Hinkmars von Repkow »Noten ohne Text«.

[22] (»Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes«, Bd. II, 4. Bremen bei Nath. Saurmann 1745).


Nunmehr thue ich den ersten Schritt in die gelehrte Welt. Schon vor dreißig Jahren hatte mich die Natur mit so starken und dauerhaften Gliedmaßen begabt, als von einem Skribenten erfordert worden. Dennoch habe ich, was fast unglaublich ist, jedesmal über mich selbst so viel Gewalt gehabt, daß meine Gelehrsamkeit noch niemals zum wirklichen Ausbruch gekommen ist, ich nehme einige kritische Versuche aus, welche ich i.J. 1719 bei der damaligen Teuerung mir und dem guten Geschmack zum besten, doch jedesmal unter fremdem Namen, der Welt mitteilen mußte. Seit 30 Jahren also habe ich nur einen Zuschauer unter den Gelehrten abgegeben. Meine ganze Aufmerksamkeit war dahin gerichtet, zu sehen, welches die sichersten und leichtesten Mittel wären, sich auf einmal über andere emporzuschwingen und bis auf die späteste Nachwelt berühmt zu werden. Ich habe angemerkt, daß die Bemühungen der Geschichtschreiber, der Philosophen, der Dichter und aller übrigen Gelehrten so beschwerlich, so ungewiß und so gefährlich sind, daß ich mich wohl hüten werde, mich mit einer von diesen Arten Schriften zu bemengen. Hingegen getraue ich mir, durch hundert Exempel zu behaupten, daß man durch keine Mittel in der Welt leichter zu gehöriger Autorgröße gelangen kann, als durch die Beschäftigung, die Schriften anderer Männer durch Noten zu vermehren und zu verbessern. Leute, von denen man schwören sollte, daß sie die Natur zu nichts weniger als zu Gelehrten geschaffen hatte; Leute, welche ohne selbst zu denken die Gedanken der Alten und anderer berühmten Männer erklären – solche Leute sind es, die sich groß und fruchtbar machen, und wodurch? Durch Noten! Noten also sind der rechte Weg, zu demjenigen Zweck zu gelangen,[22] welchen alle Gelehrte auf verschiedene Arten, aber mit ungleichem Erfolg suchen. Ich brauche nicht zu beweisen, daß bei einem dergleichen Buche des Herrn Verfassers Noten allemal das Vornehmste und Wichtigste sind, der Text aber nur etwas Zufälliges, wenigstens von der Erheblichkeit lange nicht ist, als die angehängten Noten. Ich beziehe mich auf die Vorreden, welche man vor diesen Büchern findet und worin mein Satz allemal, nur auf verschiedene Art, behauptet ist. Einem solchen Verfasser würde es daher gleichviel gelten, wenn der Text auch ganz unterginge. Nur um seine Noten darf die Nachwelt nicht kommen; dieser Verlust wäre unersetzlich. Diese Betrachtung hat mich zu dem Entschluß gebracht, Noten zu schreiben, ohne um einen Text besorgt zu sein, da dieser, wie gedacht, ohnehin nur ein Nebenumstand bei einem Buche ist. Ich überlasse die Beschäftigung, einen Text zu gegenwärtigen Noten zu machen, andern, die weder diejenige Erfahrung noch Geschicklichkeit besitzen, die ich mit gutem Gewissen von mir selbst rühmen kann. Es sollte mir lieb sein, wenn ich dadurch unserer jetzigen Jugend Gelegenheit gäbe, sich in Texten zu üben. Es kann gleichviel gelten, ob sie eine Materie von den jetzigen politischen Umständen oder aus der Arzneikunst oder aus den bürgerlichen Rechten dazu wählen wollen. Eine Abhandlung von dem leeren Raume sollte sich auch nicht unrecht dazu schicken; denn dergleichen Betrachtungen werden nicht sehr gelesen, und solche Texte braucht