Vierte Szene


[841] Vorige


Ernst setzt sich auf die Couchette, Sophie geht einen Augenblick in schlecht verhehlter Ungeduld auf und nieder.


SOPHIE bleibt vor Ernst stehen. Ich muß dich etwas fragen.

ERNST scheinbar gelassen. Nun?! –

SOPHIE. Früher, wie Mama vorschlug, daß meine Schwester – herauskommen sollte – Sie zögert.

ERNST. Ja – Gereizt. nun was denn? – –

SOPHIE. Bist du böse?

ERNST gezwungen lachend. Nun so sag schnell was denn?[841]

SOPHIE. Wie Mama das vorgeschlagen hat, da hast du so seltsam ›Nein‹ gesagt. So ...

ERNST mit dem Versuch zu scherzen. Du Kindskopf. Was du auch Alles hörst. Wie kann man seltsam ›nein‹ sagen. Man sagt eben ›ja‹ oder ›nein‹. – Nun ich hab mir in Anbetracht verschiedener Umstände, die ich dir Er zieht sie auf den Schooß. gern näher erklären will, erlaubt, das letztere zu wählen. Du hast doch genau dasselbe gesagt?

SOPHIE mechanisch. Ja freilich – ich hab genau das selbe gesagt.

ERNST ablenkend. Nun also. Nun hab ich doch die Absolution. Hm? Küßt sie.

SOPHIE abwehrend. Nicht.

ERNST. Nun? –

SOPHIE. Verzeih, ich war so in Gedanken. Da, küß mich viel.

ERNST. Du, Kind; kannst du auch in Gedanken sein. Küßt sie.

SOPHIE unter seinen Küssen, zaghaft. Ich hab etwas auf dem Herzen, Ernst, – ich habs dir nicht sagen wollen, aber –

ERNST wieder unruhig. So arg wirds ja nicht sein.

SOPHIE. Arg ist es vielleicht nicht. Ich kanns nur nicht verstehen. Sie steht von seinem Schooß auf. Du wirst ja verstehen, was es ist. Sie steht sinnend vor ihm.

ERNST schweigt. Kämpft mit einem Entschluß und reicht Sophieen dann einen Brief. Lies das da übrigens. Das wird das beste sein.


Sophie nimmt hastig den Brief an sich, knittert ihn mit zitternden[842] Fingern auf und liest ihn in atemloser Spannung; plötzlich beginnt sie ihn zu zerreißen, mit heftigem Haß, in kleine Fetzen, dann tritt sie die einzelnen Restchen, die zu Boden fallen, nieder, als ob es Flammen wären, – ihr Gesicht ist ganz verzerrt.


ERNST erschrocken. Aber, Kind, Kind.

SOPHIE stößt seine beruhigenden Arme fort. Und du?

ERNST. Fasse dich, Liebling. – Du siehst ja – ich war um fünf Uhr da.

SOPHIE allmählich ruhiger werdend. Ja, ja, du warst ja da.

ERNST. Solche Briefe, wie den da, hat mir die Agla oft geschrieben.

SOPHIE. Das ist gemein, das ist ...

ERNST. Das ist krank.

SOPHIE. Die eigene Schwester. Plötzlich in jähem Mißtrauen. Und bist du nie, nie hingegangen, auch nicht einmal?

ERNST. Nie.

SOPHIE ängstlich. Geh nie hin – versprich mir.

ERNST. Ich versprech es dir. Und nun hör zu. Wir wollen jetzt ruhig darüber reden. Setz dich. Sie sitzen nebeneinander auf der Couchette.

SOPHIE aufatmend. Und du hast mich lieb?

ERNST. Sehr lieb, Sophie. Nun gieb mal acht. Alle diese wahnsinnigen Briefe, welche deine Schwester mir geschickt hat, habe ich verbrannt, die meisten ohne sie zu lesen. Das war unrecht. Wir hätten sie zusammen lesen sollen und irgend etwas dagegen tun – zusammen.

SOPHIE in inniger Zustimmung. Ja.

