Dem günstigen Leser

Gruß und Frieden in Jesu Christo.

[366] In Erwägung unzähliger Misbräuch auf Anlaß einer ganzen Hetz Prognosticorum eingerissen, wie mans zu Löwen unterm Schatten der Weinflasch ausheckt, hab ich euch itzt eine der wahrhaftigsten und sichersten exkalkuliret die je ersehn ward, wie es euch wohl die Erfahrung lehren wird. Denn, wie der König und Prophet im fünften Psalm zu Gott spricht: Du bringst um die Lügner; ists zweifelsohn kein klein Vergehen, mit Wissen und Willen zu lügen und die armen Leut zu äffen, die so begierig nach neuer Zeitung, wie die Franzosen sonderlich zu allen Zeiten gewesen sind: dieß meldet uns schon Julius Cäsar in seinen Commentariis, und Jan von Gravot in Mythologiis Gallicis. Wir könnens auch noch alle Tag in Frankreich sehen, wo stets die erste Frag die man an frisch ankommende Leut thut, ist: Was neues? was guts Geschreyes? Bringt ihr kein Zeitung? Was sagt man guts? Wie stehts in der Welt? Und sind so gar erpicht darauf, daß sie auch oft auf Einen zörnen der, wenn er aus fremden Landen kommt, ihnen nicht ganze Hocken voll Zeitung mitbringt, ihn einen dummen Esel und unerfahrnen Tropfen schelten. Wenn sie nun aber eben so leicht und noch leichter glauben was ihnen erzählt wird, als sie darnach zu fragen eilen: sollt man dann nicht auf die Grenzen des Reichs glaubwürdige Leut besolden und stiften, die weiter keine Verrichtung hätten als daß sie alle neue Zeitung die man da einbrächt, visitirten und wohl erforschten was dran wahr wär? Ey wohl, dieß sollt man! und so hats auch mein lieber Herr[366] Pantagruel in seinem ganzen Land Utopien und Dipsodien eingeführt, und sich dabey so wohl gestanden und seine Staaten in Flor gebracht, daß sie itzt nicht geschwind mehr gnug drinn trinken können, sondern ihren Wein an die Erd müssen laufen lassen, wenn ihnen nicht von anderwärts getreue Hülfe guter Schlucker und fröhliger Gesellen zusteht. Derhalb nun, aller guten Kunden Neugier zu stillen, hab ich alle Archiv des Himmels durchgewälzt, die Mond-Quadraten kalkuliret, entstöpselt alles was von jeher alle Astrophili, Uranopeter, Hypernephilister, Ombrophori und Anemophylaces ersonnen, über alles mit Empedokles (der sich zu Gnaden euch empfiehlt) berathschlagt, und das Tu autem der Sach in wenig Kapitel zusamen summiret: betheuernd: ich sag nichts davon als was ich davon denk, und denk was dran ist; dran ist aber, nach strenger Wahrheit just soviel als ihr itzunder lesen werdet. Was drüber geht, das schwing man ein Paar Mal rips raps durchs große Zwittersieb: vielleicht triffts ein, vielleicht auch nicht. Eins aber warnen muß ich euch: wo ihr mir nicht fein alles glaubt, so reißt ihr mir einen schlimmen Zoten; dafür ihr hie oder anderswo werd einmal übel gezüchtigt werden. Das Kantschuhsüppel mit Ochsenziem wird man auf euern Rücken nicht sparen: dann schnappt nach Luft so lang ihr wollt, wie Fisch'; denn es wird Mancher schwitzen in seinem Pelz, das sag ich euch, wenns der Calfakter nicht verschläft. Wohlan! ihr lieben jungen Kindlein, putzt euch die Nasen, und ihr alten Grieskrämer spannt die Brillen ein, und wägt mein Wort' wie Seckel Goldes, nach dem Gewicht des Heiligthums.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 366-367.
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