Ein vernünftiges Bürgermädchen versichert dem gnädigen Junker, daß er ein Narr sei.

[155] Mein Herr!


Ihr Kammerdiener hat mir einen Brief von Ihnen überbracht, welcher vermutlich nicht an mich, sondern an eine andere Person gerichtet ist. Ich glaube nicht, daß ich mit meiner Aufführung Ihnen Gelegenheit gegeben habe, so nachteilig von mir zu urteilen. Ich halte es für kein Unglück, die Tochter eines ehrlichen Bürgers zu sein. Ich wäre meines rechtschaffenen Vaters unwürdig, wenn ich mich meiner Geburt schämen wollte. Unter den vielen Verdiensten, die Ihnen fehlen, ist allem Ansehen nach die Bescheidenheit eines der vornehmsten. So schlecht die Begriffe sind, die Sie sich von meiner bürgerlichen Erziehung machen, so wohl bin ich im stande, diesen Fehler an Ihnen wahrzunehmen.

Ich bin niemals so stolz gewesen, auf eine Verbindung zu hoffen, die über meinen Stand ist. Aber dazu bin ich doch[155] noch zu stolz, daß mir Ihr Antrag erträglich sein sollte. Das Vermögen, das ich besitze, und welches in Ihren Augen meinen ganzen Wert ausmacht, würde ich sehr übel anwenden, wenn ich mir dadurch das bittere Glück erkaufen wollte, die Frau eines Edelmanns zu werden, dessen Liebe so eigennützig und dessen Denkungsart so unedel ist.

Überlegen Sie es wohl, mein Herr, ob Sie nicht Ursache haben, mit meinem Entschlusse wohl zufrieden zu sein. Ihren vornehmen Verwandten erspare ich den Verdruß, sich meiner zu schämen, da es denselben weit rühmlicher sein muß, wenn ihr Vetter mit unbeflecktem Adel im Gefängnisse verhungert, als wenn er sich am Tische seiner bürgerlichen Frau sattessen kann. Sie selbst vermeiden die großen Gewissensbisse, die Nachwelt mit halbadeligen Kindern zu verwahrlosen.

Ich bin im Begriff, einem Ihrer stärksten Gläubiger meine Hand zu geben. Es wird dieses gewissermaßen zu meiner Beruhigung dienen, wenn ich Sie mit der demütigen und gebeugten Miene eines bösen Gewissens vor einem Manne stehen sehe, dessen Frau Ihnen ehedem verächtlich genug gewesen ist, ihr die empfindlichsten Grobheiten vorzusagen.

Sobald Sie im stande sein werden, einzusehen, daß Sie diese Vorwürfe verdient haben, sobald werde ich mir ein Vergnügen daraus machen, Sie aufrichtig zu versichern, daß ich mit aller Hochachtung sei,


Mein Herr,

Ihre Dienerin.[156]

Quelle:
Rabeners Werke. Halle a.d.S. [1888], S. 155-157.
Lizenz:
Kategorien: