[138] Es hatte der erste Tag meiner Ankunfft seine Endschafft knap erreichet, als ich mich mit meiner Frau Mutter des kleinen Vetters halber wegen der gegebenen Presche gantz müde gekiffen hatte und mich der Hauß-Knecht mit einer papiernen Laterne hundert und 11 Treppen hoch zu Bette leuchten muste. Ich war kaum in die Schweins-Federn hinein gekrochen, so überfiel mich augenblicklich ein abscheulicher süsser Schlummer, daß man mich auch über das dritte Hauß schnarchen hören und fing da an zu träumen.
Nun war es der Tebel hohl mer ein sehr nachdencklicher Traum, denn mich träumete, wie daß ich auff der See wäre und wie daß mir so ein grausamer Durst ankam. Weil ich aber von guten Geträncke, womit ich mich gerne den Durst leschen wolte, nichts finden kunte, so war es nicht anders, als wenn ich meine Caper-Mütze nehme und schöpffte dieselbe voll See-Wasser, welche gekrübelte voll grosse rothe Würmer und grüne Maden war, die hatten der Tebel hohl mer grosse, lange, breite und spitzigte Zähne in den Schnautzen und stuncken wie das ärgeste Luder! Dasselbe Wasser soffe ich nun mit alle denen Würmen in mich hinein und schmackte mir so uneben nicht, denn die Würmer schlichen mir so glat mit hinunter, daß ichs nicht einmahl gewahr wurde. Doch einer wäre mir bald im Halse stecken geblieben, wenn ich nicht im Traume geschluckt hätte, denn er war mir mit seinen Zähnen in meinen Halse unter[139] der Zunge an den Zapffen hängen blieben. So bald ich aber einen Schluck that, war [er] augenblicks auch bey der sämptl. Compagnie. Nach Verfliessung einer Viertel Stunde hätte man schön schreyens und bölckens in meinen Magen gehöret! O sapperment! wie bissen sich da die Würmer und die Maden in meinem Leibe – es war der Tebel hohl mer nicht anders als wie eine Hasenhetze und bluteten alle mit einander wie die Schweine! Nachdem sie sich nun so eine gute Weile im Leibe herum gekampelt hatten, so wurde mir darauf abscheulich übel u. fing mich an zubrechen; da hätte man nun schön speyen gesehen! Wie ich spie – es ging der Tebel hohl mer hinten und forne 4 gantzer Stunden nach einander weg und im Traume immer ins Bette hinein, daß ich auch endlich gar darüber auffwachte. Wie ich nun auffgewacht war, so lag ich der Tebel hohl mer biß über die Ohren in lauter Unflathe und krochen in denselben wohl über hundert tausend solche rothe See-Würmer und grüne Maden mit grossen Zähnen herum, die frassen das Gespiene alle mit einander wieder auf und verschwunden hernach, ehe ich michs versahe, daß ich auch die Stunde nicht weiß, wo sie hinkommen seyn. Dasselbe Speyen continuirte bey mir nun 4 gantzer Wochen, eine Nacht und alle Nächte, denn es muste wohl von der Lufft herrühren, weil ich auch flugs so sehre an Händen und Füssen ausschlug. Es war der Tebel hohl mer mein gantzer Leib über und über wie eine bürckene Rinde und die Haut fing mir an zu Gucken wie nichts guts; daß[140] ich mir auch manchmahl, wenn ich den Caper-Rock angezogen hatte, das Leder so zerriebe, daß bißweilen die gläntzenden Rubinen wie Kleister oder Buchbinder Papp in meinen Caper-Rocke Finger dick kleben blieben. Ich brachte wohl ein gantz halb Jahr damit zu, ehe ich das Zeug vom Halse recht wieder loß werden kunte, und ich halte dafür, ich wäre es noch so bald nicht loß wieder geworden, wenn ich mir nicht von Bomolie und geklopfften Ziegel-Steinen eine Salbe hätte machen lassen und die Gelencke immer fleißig damit geschmieret. Ach! Bomolie, Bomolie! Das ist der Tebel hohl mer eine herrliche Artzeney vor die Krätze!
Nachdem ich mich nun innerhalb Jahres-Frist ein wenig ausgemaustert hatte und die Lufft in etwas wiederum vertragen kunte, so ging hernachmahls kein Tag vorbey, daß ich mich nicht continue mit meiner Frau Mutter zancken muste. Ich war auch solch Leben so überdrüßig, als wenn ichs mit Löffeln gefressen hätte und der Zanck rührete gemeiniglich wegen meines kleinen Vettern her, weil der Junge so Nase weiß immer war und mir kein Wort, was ich erzehlete, gläuben wolte.
Letzlich wie ich sahe, daß ich mit meiner Fr. Mutter gar nicht stallen kunte, befahl ich ihr, daß sie mir muste ein neu Kleid machen lassen und sagte: Sie solte mir mein Vater-Theil vollends geben, ich wolte wieder in die Frembde marchiren und sehen, was in Italien und Welschland passirete – vielleicht[141] hätte ich da besser Glücke als auff der Spanischen See. Meine Fr. Mutter die wolte mir nun an meinen Vorhaben nicht hinderlich seyn, sondern wäre mich damahls schon lieber heute als morgen gern wieder loß gewesen! Sie ließ mir ein schön neu Kleid machen, welches auff der Weste mit den schönsten Leonischen Schnüren verbremet war. Weil sie aber nicht flugs bey ausgebe-Gelde war und sonst noch eine Erbschafft in einer benachbarten Stad zu fordern hatte, so gab sie mir da eine Anweisung und ich solte in Nahmen ihrer mir dort das Geld zahlen lassen, damit sie mich nur aus den Hause wieder loß würde.
