Drittes Kapitel.

[42] Wie Pantagruel von seinem Vater Gargantua einen Brief erhielt, und auf was sonderbare Art man aus fremden und entlegenen Ländern in kurzem Zeitung haben kann.


Während Pantagruel mit dem Einkauf der fremden Thier beschäftigt war, vernahm man von dem Molo her zehn Falkonet- und Böllerschüß, nebst fröhligem und lautem Zuruf von allen Schiffen. Pantagruel wandte sich nach dem Hafen, und sah daß es von den Celoken seines Vaters Gargantua einer war, namens Chelidon: weil an dem Hintertheil desselben eine Meer-Schwalb aus korinthischem Erz erhaben sculpirt war. Dieß ist ein Fisch so groß als ein Loir-Aesch, ganz fleischig, ohn Schuppen, hat knorpliche Flügel nach Art der Fledermäus, sehr lang und breit, damit ich ihn öfters klafterhoch über dem Wasser, weiter denn einen Bogenschuß hab fliegen sehen. Zu Marseille heißt er Lendole. So war dann auch dieß Schiff so flink als eine Schwalb, man dacht es flög mehr überm Meer, denn daß es schwömm. Auf selbigem war Malicorn, Fürschneider des Gargantua, von ihm ausdrücklich abgesandt nach dem Befinden und Wohlergehn des guten Pantagruel seines Sohnes sich zu erkund'gen, und ihm sein Creditiv zu bringen.[42]

Pantagruel, nachdem er ihm die kleine Accollad er theilt und freundlich mit dem Barret begrüsset, frug eh er noch den Brief eröffnet und weiter mit ihm ein Wort gewechselt, den Malicorn: Ist Gosal mit euch, der himmlische Bot? – Ja, antwort er, hie unterm Tuch ist er, im Körblein. Dieß war eine Taub', entnommen aus dem Taubenschlag des Gargantua, wo sie zur Zeit der Abfahrt des Celox über ihren Eyern saß. Wär dem Pantagruel nun ein Unglück zugestossen, so hätt er ihr eine schwarze Schnur um die Füß gebunden: weil ihm aber alles ganz wohl und nach Wunsch ergangen, band er ihr, nachdem er sie aus dem Tuch erlöst, ein Bändlein von weissem Tafft um die Füß und ließ sie ohn allen weitern Verzug sogleich frey in die Luft entfliegen. Die Taub alsbald griff aus, und fuhr mit unglaublicher Schnelligkeit dahin; wie ihr denn wißt, es kommt kein Flug den Tauben bey, wenn sie just Eyer oder Junge haben; wegen des brünstigen Triebes den die Natur in sie gelegt hat, ihren Täublein zuzueilen und beyzustehn. Also daß sie in noch nicht zwo Stunden den langen Weg durch die Luft vollbracht, zu dem der Celox mit äusserster Eil, mit Rudern und Segeln und steifem Wind im Gransen, drey Tag und drey Nächt gebraucht hätt. Und sah man sie wieder zum Taubenschlag, mitten ins Nest ihrer Jungen einziehn. Wie nun der biedre Gargantua hört' daß sie das weisse Bändlein trüg, ward er gar fröhlig und getrost ob seines Sohnes Wohlergehen.

Solches war der Brauch der Edeln Gargantua und Pantagruel; wenn sie in einem bang ersehnten und angelegen dringendem Fall schleunige Zeitung zu haben wünschten, als wie vom Ausgang einer Schlacht, zu Land oder Meer, Entsatz oder Einnahm einer Festung, vom Austrag wichtiger Händel, glücklicher oder unglücklicher Niederkunft einer Königinn oder hohen Frau, Tod oder Besserung ihrer kranken Freund und Bündner, und was sonst vorfiel – nahmen sie den Gosal und liessen ihn über Post von Hand zu Hand an den Ort hin tragen, von wo sie Zeitung begehreten. Der Gosal, wenn er, dem Stand der Ding nach, ein schwarz oder weisses Bändlein trug, überhub sie bey seiner Heimkunft aller Zweifel, und legt' zu Luft in zween Stunden[43] mehr Wegs zurück, als keine dreyssig Posten zu Land in einem natürlichen Tag vollbrachten. Dieß heiss ich mir Zeit einbringen und sparen! Und als wahrscheinlich glaubet nur, daß man in denen Taubenschlägen ihrer Meyerhöf alle Monat und Jahreszeiten Tauben die Füll auf Eyern oder Jungen fand. Welches auch in der Haushaltung leicht mittelst Stein-Salpeters erzielt wird, und durch das heilige Kraut Verbena. Nach Entlassung des Gosal las Pantagruel seines Vaters Gargantua Schreiben, dessen Innhalt dieser war:


Vielgeliebter Sohn!


Die Neigung so ein Vater von Natur zu seinem theuern Sohn hegt, ist an meinem Theil so hoch gestiegen, in Betracht und Wertschätzung der dir nach Gottes freyer Wahl verliehenen besondern Gnaden, daß sie seit deinem Abschied mich mehr denn einmal aller andern Gedanken beraubt, und mir im Herzen diese einige bange Furcht hinterlassen hat, es möcht dir etwann bey deiner Einschiffung ein Unstern oder Trübsal begegnet seyn: wie du denn weißt daß treuer und aufrichtiger Liebe Gefährtinn allzeit die Furcht ist. Und weil nach Hesiodi Ausspruch eines jeden Dinges Anfang schon die Hälft des Ganzen ist, und das Brod, wie man zu sagen pflegt, geräth nachdem mans in Ofen schiebt, hab ich sofort um mein Gemüth von solchen Sorgen zu befreyen, den Malicorn expreß gesandt, daß ich durch ihn von deinem Befinden während der ersten Tag deiner Reis versichert würde. Denn wenn sie glücklich und wie ichs wünsch ist, werd ich das Weitre dann leicht voraus prognostiziren und schliessen können. Ich hab indeß hie etliche artige Büchlein erhalten, die dir mein Bot übermachen wird. Die solt du lesen wann du dich von deinen bessern Studiis erholen wilt. Ernannter Bot wird dir mit Mehrem das Neuest von diesem Hof erzählen. Der Fried des Höchsten sey mit dir. Grüsse Panurgen, Bruder Jahnen, Epistemon, Xenomanes, Gymnasten und deine andern Treuen, meine guten lieben Freund. Aus deinem väterlichen Haus, diesen Dreyzehnten Junii.

Dein

Vater und Freund,

Gargantua.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 42-44.
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