ein Notenautor, wie ich bin, am liebsten. Ich wollte wünschen, daß sich bald wieder ein Komet sehen ließe. Meine Noten sollten sich ganz vortrefflich ausnehmen, wenn sie unter einer Abhandlung davon ständen. Man kann zwar darin nicht ein einziges Wort von Kometen finden: aber desto besser wäre es; denn natürlicherweise haben dergleichen Noten, wie die meinigen sind, ohnedem mit dem Texte weiter kein Verhältnis als das, welches ihnen der Setzer giebt. Mit einem Wort, mit dem Texte mag ich gar nichts zu thun haben, den überlasse ich kleinen Geistern. Ich bin ein Gelehrter, und zwar ein Gelehrter bei Jahren, darum schreibe ich Noten, denn das ist ein wichtiges Werk! Ich erstaune, wenn ich zurücksehe und eine unzählbare Menge Männer hinter mir erblicke, welche sich so viele Jahre lang mit so vieler Sorge, auf so verschiedene Art um den Namen eines Gelehrten bemüht haben, von mir aber in einer Zeit von zwei Tagen auf die bequemste Art von der Welt und ohne meinem Verstand und Nachdenken die geringste Gewalt anzuthun, [23] eingeholt, ja weit übertroffen sind. Allen meinen Enkeln will ich es anraten, Noten sollen sie machen. Und wenn sie es so hoch bringen wie ihr Großvater, so machen sie Noten ohne Text! – eine Sache, welche außer mir wohl noch kein Deutscher gewagt hat. Nun werden es die übermütigen Franzosen doch auch glauben, daß es in Deutschland Schöpfer gebe, welche von sich selbst etwas hervorbringen und noch mehr thun können als nachahmen. Wie sehr werde ich mich vergnügen, wenn ein gelehrter Mann und Befördrer der schönen Künste und Wissenschaften sich berühmt und Noten über meine Noten machen wird! »Der große Repkow (wird es einmal heißen) bedient sich in seinen gelehrten Noten ohne Text u.a. folgender sehr nachdenklichen Worte etc.« Kann ein Schriftsteller zu seiner Beruhigung wohl mehr verlangen, als wenn sich ein anderer Schriftsteller auf ihn beruft? Wie prächtig wird es klingen, wenn ein gelehrter Abt des künftigen Jahrhunderts in der französischen Akademie seine Meinung durch mein Ansehen behaupten und sagen wird: »Voyez le savant Allemand, Monsieur Enkemar de Repikof, dans les Remarques sans texte etc.« Und wer ist mir wohl dafür gut, daß nicht vielleicht, sobald gegenwärtige Abhandlung nur die Presse verlassen hat, schon irgendwo ein berühmter Mann mit Schmerzen auf meinen Tod wartet, nur daß er in sein historisches Universallexikon unter dem Buchstaben R die Nachricht setzen könnte: »Repkow (Hinkmar von) auf Budigaß, ein Nachkomme des großen Echo von R., schrieb Noten ohne Text und starb. Er war ein billiger Verehrer seiner eigenen Schriften und überhaupt ein sehr gelehrter Mann. Seine vortrefflichen Noten ohne Text hat man in viele Sprachen und sogar ins Norwegische übersetzt. Die verschiedenen Ausgaben davon sind unzählig; doch ist diejenige wegen ihres breiten Randes und der artigen Leiste die beste, welche wir dem Fleiße des geschickten Herrn Cowley Lizard in London zu verdanken haben. Von ihm stammt die berühmte Sekte der Autonotisten ab, und er ist der Urheber der berühmten Repkovianischen Manier. Mehrere Nachrichten von ihm findet man in dem theatro Budigassiano de claris Repcoviis.« Gewiß, von wem die Nachwelt ein solches Urteil fällt, dessen Mühe ist reichlich vergolten; denn dies begreift alles dasjenige in sich, was der Ehrgeiz eines Gelehrten wünschen kann.

