Zweite Szene


[833] Personen: Vorige und Ernst Erben.


Ernst und Sophie umarmen sich. Währenddessen beginnt die Uhr laut fünf zu schlagen. Sophie löst sich aus den Armen ihres Gatten.


SOPHIE drollig. Pststst!

MUTTER UND ERNST. Was ist denn?

SOPHIE. Du sollst hören, Mama. Gerade der letzte Schlag fünf. Und hier, ich habe die Ehre, dir meinen pünktlichen Gemahl vorzustellen.

ERNST. Was hast du denn?

MUTTER Ernst die Hand reichend. Guten Abend, lieber Ernst. Ein neues Blatt in deinem Lorbeerkranze: deine Pünktlichkeit.

SOPHIE. Jetzt hast du's bei Mama vollends gewonnen.

ERNST. Wieso?

MUTTER. Ja, mein lieber Schwiegersohn, ich habe viele gute Eigenschaften an dir entdeckt, auch, daß du nicht rauchst usw. Aber seit ich weiß, daß du pünktlich bist – ich sag dir: du kannst mich um den Finger wickeln.

ERNST. Ja – das ist kein Verdienst; das ist eine alte Gewohnheit.

MUTTER. Und Scherzhaft. was liegt auch an dem Beifall der Schwiegermutter. Die kommt ja ohnehin nur auf des Teufels Geheiß jeden Augenblick ins Haus ...

ERNST. Das glaubst du doch selbst nicht, Mama, du weißt, wieviel wir dir zu danken haben.[834]

MUTTER. Ach was danken. Im Glück ist man undankbar und soll es sein. Ja, ja. Aber ich muß mich eigentlich wirklich entschuldigen, daß ich schon wieder da bin.

SOPHIE vorwurfsvoll. Mama.

MUTTER. Nicht bei dir, bei deinem Herrn Gemahl. Und besser als alle Entschuldigung ist wohl, wenn ich mich jetzt zusammenpacke.

ERNST. Du darfst uns nicht die Ruhe wegtragen, und du kränkst mich auch, wenn du gehst, eben, da ich eintrete.

SOPHIE drückt sie zärtlich in die Couchette zurück. Sooo.

ERNST holt einen Fauteuil und setzt sich vor die beiden Frauen. Wie gehts dem Schwiegerpapa?

MUTTER. Wie immer: gut, bis auf seine Launen und seine Gicht. Die macht ihm jetzt im Frühjahr wieder mehr zu schaffen, und er ist gleich ganz klein, wenn er Schmerzen hat. Zudem weiß er nicht was anfangen, seit er nicht mehr in die Kanzlei geht. Ich kann ihm auch nicht grade was Munteres erzählen, das ihn herausreißt und aufheitert, na und ... wir sind halt beide altes Eisen.

ERNST. Darüber bin ich beruhigt. Wer so tätig ist, wie du, Schwiegermama, der kommt nicht zum Rosten. Und schließlich ist das die Hauptsache: daß man nicht rostet.

MUTTER. Ja, das mit dem Rosten wird vielleicht auch nicht mehr lange dauern. Mir mags gar nicht mehr behagen in meinen vier Mauern, seit ich bei euch alles gesehen hab. Und dann ist auch das mit der Agla.

ERNST steht auf und geht ans Fenster.[835]

SOPHIE. Weis ist denn schon wieder mit ihr?

MUTTER. Immer die alte Geschichte. Ich versteh das nicht: sie liegt über Büchern den ganzen Tag, oder sie läuft auf den Gassen herum. Weiß ich warum? Entweder sie spricht gar nichts, oder so, daß ich nichts begreife. Ich frag mich: ist das so gescheit was sie sagt, oder ist es ganz Unsinn.

SOPHIE. Oh das ist ganz Unsinn.

