Fünfte Szene


[847] Vorige.


ERNST. Wollen wir nicht Licht machen?

SOPHIE. Aber es ist ja schön so.

ERNST. Ich werde doch noch ein wenig arbeiten.

SOPHIE. Gönn dir doch noch eine Weile. Schau wie schön das draußen ist. Und wenn man jetzt so hinaussieht, meint man da nicht, unser Garten reicht weit, weit bis an die Türme.

ERNST lächelnd. Was du schwärmen kannst.

SOPHIE. Ich lerns jetzt. Zu Hause war nicht recht die Ruhe dazu – aber jetzt. Und dann: ich war auch noch nicht reif genug.

ERNST. Zum Schwärmen?

SOPHIE. Ja, man muß dazu reif sein, wenns nämlich wirklich eine Kunst sein soll. Man muß erst Jemanden sehr gern haben, so wie ich dich.

ERNST warm. Mein goldenes Glück bist du!

SOPHIE. Das will ich auch sein. Aber nicht »golden« – bitte. Lieber: – lebendig.[847]

ERNST. Also mein lebendiges Glück.

SOPHIE streicht ihm kosend durchs Haar. Übermütig. Aber du stichst ja. Was du für kurze Haare hast. Geh!

ERNST geht lachend ein paar Schritte zurück. Auf einmal.

SOPHIE. Ja siehst du, das kommt schon davon, daß ich das Schwärmen lerne. Jetzt möcht ich dich so mit langen, goldenen Locken. Lacht ausgelassen. Aber, Ernst, einmal hast du doch auch Gedichte gemacht. Nicht wahr? Nun – du darfst mich nicht so grimmig ansehen. Ich meine vor langer, langer Zeit. So mit siebzehn? –

ERNST. Mit siebzehn? Ich will dir ganz genau sagen, Kind, was ich mit siebzehn getan hab. Wart mal: Da war ich auf dem Gymnasium und außerdem habe ich faulen Kindern Privatstunden gegeben und nachts – da werd ich wohl um paar Groschen irgendwas abgeschrieben haben, so lange Licht und Augen aushielten. Und wenn dann noch ein Stück Nacht übrig war, hab ich wahrscheinlich doch am liebsten geschlafen – statt Gedichte zu machen. Sophie schweigt verlegen. Ja zum Romantischsein hat mir immer die Zeit gefehlt. Es ist ganz wie mit den langen Haaren. Wer zeitig bei schlechtem Licht aufstehen muß, bleibt auch nicht lang vor dem Spiegel stehn. – Erst du hast mich ja ein wenig eitel gemacht, Kind ... – Sophie steht immer noch in Gedanken. Was denkst du denn?

SOPHIE. Ich muß daran denken, daß du in den Nächten abgeschrieben hast. – Aber nicht wahr – du hast doch nie – – Hunger hast du doch nie gelitten?

ERNST. Auch.


[848] Sophie sieht ihn scheu und bewundernd an.


ERNST traulich. Nun, ich habs ja ohne Schaden überstanden. – Aber du siehst jetzt ein, meine Zeit war knapp. Wenn ichs so gemacht hatte, wie die meisten, wo war ich jetzt. Für mich hats geheißen, gradaus nicht rechts und nicht links schaun – immerzu. Drum hab ich mich auch so vor allen Frauenzimmern gefürchtet und auch vor dir.

SOPHIE. Wirklich?

ERNST. Du warst die Erste, an die ich hab denken müssen. Ja, du Kindskopf, du hast mich furchtbar gestört. Für dich hab ich eben Zeit finden müssen. Aber zum Schwärmen bleibt mir auch jetzt keine übrig. Ich seh ganz deutlich, wo unser Garten zu Ende ist.

SOPHIE drollig. Du Armer, sei nicht traurig deshalb. Dann kommt es noch über dich.

ERNST belustigt. Was du nicht sagst!

SOPHIE. Einmal kommts über Jeden.

ERNST kurz. Nun – ich bin zu alt dazu. – Und jetzt wollen wir Licht machen.

SOPHIE tritt an den Spiegeltisch, auf welchem die Lampe steht: Ja, du Ungeduldiger, ich laß dich ja schon zu deinen Plänen.


Ernst läßt sich am Schreibtisch nieder, Sophie stellt die brennende Lampe vor ihn hin, küßt ihn auf die Stirne und geht rechts ab.


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 4, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 847-849.
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