Vor Entzücken über die dankbare Nachwelt vergesse ich beinahe meine jetztlebenden Leser, welche es vielleicht zufrieden[24] sein würden, wenn ich von mir selbst etwas weniger redete. Ich will zwar abbrechen, aber mich nicht entschuldigen; denn alles, was ich bisher gesagt habe, vertritt die Stelle einer Vorrede zu gegenwärtigen Noten ohne Text. Die Vorrede aber schreibt der Verfasser wohl nicht leicht um des geneigten Lesers willen, sondern seinetwegen. Mein Trost ist, daß ich im Nachstehenden noch öfters Gelegenheit haben werde, von mir selbst ausführlich, doch ohne die geringste Parteilichkeit zu reden.


Hinkmar von Repkow.


»– welche Zigeuner und elende Poeten« ... Ich soll mich verantworten, wie ich es habe wagen können, die elenden Poeten mit den Zigeunern zu vergleichen Ich will es thun, mein Herr, ungeachtet ich geglaubt hätte, daß ein flüchtiger Einfall, den man zuweilen in Gesellschaft vertrauter Freunde vorbringt, dergleichen Schutzschrift nicht nötig hätte.

Meine Meinung ist gar nicht diese gewesen, als wäre zwischen Zigeunern und elenden Poeten eine durchgängige Ähnlichkeit. Wenn es aber auch meine Meinung wäre, so wollte ich mir doch getrauen, sie zu verteidigen. Ein Zigeuner würde vielleicht eine ganz andere Lebensart erwählen, wenn er zu etwas besseren geschickt wäre; und ein reimender Skribent müßte sogar den Überrest desjenigen Verstandes verloren haben, den ihm die erbarmende Natur, wiewohl mit kargen Händen, zugeworfen hat, wenn er so klägliche Schriften verfertigte, wofern er anders imstande wäre, etwas Klügeres vorzunehmen. Die Verwunderung, die sich ein Zigeuner bei dem Pöbel durch sein Wahrsagen zuwege bringt, ist der Verwunderung sehr gleich, die ein Reimer durch seinen betäubenden Witz bei dem lesenden Pöbel erhält. Unter den lesenden Pöbel aber rechne ich Leute von allerlei Ständen: und wollte man mich gerichtlich anhalten, diese Art von Pöbel genauer zu bestimmen, so könnte es freilich geschehen, daß man Männer in Magister- und Doktorhüten, Männer mit Sternen auf der Brust, Männer in ehrwürdiger Kleidung darunter anträfe. Was die Räubereien der Zigeuner anbelangt, so haben sich meine Poeten gar nicht zu schämen, wenn man auch darin viel Ähnliches zwischen ihnen und den Zigeunern zu finden glaubt. Sie plündern ebensowohl als jene; aber sie plündern ebenfalls nur aus Hungersnot, und aus Hungersnot zu rauben, ist, wie bekannt, den bürgerlichen Rechten nach, kein Diebstahl. Sie rauben also nur berufswegen.

Ich weiß nicht, warum ich mich so gern elender Schriftsteller[25] annehme. Vielleicht geschieht es bloß aus einer allgemeinen Menschenliebe; vielleicht aber kommt es auch von einigen Vorurteilen her, die ich noch von meiner ersten Jugend behalten habe, und welche machen, daß ich dergleichen Skribenten nicht ansehen kann, ohne gerührt zu werden. »Schreib', mein Sohn, schreib' und schäme dich nicht! Schreib' unermüdet, denn die Natur hat dir gesunde Finger gegeben.« Dieses war der letzte Segen, den mir mein Vater – tröste ihn Gott! er war auch ein Skribent – noch auf seinem Totenbette erteilte. Er hinterließ mir ein schlechtes Vermögen, es ist wahr; aber diese Vermahnung hat mich so aufgemuntert, daß ich niemals hungrig zu Bett gegangen bin, so lange ich derselben gefolgt habe. Ich schrieb aus allen Leibeskräften, und es gedieh mir ganz wohl. Seit der Zeit hat sich freilich viel geändert. Ich habe dieses Autorhandwerk niedergelegt. Ich fand Ursachen, welche mir rieten, mich von dergleichen Skribenten abzuziehen; zugleich aber fand ich auch ganz unübersteigliche Hindernisse, ein guter Skribent zu werden; um deswillen schreibe ich, wie Sie wissen, gar nichts mehr.

