Siebenter Auftritt

[174] Wurzel geht nach einer Flasche Wein, will trinken, stellt sie aber mißmutig zurück und setzt sich in einen Stuhl.

Lorenz.


LORENZ nähert sich Wurzel langsam. Wie ist denn Euer Gnaden?

WURZEL. Gar nicht gut. So gewiß dumm ist mir.

LORENZ. Ja, man sieht Ihnens an, völlig vernagelt schauen Sie aus.

WURZEL. Und was ists denn so kalt herin, hab ich denn 's Fieber?

LORENZ sieht zum Fenster hinaus. Ja ich glaubs, es fangt ja zum schneien an. Ah, das ist gspaßig! Da schauen S' naus in den Garten, alles ist weiß, und die Bäume, alle Blätter werden gelb.

WURZEL. Was ist denn das für eine Hexerei?


Habakuk bringt Champagner.


HABAKUK. Der Champagner ist da!

WURZEL. Marschierst! Einen Kamillentee laßt mir machen, und einheizen, man möcht ja erfrieren. Es wird im Kamin eingeheizt. Die Turmuhr schlägt Eilf. Jetzt hats elf Uhr gschlagen! Erst wars zwölf, jetzt ists wieder elf Uhr. Hat denn die Zeit einen Krebsen verschluckt, daß die Stunden rückwärts gehen? Es wird ja stockfinster, bringts Lichter! Es wird Nacht. Von außen Katzengeschrei: Miau! Miau!. So! jetzt singen die vierfüßigen Nachtigallen, das ist eine falsche Stund! Heftiges Pochen von außen. Ist schon wieder wer da? Verdammtes Gesindel! Ist denn keine Ruh! Schau hinaus. Wird wieder geklopft. Und das Klopfen! Wollen s' denn aus meinem Haus eine Stampfmühle machen?


Bediente bringen Lichter.


LORENZ hält den Kopf zur Glastür hinaus. Ui je! Ui je! Ein alter Herr mit ein Leiterwagen ist drauß, er will mit Ihnen reden.

WURZEL. Wer ist er denn?

LORENZ ruft hinaus. Wo sind wir denn her?

DAS ALTER von außen. Aus Eisgrub.[174]

WURZEL. Aus Eisgrub? Nein, was das für Visiten sein, da kenn ich kein Menschen.

ALTER von außen. Na, nur aufmachen. Ich bin das hohe Alter. Ich will hinein!

WURZEL. Das Alter? die Tür sperrst zu und unterstehst dich nicht, daß du ihn hereinlaßt.

ALTER von außen. Nun, wird die Tür aufgmacht oder nicht?

WURZEL. Nein, saperment!

ALTER von außen. Ah so? Nun, so komm ich schon mit Gewalt hinein!


Die Glastür wird vom Wind aufgerissen, so daß die Scherben davonfliegen. Das Alter fliegt herein auf einem Wolkenleiterwagen. Zwei Schimmel, alte Bauernpferde, sind vorgespannt. Der Wagen ist mit gelbem Gesträuch ausgefüllt. Das Alter sitzt in einem alten Hausrock, der bis an die Knie reicht, darin, den Kopf mit einer Pelzschlafhaube bedeckt, die Füße in Pölster gewickelt, auf dem Schoß einen schlafenden Mops und auf der Achsel eine Eule. Ein kleiner uralter Kutscher ist auf dem Bock. Der Wagen ist etwas beschneit.


ALTER mit kränklicher Freundlichkeit und persiflierendem Wohlwollen, steigt aus dem Wagen, mit einem Krückenstock. Sie verzeihen, daß ich so frei bin, meine mühselige Aufwartung zu machen. Ich weiß nicht, ob Sie mir es ansehen werden oder nicht, ich bin das hohe kranke Alter, Ihnen miserablicht zu dienen. Ich hab da ein Einquartierungszettel bei Ihnen.

WURZEL. Bei mir? Glaubt der Herr, bei mir ist ein Spital?

ALTER. Wird schon eins werden, wenn ich eine Weile da bin. Sein S' nicht bös, daß ich so unerwartet komm, gewöhnlich korrespondieren die Leut schon vorher mit mir, aber Sie haben ein braves Kind, die 's mit Ihnen gut gmeint hat, aus dem Haus gjagt, und da haben s' mich dafür gschickt. Nehmen Sie mich an Kindesstatt an.

