Fünfter Auftritt.

[629] Phädra allein.


Er geht – Welch eine Rede traf mein Ohr!

Welch kaum ersticktes Feuer zündet sich

Aufs neu in meinem Herzen an! O Schlag

Des Donners, der mich trifft! Unselge Nachricht!

Ich flog hieher, ganz Eifer, seinen Sohn

Zu retten, mit Gewalt entriß ich mich

Den Armen der erschrockenen Oenone,

Die Stimme des Gewissens wollte siegen,

Wer weiß, wohin die Reue mich geführt!

Vielleicht ging ich so weit, mich anzuklagen.

Vielleicht, wenn man ins Wort mir nicht gefallen,

Entwischte mir die fürchterliche Wahrheit.

– Gefühl hat Hippolyt und keins für mich![629]

Aricia hat sein Herz und seine Schwüre!

Ihr Götter, da der Undankbare sich

Mir gegenüber mit dem stolzen Blick,

Mit dieser strengen Stirn bewaffnete,

Da glaubt ich ihn der Liebe ganz verschlossen,

Gleich unempfindlich für mein ganz Geschlecht,

Und eine andre doch wußt ihn zu rühren;

Vor seinem Stolz fand eine andre Gnade!

Vielleicht hat er ein leicht zu rührend Herz,

Nur ich bin seinen Augen unerträglich!

Und ich bemühe mich, ihn zu verteidigen!


Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 629-630.
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