Im Ernste zu reden, so ist es eine betrübte Sache um gute Skribenten. Sie lassen sich's blutsauer werden, und doch geht es ihnen nicht von der Hand. Haben sie auch ja ein Werk in ihrer Art zustande gebracht: welcher Buchhändler wird so viel wagen, es zu verlegen! Sie müssen noch Geld zugeben, wenn sie ihren Namen gedruckt sehen wollen; und sind sie auch gedruckt, wohl gut: wie viel finden sie denn Leser? Sehr wenig, oder ich müßte unsere Zeiten gar nicht kennen. Heute Nachmittag ging ich vors Thor. Ich sah einen großen Zulauf von Leuten, welcher mich bewog, näher hinzuzugehen. Ich fand einen Mann in der größten Beschäftigung, seine Paketchen unter den gewöhnlichen Beteuerungen und mit Berufung auf die erstaunenden Kuren, die er gethan, und auf seine vortrefflichen Privilegien auszuteilen. Kurz, er war ein Marktschreier. Was für ein Unterschied, dachte ich bei mir selbst, ist nicht zwischen diesem Marktschreier und meinem Arzte in der Stadt, den jeder für einen geschickten, behutsamen und erfahrenen Mann hält, in dessen Vorzimmer aber nicht der zwanzigste Teil der Leute ist, wie bei diesem Quacksalber! Aber woher kommt das? Er versichert nichts, wovon er nicht überzeugt ist. Er kann sich nicht überwinden, seine Medikamente mit einer etwas zuversichtlichern Miene anzupreisen; er ist zu ehrlich, als daß er andere Ärzte neben sich verkleinern sollte; mit einem Worte: er macht nicht Wind genug[26] und hat keinen Hanswurst bei sich, welcher den Pöbel unterhalten und ihm ein Vertrauen zu seinen Arzneien beibringen kann. Mein Arzt ist ein vernünftiger Mann, und jener Marktschreier ein Windmacher. Welche Abschweifung! werden Sie sagen, von elenden Skribenten auf die Quacksalber zu kommen! Sie haben recht, mein Herr, es ist allerdings eine Abschweifung, welche vielleicht nur alsdann zu entschuldigen sein würde, wenn zwischen den niederträchtigen und unverschämten Aufschneidereien der Unwissenheit und dem gewinnsüchtigen Handwerke dieses Marktschreiers – und zwischen dem Betragen und den Absichten elender Scribenten die geringste Gleichheit wäre. Aber dieses ist freilich nicht, und um deswillen ist meine Abschweifung gar nicht zu entschuldigen. Es sei darum! ich mag es nicht ausstreichen In meinen jungen Jahren, als ich noch ein Autor war, wußte ich mich in dergleichen Fällen recht leicht zu trösten. Wollte ich gar nichts schreiben, waren damals meine Gedanken, als was sich reimt und was auf eine vernünftige Weise zusammenhängt, so schreibe ich mich an den Bettelstab und meinen Verleger ins Hospital. Ungefähr so dachte ich damals, und Sie wissen wohl, daß einem alternden Autor dergleichen Jugendfehler noch immer anhängen. Ich kann Ihnen nicht helfen, mein Herr, Sie müssen alles lesen, was ich geschrieben habe, es mag zusammenklingen, wie es will. Sehen Sie es allenfalls als eine kleine Rache an, daß Sie mich genötigt haben, meine Gedanken schriftlich zu verteidigen; vielleicht machen Sie künftig nicht so viel Schwierigkeiten, mir auf mein Wort zu glauben.

... conata lacessere Teucros. Die Verdienste, welche sich dieses Frauenzimmer in der gelehrten Welt erworben, sind so wesentlich und so wichtig, daß ich nicht begreifen kann, warum es sich durch eine solche Befehdung und durch die Vorrechte ihres Geschlechts zu verteidigen gesucht hat. Mir scheint es wenigstens, daß sie nicht die beste Art gewählt hat, mit welcher sie ihr Mißvergnügen über das unfreundliche Bezeigen eines ihrer Gönner ausdrücken und die Leser überführen will, daß man sich an ihr versündigt habe. »Die Hochachtung (schreibt sie) welche man unserem Geschlecht schuldig ist, ist zu allen Zeiten unter gesitteten Völkern für etwas so Unverbrüchliches gehalten worden, daß ich hoffe, man werde diese Verletzung derselben gegen eine Person, die solches auf keinerlei Weise verdient hat, nicht mit gleichgültigen Augen ansehen!« Wer die kleinen Balgereien schon weiß, welche seit einiger Zeit[27] zwischen den witzigen Köpfen vorgefallen sind, der wird es zufrieden sein, daß ich die eigentlichen Umstände dieser gelehrten Mordgeschichte hier nicht anführe; und wer sie nicht weih, der kann sich allenfalls trösten, wenn ihm eine solche Kleinigkeit noch ferner unbekannt bleibt. Ich bin hierin ganz unparteiisch, und so wenig Vergnügen ich über die Aufführung ihres Gegners empfunden, welches sie ein ungezogenes Verfahren nennen will, so überflüssig würde es auch sein, die Verteidigung ihrer Sache zu übernehmen, da man aus ihrer Vorrede wohl sieht, daß sie selbst Mut genug hat, sich mit dem Natur- und Völkerrechte zu wehren und eine Sprache zu führen, von welcher eine gewisse Art unserer heutigen Kunstrichter selbst gestehen wird, daß sie männlich genug sei. Meine Gedanken, welche ich bei Lesung dieser Vorrede gehabt, sind ungefähr diese:

Auch ich habe für das Frauenzimmer alle billige Hochachtung; es klingt mir aber ein wenig zu hart, wenn ein Frauenzimmer diese Hochachtung selbst verlangt und sich auf die ruhige Possession bezieht, in welcher sie und ihre Vorfahren seit hundert und mehr Jahren gewesen sind.

Da unsere Verfasserin bei dieser ganzen Streitigkeit nicht bloß als ein Frauenzimmer, sondern als eine Skribentin anzusehen ist, so hat sie um so viel weniger Ursache, sich auf diese wohlhergebrachte Hochachtung zu steifen, welche sie von uns aus rühmlicheren Gründen verlangen kann. Ein gelehrtes Frauenzimmer kann diese weiter nicht fordern als eine gelehrte Mannsperson. Beide können unsre Hochachtung erlangen, wenn ihre Gelehrsamkeit und ihr Witz solche verdienen. Ist dieses nicht, so habe ich schon genug gethan, wenn ich ihnen nicht unhöflich begegne, und ich muß das Recht haben, auf die gelehrten Eitelkeiten und Fehler eines schreibenden Frauenzimmers mit eben der Bitterkeit loszugehen, welche man in gleichem Falle wider die Skribenten männlichen Geschlechts ohne Beleidigung des Wohlstandes brauchen darf.

In meinen Augen verdient kein Stand mehr Ehrfurcht und Hochachtung als der Stand der Geistlichen. Sobald sich aber ein Geistlicher auf eine unglückliche Art unter die Schriftsteller mengt und durch seine Exempel den alten und wahren Satz bekräftigt, daß ein ehrwürdiger Mann gar wohl ein elender Autor sein könne: so bald vergesse ich den Priester und lache über den Schmierer. Wie unzeitig würde der Eifer sein, wenn mich dieser Mann um deswillen verketzern und sagen wollte: ich hätte diese Hochachtung beleidigt, welche[28] man seinem Amte nach den göttlichen und weltlichen Rechten schuldig sei, und welche unter allen Völkern für etwas so Unverbrüchliches gehalten werden!

