Erstes Kapitel.

[35] Wie Pantagruel nach dem Orakel der Göttin Bakbuk in See ging.


Im Monat Junius, am Tag des Vestalien-Festes, dem nämlichen an welchem Brutus Spanien bezwang und die Spanier ihm unterwarf, an welchem auch der geizige Crassus von den Parthern besiegt und erlegt ward, beurlaubt' sich Pantagruel von seinem Vater dem guten Gargantua, unter dessen heissen Gebeten, (wie es in der ersten Kirch bey den heiligen Christen der löbliche Brauch war) für seines Sohnes und seiner Gefährten glückliche Fahrt; und ging im Hafen von Thalass zur See, begleitet von Panurgen, Bruder Jahnen von Klopfleisch, Epistemon, Gymnastes, Eusthenes, Rhizotomus, Karpalim und andern seinen alten Dienern und Hausgenossen: deßgleichen auch von Xenomane dem grossen Pilgrim und Durchkreuzer gefährlicher Weg, der auf Panurgens Erfordern etliche Tage vorher zu ihnen gestossen. Derselbe hätt aus mehreren guten und triftigen Gründen in seiner grossen Universalhydographi dem Gargantua die Straß verzeichnet hinterlassen, die sie auf ihrer Fahrt zum Orakel der göttlichen Boutelge Bakbuk einschlagen wollten.

Die Zahl der Fahrzeug und das Geschwader an Triremen, Rambergen, Galionen, Liburnen, war, wie ichs euch im dritten Buch erzählt hab; in derselben Anzahl: wohl equipirt, kalfatert, und mit Pantagruelion reichlich verschanzt. Die Versamlung sämmtlicher Offizierer, Dolmetscher, Steuermänner, Hauptleut, Schiffer, Matrosen, Bootsknecht[36] und Rudrer war auf dem Thalamegus. Also hieß das grosse Admiralschiff Pantagruels: am Hinter-Kastell führt' es als Sinnbild eine grosse geräumige Boutelge, halb aus blankem, hellpolirtem Silber, halb Gold mit incarnatenem Schmelzwerk. Woraus man leicht sehn mocht daß Weiß und Röthlich die Farben der edeln Pilger waren und daß ihre Reis geraden Wegs nach dem Boutelgen-Wörtlein ging.

Am Hinter-Kastell des zweyten stund hoch aufgerichtet eine antike Latern aus specularischem Stein oder Phengites geschickt verfertigt, anzuzeigen daß sie durch das Laternen-Land passiren würden. Des dritten Devis war ein schöner und tiefer Humpen von Porzelan. Das viert trug ein gülden Krüglein mit zween Henkeln, gleich einer antikischen Urn. Das fünft eine stattliche Schleifkann von Prasemstein. Das sechst einen manachalischen Tummler aus allen vier Erzen zumal gemacht. Das siebt einen Trichter von Ebenholz ganz eingelegt mit güldenen Reifen in Marqueteri. Das acht einen köstlichen Epheu-Becher in Gold getrieben, damaszirt. Das neunt einen Stauffen von feinem Jungfern-Gold. Das zehnt einen Stamper von würzigem Agallochum, (Aloe heißt ihrs) mit Cyprischem Gold in Azemin-Arbeit durchfadmet. Das eilft eine güldene Tragbutt, auf musivisch. Das zwölft ein Stückfaß von Mattgold mit einem Rankenwerk umzirkt von grossen indianischen Perlen, in topiarischer Arbeit. Also, daß kein Mensch so traurig, mürrisch, betrübt noch melancholisch seyn konnt, ja wärs auch selbst der Greiner Heraklitus gewesen, der, wenn er dieß edle Schiffs-Geschwader an seinen Devisen erkannt hätt, nicht von neuem lustig wär worden, nicht frisch von der Leber weg gelacht, geschworen hätt die Mannschaft drauf, das müßten lauter tapfere Zecher und brave Leut seyn, und ihnen nicht das sichre Prognostikon gestellt hätt, daß ihre Fahrt, so hin-als heimwärts in alle Weg gedeihlich und erfreulich würd von Statten gehen.

