Zwanzigstes Kapitel.

[282] Wie die Quintessenz ihre Kranken mit Liedlein heilt'.


In der zweyten Galleri wies uns der Hauptmann die junge Dam', obwohl sie mindestens schon achtzehnhundert Jahr zählt', schön, galant, stolz angethan, in Mitten ihrer Kammerzofen und Cavalier. Und sprach der Hauptmann zu uns: Itzo ist nicht Zeit sie anzureden; bleibt nur fein still und merkt auf alles was sie thut. Bey euch habt ihr in manchen Landen Könige, die euch phantastischerweis durch bloses Handauflegen von allerley Gebrechen heilen, als da sind: Kröpf, fallende Sucht, Quartanfieber. Unsre Königinn heilt jede Krankheit ohn daß sie die Kranken anrührt, sondern spielt ihnen nur, nach Beschaffenheit ihrer Uebel, ein Liedlein für. – Und wies uns dann auch die Orgel auf welcher sie die wunderbaren Curen verrichtet. Die war von ganz besondrer Art: die Pfeifen nämlich aus Fistel-Cassien, die Windlad aus Franzosenholz, die Tasten aus Rhabarber, das Pedal aus Turbith, und das Klavier aus Scammonium.[282]

Während wir noch dieß neue Wunder von Orgelwerk betrachteten, da führten ihre Abstractoren, Spodizatoren, Massiteren, Tabachinen, Chachaninen, Neemaninen, Raberbanen, Nerzinen, Pregusten, Rosuinen, Nedibinen, Tearinen, Sagamionen, Peraronen, Chesininen, Soteinen, Sarinen, Aboth, Enilinen, Archasdarpeninen, Giburinen, Mebinen und andres Hofgesind, die Aussätzigen ein; sie spielt ihnen ein Liedlein, ich weiß nicht wie's ging, und waren plötzlich vollkommen genesen. Dann kamen die Vergifteten; ein andres Liedlein; und die Leut frisch wie die Fisch: darnach die Blinden, Tauben, Stummen, Recipe ut supra. Was uns, nicht mit Unrecht, dermaasen wunder nahm, daß wir zu Boden fielen, vor Exstas und überschwenglicher Verzückung in Staunen und Beschaulichkeit der Tugenden die wir der Dam' entquillen sah'n, uns ihr zu Füßen prosternirend. Auch nicht ein Wörtlein vorzubringen vermochten wir und blieben so im Staube liegen. Bis sie mit einem schönen Strauß von edeln Rosen, den sie trug, Pantagruelen berührend auf die Bein, und uns zur Besinnung bracht. Worauf sie dann in Byssus-Worten, von der Art wie Parisatis mit ihrem Goldsohn Cyrus wollt geredet wissen, oder doch zum mindesten mit karmesinatlaßnen, zu uns sprach wie folgt:

Die in Peripheria funkelnde Ehrlichkeit Eurer Person ist mir ein sichres Merkmal der im Ventro eurer Seelen tief verborgnen Tugenden, und bewegt mich in Betracht der mellifluosen Süssigkeit eurer beredten Verneigungen, unschwer zu glauben: euer Herz sey rein von allen Lastern wie von jedem Miswachs liberaler und hocherhabner Wissenschaft; vielmehr an vielen auserlesnen und seltnen Künsten abundant;[283] dergleichen man itzund, den Sitten des unverständigen Haufens nach, wohl eher wünschen als finden möcht. Derhalb dann Ich, wiewohl vorlängst aller besondern Affection obsiegend, mich itzo nicht entbrechen kann euch das gemeine, verbrauchte Pöbelwort der Welt: Seyn's schön, zum schönsten, ja allerschönstens willkommen! hiemit zuzurufen. –

Du, ich bin kein Studirter, sprach heimlich Panurg zu mir; antwort ihr doch, wenn du wilt! – Aber ich antwort auch nicht, Pantagruel desgleichen nicht, und blieben all stockstumm. Da sprach die Königin: Aus dieser eurer Schweigsamkeit erkenn ich nicht nur daß ihr aus den Schulen des Pythagoras abstammt, in welchen Wurzel treibend meiner Ahnherrn alter Stammbaum in successivischer Fortpflanzung entsprossen; sondern daß ihr auch in Aegypten, der verborgensten Philosophi berühmter Werkstatt, seit manches Monds Rückläufigkeit euch die Nägel zerkaut und mit Einem Finger stark in den Köpfen gekrauet habt. In des Pythagoras Schulen war Stummheit des Wissens Symbolum, und unter den Aegyptiern galt Schweigen für ein göttliches Lob; wie dann in Hieropolis die Priester ihrem grossen Gotte stillschweigend opferten ohn alles Geräusch noch lautes Wort. Mein Fürsatz ist: gegen euch nicht Privation des Dankes zu verschulden, sondern mittelst lebendiger Förmlichkeit, und wenn auch die Materi gleich sich von mir abstrahiren wollt, euch meine Gedanken zu exzentriren.

Nach diesen Reden richtet' sie das Wort an ihre Kämmerling, und sprach zu ihnen weiter nichts als: Tabachiner, in Panacäa! Auf dieses Wort ersuchten uns die Tabachiner Ihre Hoheit zu excusiren wenn wir nicht bey ihr an Tafel kämen, weil sie zum Mittagsbrod nichts äß als etliche Kategorias, Emnin, Dimion, Intentiones secundas, Abstrartiones, Jekabot, Harborin, Chelimin, Karadoth, Antitheses, Metempsychoses und Prolepses transcendentales.[284]

Führten uns dann in ein kleiner Gemach mit tausend Schrecken ausmöblirt. Da regalirt man uns! Gott weiß wie! Man sagt daß Jupiter auf das diphtherische Fell der Geiß die ihn in Kandien säugt', das er als Schild im Titanen-Krieg trug, (denn davon hieß er Aegiuchus) alles was in der Welt geschieht, aufschreiben soll. Nun dann, ihr Zecher und lieben Freund', dieß schwör ich euch bey meinem Bart: auf achtzehn Geißhäut brächt man nicht all die guten Bissen und Zwischenessen die man da auftrug, den stolzen Schmaus der uns zu Theil ward, wenn man auch so kleine Schriften dazu nähm als Cicero die Ilias Homeri will gesehen haben, in einer Nußschaal. Wenigstens ich meines Orts, und wenn ich hundert Zungen, hundert Münder, eine Stimm von Eisen und des Plato honigtriefende Copiam hätt, ich könnt euch in vier Büchern davon noch nicht das Drittel eines Zwotels beschreiben. Und zwar sprach zu mir Pantagruel, soviel er dächt, hätt wohl die Dam', als sie vorhin zu ihren Tabachinern sprach: In Panacé, ihnen damit das Symbolum zu fürstlichem Traktament gegeben. Wie auch Lukullus, wenn er seine Freund' aufs best bewirthen wollt, Im Apollo! zu sagen pflegt', obschon sie ihn, (wie jezuweilen Cicero und Hortensius,) unvorbereitet überfielen.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 282-285.
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