heut, was wir mit so viel Müh und Plagen suchen! – Befahl sich dann höflich unsrer Latern, die uns die beste Hoffnung gab und uns, was auch erscheinen möcht, vor nichts zu fürchten anbefahl.

Auf unserm Weg zum göttlichen Boutelgen-Tempel mußten wir durch einen grossen Weinberg wandern von Reben aller Art, Falerner, Malvasier, Muskateller, Taggia, Beaulne, Mirevaulx, Picardent, Orleans, Arbois, Coussy, Anjou, Grave, Corsika, Vierron, Nerac, und andrer; welcher Weinberg einst vom werthen Bacchus selbst gepflanzt und dergestalt gesegnet war, daß er zu allen Jahreszeiten Blätter, Blüthen und Früchte trug, wie die Surainer Orangenbäume. Auf Befehl unsrer Pracht-Latern mußten wir jeder drey Weinbeeren essen, unsre Schuh mit Weinlaub füllen, und einen grünen Zweig in die linke Hand nehmen. Am End des Weinbergs kamen wir durch einen alten Siegesbogen, woran sehr artige Trophäen der Zecher insculpiret waren, nämlich in einer langen Zeil, Flaschen, Kanuten, Bullen, Fiolen, Eimer, Ohmen, Schoppen, Schöppel, alterthümliche Mälterlin an einem schattigen Laubgurt hangend: in einer andern, Knoblauch, Zwiebeln die Hüll und Füll, Chalotten, Schunken, Botargen, geräucherte Ochsenzungen, Parodellen, alter Käs und solch Confekt die Meng, mit Weinlaub geschickt durchflochten und in Ranken sehr künstlich bündelweis verzirkt. In einer dritten hundert Sorten Gläser, zu Fuß, und Gläser zu Roß, Kufen, Bumper, Humpen,[329] Kummen, Peuschel, Becher, Bohlen, Zolken und mehr derley bacchantisches Geschütz. Vorn an der Front des Bogens unter den Zoophoren stunden die beyden Verslein angeschrieben:


Wer über diese Schwellen tritt,

Der bring ein gut Laternlein mit.


Damit sind wir versehen, sprach Pantagruel; in ganz Laternien muß keine beßre, himmlischere Latern als unsre seyn! – Der Bogen führt' uns in einen schönen hohen Laubengang von lauter Reben, die voller Trauben von viel hundert verschiedenen Farben und Formen hingen, nicht von Natur so, sondern durch die Kunst der Feldwirthschaft erzielt; gelb, blau, braun, lohfahl, weiß, schwarz, grün, azuren, violett, bunt, rund, gestreift, gesprenkelt, länglich, zackig, buschbartig, hodenknotenartig. Den Grund des Laubenganges schlossen drey alte Epheustämm, frisch grünend und voller Träublein. Davon mußten wir uns jeder auf Befehl unsrer erlauchtigsten Latern, einen Albanischen Spitzhut machen und ganz damit das Haupt bedecken. Wie auch sofort geschah. – Wohl schwerlich, sprach hier Pantagruel, wär weiland Jupiters Priesterinn durch dieses Reb-Dach mit gegangen? – Ihr Grund, sprach unsre strahlende Latern, war mystisch, denn sie hätt, wenn sie hiedurch gegangen wär, den Wein (die Trauben nämlich) überm Haupt gehabt und von dem Wein gleichsam beherrscht und bemeistert erschienen; anzudeuten daß die Priester und wer überhaupt nach göttlicher Erkenntniß strebt, den Geist ganz still und unverwirrt durch Sinnenstörung sich erhalten und wahren soll: welche Störung die Trunkenheit viel deutlicher als jede andre Leidenschaft, wie sie auch heisse, offenbaret.

Auch würdet ihr, die ihr hiedurch gegangen seyd, den göttlichen Boutelgen-Tempel nimmer schauen, wenn nicht die edle Priesterinn Bakbuk das Weinlaub in euern Schuhen säh; als welches ein dem erstern e diametro widersprechender Actus, und offenbares Merkmal ist daß ihr den Wein verachtet, ihn euch unterwerft und mit Füßen tretet. – Ich bin, sprach Bruder Jahn, zwar kein Studirter, das mir leid ist, aber aus meinem Brevier erseh ich doch, daß in der Apokalyps ein wunderlich Weib am Himmel erschienen ist,[330] die mit den Füssen auf dem Mond stund! was, wie mir Bigot explizirt', bedeuten sollt daß sie nicht von der andern Weiber Art wär, die den Mond gemeinlich umgekehrt in den Köpfen haben, mithin stets mondhirnig und lunatisch sind. Derhalb ich sehr geneigt bin euch zu glauben, Frau Latern, mein Schatz.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 328-331.
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