Hierauff war ich her und macht selben Tag noch einen Weg dahin und vermeinete, die Gelder würden da schon auffgezehlet liegen. Allein, wie ich hinkam, so wolte derjenige, welcher das Geld schuldig zu zahlen war, mich mit meiner Anweisung nicht respectiren, sondern sagte: ich wäre noch nicht mündig, und dazu wüste er auch nicht, ob ich der und der wäre. O Sapperment! wie verdroß mich das Ding, daß man mich vor unmündig ansahe, indem ich schon unzehliche Jahre in die Frembde weit und breit herum gesehen und einer mit von den pravesten Kerlen in der Welt gewesen war! Ich that aber das und erzehlete ihm die Begebenheit von der Ratte und von den Loche, wo sie solte hinein gelauffen seyn. O Sapperment! wie erschrack der Schuldmann hernach vor mir und schämete sich der Tebel hohl mer wie ein Hund. Er wäre – halt ich dafür – wohl noch halb so viel lieber schuldig gewesen, als daß er[142] mir nur das nicht mündig seyn unter die Nase gerieben hätte. Denn er sahe mich hernach allererst recht ins Gesichte, und da er spürete, daß mir was sonderliches aus den Augen heraus funckelte, so bat er bey mir um Verzeihung und kam auch flugs mit der Vorklage und sagte: Er wolte mir gerne die Erbschafft bezahlen, allein er wäre itzo nicht bey Mitteln. In 2 Jahren wolte er sehen, daß mir damit könte geholffen werden. Was wolte ich nun thun, wie ich sahe, daß es der gute Mann nicht hatte! Damit ich ihn aber nicht in Schaden bringen wolte (Denn wenn ich geklaget, hätte er mirs schon zahlen müssen und der Tebel hohl mer kein gut Wort darzu), so war ich her und verhandelte die gantze Erbschafft einen andern, den ließ ich mir vor den gantzen Qvarck den 4ten Theil zahlen und gab ihn in Nahmen meiner Fr. Mutter Vollmacht, das gantze Capital zu heben.
Als ich nun das Geld empfangen hatte – O Sapperment! wer war froher als ich, da wieder frische Pfennige in meiner Ficke klungen! So bald ich zu meiner Frau Mutter nach Schelmerode kam, machte ich mich wieder reisefertig und packte meine Sachen alle zusammen in einen grossen Kober, nahm von meiner Fr. Mutter wie auch meinen Jungfer Muhmen mit weinenden Augen wieder Abschied und war willens, mich auff die geschwinde Post zu setzen. Indem ich nun zur Stuben-Thür mit meinen grossen Kober hinaus wandern wolte, so kam mir mein kleiner Vetter entgegen gegangen, von dem wolte ich[143] nun auch gute Nacht nehmen. Wie ich ihn aber die Hand bot, so fing die Wett[e]r-Kröte an zu lachen und sagte: Es würde nicht nöthig seyn, daß ich von ihm Abschied nehme, meine Reise würde sich so weit nicht erstrecken, und wenn er sich die Mühe nehmen möchte, mir nachzuschleichen, so wolte er mich wohl im nächsten Dörffgen in einer Bauer-Schencke antreffen, allwo ich so lange verbleiben würde, biß die verhandelte Erbschafft in Toback und Branteweine durch die Gurgel gejagt wäre – hernach würde ich mich schon wieder einfinden! Ey Sapperment! wie verdroß mich das Ding von den Jungen, daß er mir von den nächsten Dorffe solche Dinge herschwatzte! Ich war aber nicht faul, sondern gab ihn unversehens eine solche Presche wieder, daß ihn das helle Feuer flugs zum Augen heraus sprang und marchirete hierauff mit meinen grossen Kober immer stillschweigens zur Stuben-Thüre hinaus und in vollen Sprunge – was läuffstu was hast du – nach den Post-Hause zu. Da hätte man nun schön Nachschreyen von meiner Fr. Mutter auff der Gasse gehöret, wie das Mensche hinter mir her schrie und sagte: Schlag, du Schelm, schlag, geh daß du Halß und Beine brichst und komm nimmermehr wieder vor meine Augen! Mein kleiner Vetter, das Naseweißgen, der verfolgete mich mit Steinen biß vor an das Post-Hauß, allein er traff mich nicht ein eintziges mahl.
Als ich nun vor das Post-Hauß kam und die geschwinde Post schon völlig besetzt war, so wolte mich der Postilion nicht mit nehmen. Doch that er mir den Vorschlag, daß ich mich hinter in die Schoß-Kelle setzen solte, wenn ich mit wolte. Worauff ich[144] mich nicht lange besann, sondern mit gleichen Beinen flugs mit meinen Kober hinein sprang und hieß den Postilion immer per postae eiligst zum Thore hinaus fahren.
Ausgewählte Ausgaben von
Schelmuffskys kuriose und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und Lande
|
Buchempfehlung
1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.
220 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro