Vier und Dreyssigstes Kapitel.

[126] Wie Pantagruel den ungeheuern Physeter erlegt'.


Der Physeter kam unter die Brohken und Schanzen der Schiff und Gallionen, und spie Wasser tonnenweis auf die vordersten; man dacht es wären die Katadupen des Nils in Aethiopien. Speer, Pfeil, Wurfspieß, Partisanen, Corseken, Lanzen, flogen auf ihn von allen Enden. Bruder Jahn war nicht faul, Panurg vor Angst des blassen Todes. Das Geschütz donnert' und hagelt' drein wie Teufel, und thät was seines Amts war, ihn trocken auszureiben; aber es fruchtet' wenig, denn die groben eisernen und ehernen Ballen, wenn sie ihm in das Leder fuhren, schienen von weitem zu zergehn wie bleierne Ziegeln an der Sonnen. Da ersah sich Pantagruel den Vortheil und die Gelegenheit, entfaltet' seine Arm und zeigt' was er vermochte.[126]

Ihr sagt', und steht geschrieben, der römische Tagdieb und Kaiser Commodus sey ein so trefflicher Schütz gewesen, daß er aus weiter Ferne die Pfeil durch junger Knaben aufgehobne Finger, ohn im mindesten sie zu verletzen geschossen hab. Auch von einem Indianischen Bogner zu der Zeit da Alexander der Grosse Indien erobert, erzählt ihr uns, der so geübt im Schiessen war, daß er von weitem seine Pfeil durch einen Ring schnellt', obwohl die Pfeil drey Schuh lang, und das Eisen daran so groß und schwer war, daß er damit Stahlpanzer, stählene Plötzer, dicke Schild, kurz alles worauf er traf durchbohrt', es mocht so hart, fest, dauerhaft, stark und massiv seyn als ihr wollt.

Auch von Gewandtheit der alten Franzen meldet ihr uns Wunderding, die in der Pfeilkunst vor allen Menschen gepriesen waren: und die zur Schwarz- und Rothwildjagd ihre Pfeilspitzen mit Nieswurz rieben, weil das Fleisch des also erlegten Wildprets zärter, leckerhafter, gesünder und delicater war, jedoch den so getroffnen Fleck ringsum ausschnitten und säuberten. Deßgleichen führt ihr die Parther an, die hinterrucks behender trafen, als die andern Völker von vorn.

Ja, auch die Scythen rühmet ihr um diese Fertigkeit: von welchen einstmals ein Gesandter zum Perserkönig Dario kam, und ohn ein Wort zu sagen, ihm einen Vogel, einen Frosch, eine Maus und fünf Pfeil bracht. Auf Befragen was diese Gaben bedeuten sollten und ob ihm sonst nichts auszurichten befohlen wär, antwortet' er, nein: darob Darius ganz betroffen in seinem Sinn und rathlos war, wenn ihm nicht einer der sieben Hauptleut die zuvor die Magier erschlagen, namens Gobryes geholfen und die Bedeutung verdolmetscht hätt; denn, sprach er, durch diese Geschenk und Gaben entbieten euch schweigend die Scythier: Wenn die Perser nicht wie die Vögel gen Himmel fliegen, oder wie Mäus in den Erdkern schlupfen, oder wie Frösch auf den Boden der Teich und Seen tauchen, wird sie der Scythen Macht und Pfeil all ins Verderben bringen.

Ungleich bewundernswerther in der Kunst des Speer- und Pfeilwurfs war der edle Pantagruel. Denn Er, mit seinen furchtbaren Pfeilen und Schleuderstangen (die den grossen Brucken-Pfählen zu Nantes, Saulmur, Bregerac, und zu[127] Paris an der Wechsler-oder Müller-Bruck an Läng und Dick, Gewicht und ehernem Beschläg vollkommen glichen) sperrt' auf tausend Schritt die Austern in der Schaal auf, ohn auch nur an die Ränder zu streifen; schneuzt' ein Licht ohn es auszulöschen, bohrt' den Elstern die Augen aus, trennt' die Sohl von einem Stiefel ohn ihm zu schaden, nahm das Futter aus einem Käppel unversehrt, wandt in Bruder Jahns Brevier die Blätter eins nach dem andern um, ohn daß auch nur ein Rißlein ward.

Mit solchen Pfeilen, deren er eine grosse Last bey sich im Schiff führt', spießt' er euch auf den ersten Schuß dem Physeter die Stirn an, dergestalt daß er ihm beyde Kiefern nebst der Zung vernagelt', und er gar das Maul nicht mehr aufthun, kein Wasser mehr schlucken noch ausspeyn konnt'. Der zwote Schuß stach ihm das rechte, der dritt das linke Aug aus; und ward der Physeter zu grossem Jubel Aller mit diesen drey Hörnern gesehn, die er, ein wenig nach vorn gebogen, in einem gleichschenklichen Triangel auf seiner Stirn trug und dabey ganz blind, verdutzt und hart am Tod von einer Seit zur andern taumelt'. Damit noch nicht zufrieden, schoß ihm Pantagruel einen vierten Pfeil auf den Schwanz, deßgleichen nach hinten geneigt. Dann drey andre auf den Rückgrat in perdendikularischer Lini und gleicher Weit, vom Schwanz zum Kopf zu dreyen Theilen abgezirkelt. Zuletzt schnellt' er ihm in die Seiten noch funfzig rechts und funfzig links, also daß des Physeters Leib dem Schiffsrumpf einer dreymastigen Gallion mit abgemessen darein gefugten Balken gleich sah, als wärens die Kauschen und Rusten des Kiels, und gar lustig mit anzuschaun war. Darauf kehrt' sich der Physeter, wie alle todte Fisch, im Sterben auf den Rücken; und so die Balken unterwärts ins Wasser reckend glich er schier dem hundertfüssigen Skolopender, wie ihn der weise Nikander beschreibt.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 126-128.
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