WURZEL. Ja, aber z' Haus bhalt ich Ihn nicht, ich gib Ihn ins Kadettenstift nach Ybbs.

ALTER. I bewahr! wir werden uns schon miteinander vertragen, ich bin ein spaßiger Kerl. Ich mach noch an mancher Tafel, bei manchen Hausball meine Lazzi, ich hupf noch bei manchen Eccossais mit, bis mir einen rechten Riß gibt, hernach setz ich mich gschwind nieder.[175]

WURZEL. Ja, ja, gscheider ists!

ALTER. Wenn wir eine Weile bekannt sind, werden schon meine Verwandten auch ihre Aufwartung machen. Mein liederlicher Vetter, der verdorbene Magen, das wird der erste sein, der Ihnen die Honneurs machen wird, und meine Cousine, die Gicht, die hat mich schon versichert, sie kanns gar nicht erwarten, Sie an ihr gefühlvolles Herz zu drücken. Oh, hören S', das ist eine unterhaltliche Person, ich sieh Ihnen schon ordentlich nach Pistyan ins Bad mit ihr reisen, und treu ist sie –

WURZEL. Ich weiß, man bringt s' gar nicht los. Ein jeder sagt: da hast du s', ich mag s' nicht.

ALTER. Und was tun Sie denn, mein lieber Herr von Wurzel? Was gehen S' mir denn so kühl herum? Werden S' gleich ein Schlafrock anziehen? Sapperment hinein! so schauts doch auf euren Herrn! Ist ja ein alter Herr, müßt ja hübsch acht geben auf ihm. Wenn er euch stirbt, seids brotlos. Gleich bringts ihm ein Schlafrock!


Bediente wollen fort.


WURZEL. Nicht unterstehen – oder ich schlag einen hinters Ohr!

ALTER. Was, schlagen? Gleich niedersetzen!


Er nimmt ihn an der Hand und setzt ihn in einen Stuhl.


WURZEL. Himmel! wie wird mir?

ALTER. Nicht unterstehn und schlagen. Die Pferd schlagen aus, nicht die Leut. Damit Sie aber nimmer ausschlagen Berührt sein Haupt, und Wurzel bekommt ganz weißes Haar. – So, jetzt ist aus dem Bräunl ein Schimmel worden. So! hato! mein Schimmerl! Nu, nichts hato?

WURZEL weinend. Lorenz, mein Schlafrock.


Man zieht ihm denselben an, und zwar so, daß er dadurch zugleich sein Bauerkleid anzieht, dessen Ärmel in den Ärmeln des Schlafrocks stecken. Er bekommt einen kaschierten Kropf.


ALTER. So, mein lieber Herr von Wurzel! Tun S' mich nur gut pflegen, damit wir lang beisamm bleiben, mit mir muß man gar haiglich umgehn.

WURZEL. Aber was soll denn das heißen?[176]

ALTER. Das sind die Wintertag.

WURZEL. Ah, ich hätt glaubt, die Hundstäg!

ALTER. Wie mans nehmen will. Aber jetzt leben Sie wohl, ich hab mein Post ausgerichtet. Wenn S' mich auch nicht mehr sehen, Sie werden mich schon spüren. Für einhundert und dreißig Jahr können Sie sich ausgeben, auf mein Wort. Adieu! Umarmt ihn. Also schön merken: In der Früh ein Schalerl Suppen und ein Semmerl drinn, um ein elf ein bisserl in der Sonn spazierengehen, aber immer ein Hafendeckl auf den Magen legen, daß Sie sich nicht erkühlen. Z' Mittag ein eingmachts Henderl und ein halbs Seiterl Wein, und auf d' Nacht eine halbete Biskoten. Und gleich ins Betterl gehn. So! jetzt pa! pa! alter Papa, und befolgen Sie meinen Rat. Kein Tee müssen S' nicht trinken, den haben S' so schon. Er steigt in den Wagen. Hansel! langsam fahren, daß wir kein Unglück haben, mit die Teufeln von Rosser. Macht Pa aus dem Wagen. Gute Nacht! mein lieber Herr von Wurzel! gute Nacht!


Fliegt ab.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 174-177.
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