Schwesterngedicht

[221] Wien im Christmond 1785.


Ihr wähnet, dass die Maurerey

Kein Werk für Schwesternköpfe sey:

O Brüder, höret auf zu lästern!

Denn was ihr könnet, alles das

Gelinget ohne Winkelmass

Und Zirkel mancher unsrer Schwestern.


Ihr bringt's durch Theophrasts Arkan

Nun schon so weit, dass dann und wann

Die Tiegel sammt dem Golde scheitern:

Die Schwestern können, Gott weiss wie,

Doch sicher sonder Alchymie,

Euch euer Gold weit besser läutern.
[222]

Durch Schröpfers magische Gewalt

Bezähmt, muss manche Luftgestalt

Zu allem, was ihr wollt, euch taugen:

Die Schwestern fesseln einen Tross

Dienstbarer Geister manchmal bloss

Durch die Magie verliebter Augen.


O Brüder! Edelmuth verkennt

Nie neidisch fremden Werth, und gönnt

Gern jedermann sein Bisschen Ehre.

Drum gönnt sie unsern Schwestern auch!

Es tön' ihr Lob nach Maurerbrauch

Aus unserm blinkenden Gewehre!

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 221-223.
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