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[42] Also auch Sie, Brutus – neigen zu eifersüchtigen Betrachtungen, wenn Sie des fremden Mannes gedenken. Wie dumm von Ihnen – Verzeihung für das harte Wort, aber ich bin so daran gewöhnt, daß Sie immer intelligent sind.

Vielleicht kann ich auch darüber nicht mitreden, ich habe kein oder sehr wenig Organ für Eifersucht – das ist mir schon häufig wie ein schwerer Defekt vorgehalten worden.

»Dann haben Sie noch nie wirklich geliebt« – wie oft habe ich das zu hören bekommen – und nichts darauf[42] geantwortet. A quoi bon? – Das weiß doch nur Gott allein.

Richtiger gesagt wäre wohl: nie lange genug geliebt. Für mich dauert jede Liebe, auch die ganz ernsthafte, nur so lange, wie ich eben die stärkste Attraktion für den in Frage kommenden Mann bin. Dann hört sie ganz von selbst auf. Und daß er meine Hauptattraktion war, ist immer schon vorher zu Ende gewesen. Auch habe ich nie das Verlangen gehabt, einen Menschen ganz zu ›besitzen‹ oder ihn über Gebühr festzuhalten. Dazu ist das Leben zu kurz. Und wer mich festhalten wollte – es kam hier und da vor – ist niemals sehr zufrieden mit dem Erfolg gewesen.

Meine Unbeständigkeit ist also eigentlich ein schöner und altruistischer Zug, es macht mir gar kein Vergnügen, anderen Leiden zu verursachen.

Ebensowenig gereicht es mir zur Freude, wenn man mich mit Eifersucht plagt, ich habe nie recht begriffen, warum die Menschheit diese unangenehmen Emotionen so kultiviert. – Treue ist vielleicht eine besondere Begabung, ein Talent. Wie kann man Talent von jemand verlangen, der es nicht hat? Aber ich meine, es läßt sich durch Takt und Diskretion ersetzen.

Es ist doch jedesmal etwas anderes, was uns zu den verschiedenen Menschen hinzieht: der fremde Mann ist tiefe Sensation ohne Gemütsbeteiligung – ein anderer geht ans Herz und weckt wahres Gefühl – ein junger Knabe lockt uns zu einem romantischen Frühlingserlebnis – dann gibt es wieder jemand, mit dem man sich nur amüsiert, oder es läuft zufällig und geschwind irgendein heiteres Abenteuer über den Weg... Doktor, ich kann Ihnen beim besten Willen nicht alle die vielen[43] bunten Möglichkeiten an den Fingern herzählen, aber Sie werden zugeben, daß sie sich schwerlich in einem einzelnen Menschen beisammenfinden. Und im Leben lassen sie sich auch nicht so hübsch der Reihe nach anordnen. Es gerät immer alles durcheinander.

Sie haben mir einmal einen Vortrag über ›typische Erlebnisse‹ gehalten. Ich glaube, der andere, die anderen sind von jeher mein typisches Erlebnis gewesen. Und deshalb kam ich nie dazu, einem treu zu bleiben. Schon allein der fremde Mann hat es auch in den stabilsten Zeiten unmöglich gemacht.

Ein harmloses Beispiel:

A... holt mich ab, zu irgendeiner Unternehmung. B..., der mich auch abholen will, kommt dazu. Wir gehen also alle drei miteinander. Zu merken: ich stehe beiden noch ganz unbescholten gegenüber. – In bezug auf A... habe ich meine Vermutungen – er lädt mich denn auch auf übermorgen ein, aber es interessiert mich einstweilen noch nicht besonders. B... begleitet mich heim – ich habe gar keine Vorahnungen, aber es folgt ›une de ces heures‹ und so weiter... und dann natürlich auch eine Verabredung auf übermorgen.

Der Abend mit A... geht in Szene und endigt schicksalsvoll, wir verlieben uns heftig und auf Dauersache. Ich fühle auch gar kein Verlangen, ihn gleich von vornherein zu hintergehen, aber ich habe B... auch sehr gerne und würde es ungerecht finden, ihn nun umgehend wieder zu versetzen. Wie peinlich außerdem, ihm beim ersten Rendezvous zu sagen: ich habe mich gestern in A... verliebt – leben Sie wohl!

Am meisten Kopfzerbrechen hat mir die Frage gemacht, welcher von ihnen nun eigentlich der andere war.[44]

Und das ist immerhin noch ein einfacher Fall, die Sache kann auch komplizierter liegen.