Ich befürchte, der Witz dürfte dadurch sehr viel leiden, wenn wir die Galanterie so weit treiben und die Fehler einer Skribentin dulden oder gar bewundern wollten, bloß darum, weil sie von den Händen eines Frauenzimmers kämen. Wir haben bereits unter unseren Mannspersonen eine so große Menge erbärmlicher Schriftsteller, daß es sehr unverantwortlich sein würde, auch die andere Hälfte des menschlichen Geschlechts mit dieser Autorseuche zu verwahrlosen. Ich wünschte wohl, daß alle Frauenzimmer einen Geschmack an den schönen Wissenschaften fänden; aber das wolle der Himmel nicht, daß alle Frauenzimmer dasjenige prächtig drucken lassen, was sie mittelmäßig gedacht haben! Ihren Freunden mögen sie es vorlesen, und ich werde es selbst mit Vergnügen anhören, wenn es gleich hin und wieder fehlerhaft ist; nur gedruckt mag ich es nicht lesen. Diejenige unumschränkte Gewalt, welche wir dem Frauenzimmer aus Höflichkeit und Hochachtung an ihrem Nachttische zugestehen, diese hört gleich auf, sobald wir einander in dem Buchladen antreffen. Sie sei witzig, sie suche ihren Geschmack auszubessern, sie schreibe, um ihren Verstand zu schärfen: aber sie schreibe nur für sich, nicht für die Welt, ohne ihre Kräfte vorher wohl zu prüfen. Thut sie es aber doch, so behalte ich mir vor, mit nächstem ein Kochbuch zu schreiben; und wollte das Frauenzimmer anfangen, über mein Kochbuch zu spotten, da ich wirklich ein sehr schlechter Koch bin, so hoffe ich, die gesitteten Völker werden diese Verletzung der Herrschaft, welche dem Mannsvolke zu allen Zeiten eigen gewesen ist, und die Beleidigung einer Person, die solches auf keinerlei Weise verdient hat, nicht mit gleichgültigen Augen ansehen!!

Ein Frauenzimmer, welches vor ihre Schriften ihr Bildnis setzt oder in der Vorrede deswegen um Pardon ruft, weil sie ein Frauenzimmer ist, verrät entweder ihr böses Gewissen und die Ungerechtigkeit ihrer Sache oder glaubt, daß die Kunstrichter voll Leidenschaften und ebensowohl zu blenden sind, als die Richter der Phryne, welche ihren Rechtshandel verspielt haben würde, wenn sie nicht den Schleier zurückgeschlagen hätte.

Aus dem, was ich bisher angeführt habe, wird man urteilen können, wie es billig sei, einem Frauenzimmer kein Quartier zu geben, welches sich in gelehrte Streitigkeiten[29] mengt und für eine ungerechte oder doch zweifelhafte Sache mit zu vieler Hitze und einer männlichen Wut kämpft. Ich habe noch keinen Scholiasten gefunden, welcher den Aruns für ungesittet oder ungezogen gehalten, daß er Kamillen im Treffen verfolgt und ihrem Würgen Einhalt gethan. Sie wagte sich unter das Heer streitender Männer, und die Götter erhörten den Aruns, welcher unbekannt zu sterben wünschte, wenn er nur durch den Sieg über die kriegerische Kamilla den Tod seiner Landsleute rächen könnte. Ich zweifle nicht, Aruns würde bei einer anderen Gelegenheit der Kamilla mit aller der Galanterie begegnet haben, welche den Trojanern eigen war, aber hier erblickte er seine Feindin und begegnete ihr als einem Feinde. Ein Frauenzimmer, welches sich in den Krieg der Kunstrichter mischt, wagt viel und begiebt sich selbst der Rechte, die außerdem ein Frauenzimmer hat.