MUTTER. Aber, das was du kennst, das war ja noch gar nichts. Jetzt solltest du sie hören. Seit du verheiratet bist. Ganz furchtbar ist das seither. Bis es dem Papa zuviel geworden ist, und der ist doch immer voller Nachsicht mit ihr. Und denk dir nur, das muß ich euch erzählen: Neulich sag ich ihm, er soll doch mal mit dem Kind reden, energisch, mein' ich. Wie ich nach zwei Stunden hineinkomme, sitzt euch der alte Mann da, mit leuchtenden Augen sitzt er euch da und horcht und die Agla spricht. So übertrieben wie immer. Ich glaube gar, sie hat ihm irgendeine Lehre gegeben. Ich weiß nicht, es ist etwas in dem Mädel – wenn ich mich und dich anschau – Sophie, – ich kanns gar nicht glauben, daß das meine Tochter ist. Du bist doch so vernünftig, so häuslich ...

ERNST nachlässig, vom Fenster her. Vielleicht solltest du sie nicht so viel allein herumlaufen lassen?

MUTTER. Sag ihr das Einer. Sie will selbstständig sein.

SOPHIE. Ach was, ich war doch auch selbstständig und ihr hättet mich schön angeschaut, wenn ichs so getrieben hätte.

MUTTER. Nehm ich sie mal vor und sag ihr: Agla, das[836] schickt sich nicht. Gut. Sie sperrt sich in ihr Zimmer ein, und bleibt drin, ganz folgsam, bis ich sie endlich bitten muß, wieder auszugehen. Wie sieht sie denn aus. Sie wird achtzehn jetzt und ist doch noch so zart. Sie muß ja an die Luft. – Wenn sie schon sonst nirgends hin will. Längst hätt ich sie einführen können. Die Verbindungen in der Gesellschaft hat man noch gehabt. Alle deine Tänzer hätten sich für deine Schwester interessiert. Das ist nun alles vorbei. Ja, das sind so Sorgen.

SOPHIE ernst. Sag ihr nur, ich laß ihr sagen, daß sie ein Kind ist, daß – – – sie weiß schon, was ich ihr sagen lasse.

MUTTER. Dabei sieht sie wirklich so elend jetzt aus, daß man kaum wagt, ihr was zu sagen. – Da ist halt auch noch die Stadtluft obendrein. Ich hab mir schon gedacht, jetzt, wo die Sonne Wunder tut, für zwei oder drei Tage, natürlich nur für zwei oder drei Tage irgendwo hinaus ....

ERNST sich umwendend. Ja, – ja, Eifrig. das wäre vielleicht das Beste.

MUTTER. Länger könnts ja nicht sein – aber vielleicht kann sie, damit sie nicht unter Fremden ist, im Garten bei euch zwei bis drei Tage? ...

SOPHIE hastig. Nein.

ERNST ebenso. Nein.


Sophie und Ernst tauschen unwillkürlich einen erstaunten Blick. Die Mutter sieht sie, verwundert über das Entschiedene des Tones, an.


ERNST etwas verlegen hinzutretend. Ich meine – – bei uns ist – – doch noch nicht – – –[837]

SOPHIE. Ernst meint – unsere – Wohnung – –

MUTTER hat sich gefaßt, lachend. Nein, bin ich aber auch – Mit mir ist doch nichts mehr anzufangen. Einem jungen Ehepaar Gäste anzutragen. Nein, und so verrückte Gäste. Und in den ersten Flitterwochen. – – Lachend. Schau mal, Mäuschen, ich glaube gar dein Mann wird für dich rot. Was? oder bist du's am Ende auch – richtig. Du auch! Nein, was ihr herzig seid. Wie zum Spielen. Beide werden sie rot. Sie liebkost Sophien. Nun, nun – diese ungeschickte Schwiegermutter. Denkt daß zwei, drei Tage ein kleiner Verlust wären, zwei, drei Tage – eine Ewigkeit. Nein, das kommt davon: ich werde wieder jung bei euch, Kinder. Und gründlich gleich so jung, daß ich ganz naiv bin. – Aber so werde doch nicht schon wieder rot. Gott, Gott. Jetzt schau ich aber, daß ich fortkomm. Weiß der Himmel, was ich sonst noch anstell. Bitt dich, Packt den Ernst zärtlich am Arm. sie ist ganz rot. Schau zu, wie du's abwaschest ... Schau zu ... Sie küßt Sophien rasch, zwinkert Ernst zu und geht zur Tür. Zu Ernst, der sie begleiten will. Geh nur, ich find schon. – Wirst du zum Frauchen! Lacht. Ab.


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 4, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 833-838.
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