Nein, guter Freund, es ist, weiß Gott, nicht immer leicht, seinen ›erotischen Verpflichtungen‹ nachzukommen. Monogamie und Treue sind sicher eine große Vereinfachung des ›Problems‹.

Sie möchten wissen, was es mit der irdischen und himmlischen Liebe für eine Bewandtnis hat. Es ist eine häufige Erscheinung – ich kenne mehr als einen Mann, in dessen Liebesleben diese sinnige und zweckmäßige Zweiteilung eine Rolle spielt. Ob sie auch bei Frauen vorkommt, weiß ich nicht. Von Frauen weiß man überhaupt sehr wenig, wenn man selber eine ist.

Die himmlische ist natürlich ein ›Wesen‹, das weit über allen anderen steht und das er aus irgendwelchen Gründen nicht in realere Sphären hinabziehen kann oder will – so etwa, was man eine Lichtgestalt nennt. Es gehört dazu, daß sie für ihn und sein irdisches Treiben die nötige Auffassung hat, er darf schuldbeladen zu ihr kommen und fühlt sich durch ihr Verstehen entsühnt. Das haben ja manche Männer gern.

Die irdische ist – nun, einfach eine Frau, mit der man intim liiert ist. Vor allem muß sie einer Bedingung entsprechen: sie darf ihn nicht ganz für sich haben wollen und nicht neugierig auf die himmlische sein.

Es ist auch überflüssig, denn er ist manchmal innerlich zerrissen, und dann erzählt er aus eigenem Antrieb von ihr. Man tut am besten, ergriffen zu schweigen.

Die irdische Liebe kann natürlich wechseln, die himmlische bleibt im allgemeinen dieselbe. Ich bin, soweit ich mich erinnern kann, immer nur die irdische gewesen. Man hat mir erzählt, daß die irdische manchmal sehr[45] böse wird, weil die andere ihm in seelischer Beziehung mehr bedeutet. Ach du liebe Zeit, seelische Eifersucht ist nun vollends nicht meine Sache. Man lasse doch seine Seele unvermählt! – Im Gegenteil, man denkt nicht ohne Vergnügen, die himmlische hätte allen Grund eifersüchtig zu sein. Sie ist es auch gewiß.

Die himmlische Liebe ist meistens eine verheiratete Frau. Entweder ist sie mit ihrem Mann nicht glücklich geworden und hat dann erst den anderen kennengelernt. Oder sie kannten und liebten sich schon vorher, und aus einem oder dem anderen zwingenden Grunde hat sie ihn nicht geheiratet. Die beste Konstellation ist, wenn sie sich erst zu spät darüber klar wurden, daß sie für einander geschaffen waren – überhaupt irgendein unseliges: zu spät, das nun seinen Schatten auf beider Leben wirft.

Manchmal – seltener – ist es auch ein junges Mädchen, das er später einmal heiraten will.

Die mit der himmlischen Liebe sind also eigentlich die monogamen Männer oder solche, die es werden möchten.

Sie vertiefen sich mit großem Interesse in das Leben der unmonogamen Frau und zittern in dem Gedanken, die himmlische Liebe könne auch einmal ähnlich empfinden.

Teurer Freund, ich renommiere gerne damit, daß man mich niemals versetzt hat, aber bei dieser Gelegenheit fällt mir aufs Herz, daß mein blanker Schild doch wohl einen Flecken aufzuweisen hat. Einmal – ja, einmal hat eine himmlische Liebe mich zu Fall gebracht. Sie war zu stark, und er fühlte sich dem Zwiespalt nicht mehr gewachsen, konnte mir nicht länger angehören, weil er[46] immer an diese Frau dachte, die ihm nie angehören würde.

Das teilte er mir sehr betrübt mit, und für mein einfaches Gemüt war es entschieden zu kompliziert. Ich gab mir alle Mühe, es tragisch zu nehmen, denn ich hatte ihn sehr gern, aber ich empfand im Grunde doch nur etwas Ähnliches wie: Guter Junge! es regnet! – Und als ich ihn nach einiger Zeit wiedersah, konnte ich ihn nicht mehr ausstehen, er fiel mir nur noch auf die Nerven. – Halten Sie es für möglich, daß das am Ende doch Eifersucht war?

Quelle:
Franziska Gräfin zu Reventlow: Romane. München 1976, S. 42-47.
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