Der junge Odendichter

[214] Wien im Weinmond 1785.


Blest art indeed and glorious eloquence,

Where empty noise supplies the want of sense!

Pitt.


In einer Feyerabendstunde,

Als Titans röthlichgoldner Strahl

Sich allgemach bergunter stahl,

Macht' ich jüngst um den Wall die Runde:

Da stiess mir in gesporntem Lauf

Ein junger Musenzögling auf.
[215]

Willkommen, Bruder! sprach der rasche

Bartlose Dichterling zu mir,

Und zog ein Blättchen aus der Tasche.

Welch Glück für mich, dass ich Sie hier

Zu so gelegner Zeit getroffen!

Sie sollen über ein Paar Strophen,

Die ich, Gottlob! so eben nun

Nach langem schmerzlichen Bestreben

Zur Welt gebar, den Ausspruch thun.

Der Neugebornen Tod und Leben

Vertrau' ich Ihrer Willkühr an;

Denn, Freund! Sie sind ein wackrer Mann,

Der selber aus dem Quell der Dichter

Gern der Begeistrung Wonne schlürft,

Und dem, als einem biedern Richter,

Mein Geist sich willig unterwirft.

Entscheiden Sie als Freund und Kenner,

Ob diesem kleinen Lobgedicht

Der Stempel des Genies gebricht!

Die dreymaldreyfach grossen Männer,

Die durch ihr Licht das Labyrinth[216]

Der Maurerey erhellen, sind

Der Inhalt meiner kühnen Ode.

Ich suchte nach der neusten Mode

Die Sprach' ein Bisschen zu verdrehn,

Und Worte, die hübsch nervicht klingen,

Die Backen, wie ein Segel, blähn,

Und stürmend um die Ohren wehn,

In's Sylbenmass hineinzuzwingen;

Denn Dichter, die bis zu den Höhn

Der Sonn' empor auf Adlerschwingen

Die Mus' erhebt, muss unter zehn

Nur einer halb und halb verstehn.

Die Zeit ist hin, wo unsre alten

Reimstümper Uz und Hagedorn

Trotz ihrem schlechten Schrot und Korn

Für ächte gute Münze galten.


Bey diesem drollichten Prolog,

Wodurch mein Männchen mit Emphase

Für seinen Unsinn focht, verzog

Ich Auge, Stirne, Mund und Nase,[217]

Um des Gelächters Ungestüm,

So gut ich konnte, zu bekämpfen;

Denn eines jungen Dichters Grimm

Ist, wie bekannt, gar schwer zu dämpfen,

Und flammet, gleich verdorrtem Stroh,

Im Augenblicke lichterloh.


Ich suchte weislich mich zu fassen,

Und musste halb aus Bruderpflicht

Und halb aus Furcht durch sein Gedicht

Mein Trommelfell erschüttern lassen.

Mit tollen seltsamen Grimassen

Fieng unser junger Versemann

Nun seinen rauhen Päan an,

Und zog mit seinem Versgepolter

Mein Ohr, wie einst Domizian

Die Christen, schrecklich auf die Folter.

Geneigter Leser, hör' auch du,

Wie ich es that, mit ernster Stille

Dem skandinavischen Gebrülle

Des Herolds deutscher Skalden zu!
[218]

Dreymal drey Sonnenwenden vergeudet' ich,

Die Midasohren Geistesverschnittener

Durch Reimgetön zu kitzeln. Nimmer

Fröhn' ich dem Schellengeklingel förder.


Fleug Odenflug, mein kühner Gesang, hinfür!

Sternschnuppen gleich, scheuss stolz durch den Äther hin!

Sprich Hohn dem weichen Brautlenzreihnsang!

Schalle nur donnernden Feldschlachtzornlaut!


Wer ist der Erstling, den du, mein Saitenspiel!

Mit Windsbrautssturmkraft schnell wie Gedankenflug

Zum Sternenocean hinanhebst? ...

Edle Dynasten des königlichen


Dreydrillingsbundes, ihr seyd des Barden Stoff:

Euch hebt die Tuba bis an den Sternenkamp;

Ihr seyd die sicheren Piloten

Aufschlusserwartender Lichtumsegler.
[219]

Ihr seyd der tausendarmige Strom, der, ein

Leitfaden, strömt durch's mystische Labyrinth:

Ihr seyd der Pfeiler, der die grosse

Ampel des strahlenumströmten Lichts trägt.


Ihr seyd der Pfeilblitz, welcher den Waller durch

Gewitternachtgraun wonnige Pfade führt:

Ihr seyd der Aar, der unterm Fittig

Seiner befiederten Kindlein Brut schirmt.


Lobtönt, Posaunen! lispelt, o Harfen, Dank!

Psalmt Preis, ihr Zymbeln! jubelt, Trompeten! Feyrt

Laut von Äon hin zu Äon die

Ehre der Erben des Lichtstrahlquellstroms!


Vortrefflich! rief ich, meisterlich!

Sie liessen, wär's um eine Wette

Zu thun, selbst Pindarn hinter sich.

O pulcre, bene, recte! ... Hätte

Mir die Natur auch einen Mund[220]

Von Stahl und Eisen, einen Schlund

Von Kupfer, tausend ehrne Zungen

Und tausend adamantne Lungen,

Ihr Loblied kundzuthun, verliehn,

Nie reichten meine Kräfte hin;

Denn höher, feuriger und kühner

Schwang wahrlich keiner noch vom Chor

Der Odensänger sich empor ...

Ich bin Ihr ganz ergebner Diener.

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 214-221.
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