nisi quod sit dictum prius. Ich will die Gewohnheit eben nicht tadeln, welche einige unserer Gelehrten an sich haben, wenn sie ihre Schriften durch die Sentenzen alter und neuer Autoren ausputzen; aber dieses würde ich doch gern sehen, wenn sie damit etwas sparsamer umgingen, als die meisten zu thun pflegen. Ich finde zwischen dergleichen Schriften und unsern Lustgärten in diesem Stücke eine ziemliche Ähnlichkeit. Es ist dem Gesicht angenehm, wenn man in denselben einige wohlgearbeitete Statuen erblickt; nur müssen deren nicht gar zu viel sein, wenn der Garten nicht das Ansetzen eines Bildersaals gewinnen soll. Es kann auch daraus für den Gärtner noch dieser empfindliche Schaden erwachsen, daß man sich bloß mit Betrachtung der Statuen beschäftigen und auf den Garten entweder seine Aufmerksamkeit gar nicht richten oder doch ziemlich gleichgültig dabei sein würde. Wo ich mich nicht sehr irre, so läuft ein Schriftsteller bei seinem Werke eine gleiche Gefahr. Wenn ich auf jeder Seite eine, auch mehrere Sentenzen der Alten und Neueren finde, so wird mich dieses so zerstreuen, daß ich den Spruch des Horaz bewundern und meinen Autor darüber vergessen werde; oder vergesse ich ihn auch nicht gänzlich, so wird er doch meine Aufmerksamkeit mit dem Horaz teilen müssen, die er sonst ganz zu fordern hätte. Zu geschweigen, daß es bei vielen eine große Unbedachtsamkeit verrät, wenn sie den Leser zu oft an den Witz der alten und neueren Gelehrten erinnern. Sie verwöhnen ihn dadurch und machen, daß er lauter gleich witzige Sachen von ihnen verlangt. Ist der Verfasser nicht imstande, seinen Leser mit dergleichen beständig zu unterhalten,[30] so wird er es demselben auch nicht verargen können, wenn ihm seine Schrift ekelhaft wird. Ich habe heute Nachmittag ein Frauenzimmer besucht, welche zwar nicht schön, aber doch noch ganz leidlich häßlich ist. Sie hatte den Fehler begangen, verschiedene andere Frauenzimmer zu sich zu bitten, welche so schön waren, daß sie meine Aufmerksamkeit und die Bewunderung aller anderen Mannspersonen erweckten. Wir vergaßen uns so weit, daß wir uns nur mit diesen Schönen beschäftigten und an unsere nicht so schöne Wirtin beinah gar nicht dachten. Gegen diese bezeugten wir nichts, als nur die allgemeinen und nötigsten Höflichkeiten, deren wir ohne Beleidigung des Wohlstandes nicht überhoben sein konnten. Es war ein Fehler von uns, ich will es nicht leugnen; aber es war auch ein großer Fehler von unserer Wirtin, daß sie uns in eine Gesellschaft brachte, welche angenehmer und reizender war als ihre Person.

Die Anmerkung, die ich hier gemacht habe, gehört nur für diejenigen Skribenten, welche gut oder doch noch ziemlich gut sind. Es würde mir sehr leid thun, wenn sich die elenden Skribenten darnach richten wollten. Aus Liebe zu mir und zu allen Lesern will ich ihnen von ganzem Herzen anraten, daß sie allemal über die dritte Zeile den Homer, den Horaz, den Boileau, den Hagedorn und alle Schriftsteller, die anders sind als sie, anführen. Sie werden ihre Werke dadurch noch erträglich machen, und die Käufer haben Gelegenheit, wegen ihres aufgewandten Geldes sich desto mehr zu beruhigen. Ja, was noch mehr ist: sie locken vielleicht dadurch ihre Schriften zu lesen viele an, welche außerdem so viel Selbstverleugnung nicht haben würden, dieses zu thun. Alsdann geht es dergleichen Lesern wie den Liebhabern der Altertümer, welche in den betrübtesten Wüsteneien und mitten unter altem Schutt sich mit dem größten Vergnügen aufhalten können, weil sie noch hin und wieder den prächtigen Rest der alten Baukunst zu bewundern Gelegenheit finden.

Quelle:
Rabeners Werke. Halle a.d.S. [1888], S. 22-31.
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