Auf dem Thalamegus also war Aller Versamlung. Da hielt ihnen Pantagruel eine kurze und fromme Ermahnung auf lauter Sprüch der heiligen Schrift, anlangend Seefahrt[37] gebauet. Nach deren Endigung thäten sie ein lautes und vernehmliches Gebet zu Gott, daß alle Leut und Bürger von Thalass die auf den Molo strömten die Einschiffung mit anzusehn, es deutlich verstehn und hören konnten.

Auf das Gebet ward dann melodisch der Psalm des heiligen Königs David gesungen, der anfängt: »Da Israel aus Aegypten zog.« Am Schluß des Psalmes schlug man die Tafeln auf dem Verdeck auf, und trug die Speisen flink herbey. Auch die Thalassier, die gleichfalls den Psalmen mitgesungen, liessen aus ihren Häusern brav Wein und Zehrung bringen. Alle thäten ihnen frisch Bescheid, sie wieder allen. Dieß war die Ursach warum sich niemand aus ihrer Schaar jemals im Meer erbrach, noch Kopf- oder Magenweh spüret': als welchem Uebel sie nicht so leicht entgangen wären, wenn sie auch etliche Tag zuvor Seewasser, lauter oder mit Wein vermengt getrunken, oder Quittenfleisch, Zitronenschaalen, sauersüssen Granatensaft verschluckt, oder lange Fasten gehalten, oder den Magen mit Papier bedeckt, oder sich anderer thörigter Mittel so die Aerzt den Schiffern rathen, bedienet hätten.

Nach oft und fleissig wiederholter Umzech ging ein Jeder auf sein Schiff, und lichteten zu guter Stund mit griechischem Nord-Ostwind die Anker, nach welchem ihr Ober-Steuermann, Jack Brayer, die Fahrt bestimmt, und alle Kompaß-Nadel gerichtet hätt. Denn seyn, wie auch Xenomanis Rath war, hinsichtlich der Göttin Bakbuk Orakel in Ober-Indien bey Catay lag, nicht den gewöhnlichen Weg der Portugiesen zu nehmen, die über die heisse Zon und um das Capo di Bona Speranza an der südlichen Spitz von Afrika, den Gleicher schneidend, die Wegweisung des nördlichen Polarsterns aus den Augen verlieren und eine ungeheuere Fahrt thun, sondern vielmehr so nah als möglich mit Indien parallel zu bleiben, und westlich um sothanen Pol herumzulenken, dergestalt, daß wenn sie im Norden sich wendeten, sie ihn in gleicher Pol-Höh hätten wie in dem Hafen zu Olon', ohn ihm sich mehr zu nähern, aus Furcht ins Eismeer zu geraten, und darinn stecken zu bleiben. Und daß sie ihn, wenn sie in gleicher Parallel diese kanonische[38] Seitenwendung weiter verfolgten, im Osten dann zur Rechten hätten, der bey der Abfahrt ihnen zur Linken gewesen war.

Welches ihnen dann auch unglaublich zu Statten kam: denn sonder Schiffbruch, Lebensgefahr noch Leut-Verlust, bey schönstem Wetter, bis auf Einen Tag beym Eiland der Makräonen, legten sie in noch nicht vier Monden den Weg nach Ober-Indien zurück, wohin die Portugiesen kaum mit tausend Kreuz und unsäglichen Gefahren in drey Jahren kämen. Und bin, mit Respekt vor besserm Urtheil, der Meinung, daß dieß dieselbige Glückstraß gewesen, die jene Indier einschlugen, die nach Teutschland schifften, und von dem Schwedenkönig gastfrey bewirthet wurden zu der Zeit, als Q. Metellus Celer Proconsul in Gallien war, wie solchs berichten Corn. Nepos, Pomp. Mela, und nach ihnen Plinius.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 35-39.
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