ERNST. So wäre vielleicht längst schon Alles in Ordnung. Eine Frau findet da eher das Richtige. Ich versteh solche Sachen nicht. Mir graut vor solchen Überspanntheiten.[843] Solche Dinge sind nicht wert, daß man drüber nachdenkt, und doch stören sie einen immer wieder in der Arbeit und in allem Möglichen. Deine Schwester ist krank. Das sind ja alles Worte, die sie gar nicht versteht. Phantasieen, die gewiß mich selbst gar nichts angehen, sie kennt mich ja kaum, sondern irgend einen Traumhelden. Wenn ich mal mit ihr sprechen könnte, wäre sie wohl am schnellsten enttäuscht. –

SOPHIE macht eine Bewegung.

ERNST. Nein, das geht indessen nicht. Sie steckt zu tief drin. Und drum wollen wirs so machen. Wir wollen dagegen ankämpfen wie zwei gute Kameraden. Das heißt: Wir wollen ganz aufrichtig sein gegeneinander. Uns Alles ohne Rückhalt erzählen, was diese Sache betrifft. Willst du?

SOPHIE. Ja Alles. –

ERNST. So werden wirs zusammen durchmachen. Du kennst ja auch deine Schwester besser wie ich ...

SOPHIE. Ich fürcht mich vor ihr.

ERNST. Dazu ist kein Grund da. Schau, wenn wir uns Alles sagen – was kann sie uns denn dann anhaben.

SOPHIE. Sie ist mir immer so unheimlich gewesen.

ERNST. Ach, wir werden schon mit ihr fertig werden.

SOPHIE bange. Und du glaubst nicht –

ERNST. Was denn?

SOPHIE. Daß sie dennoch

ERNST. ?

SOPHIE verwirrt. Daß sie das tut

ERNST. Was?[844]

SOPHIE. Das, was im Brief steht ...

ERNST. Nein, da kannst du ruhig sein, Sophie. So schnell geht man nicht ins Wasser. Das schreibt sich ja sehr schön und paßt ja auch so gut als Schlußkapitel in den Roman. Aber tun – nicht mal sagen –

SOPHIE erschrocken. Sagen – oh ja.

ERNST. Wieso?

SOPHIE. Sie hat mirs gesagt.


Ernst springt auf.


SOPHIE. Gott, ich hab dirs ja immer sagen wollen. Aber es war so furchtbar. Verzeih mirs. Ich – – Sie bricht in heftiges Weinen, aus.


Ernst geht erregt auf und nieder.


SOPHIE. Hätt ich dirs nur gleich erzählt. Aber, mir war immer: ich verlier dich, – wenn ichs sag.

ERNST hart. Wann wars?


Sophie ringt mit den Tränen. Ernst beschwichtigt sie ungeduldig.


ERNST. Wir wollen ja beide jetzt aufrichtig sein. Nicht? Also:

SOPHIE. Ja. Faßt sich. In der Nacht vor der Hochzeit. Ich war schon im Bett. Da ist sie zu mir gekommen. Die Stimme stockt ihr vor Erregung.

ERNST. Du hast ja doch keine Schuld dabei; bleib doch vernünftig.

SOPHIE mühsam. Sie ist zu mir gekommen und hat gesagt: »... Du ... du darfst ihn nicht heiraten ... ich hab ihn lieb er gehört mir ...«

ERNST bleibt stehen. Er – gehört mir?

SOPHIE. Erst hab ich gelacht; ich hab ja doch gewußt ... Aber die Agla war so zum Fürchten. Ganz groß[845] waren ihre Augen im Finstern, ganz wild. Mir ist schrecklich bang geworden. »Er muß mir gehören« hat sie gesagt.

ERNST schüttelt den Kopf. Und du?

SOPHIE. Ich? Ich weiß nicht mehr. Daß ichs der Mutter verraten würde, – daß wir uns versprochen haben, daß du mich gern hast ... daß du mich sehr gern hast – lieb hast ... und da – Ernst streicht ihr, vor ihr stehend, leise das Haar. Da ist sie fortgegangen. Und bei der Tür hat sie mit ganz anderer Stimme – ganz fremd hat sie gesagt: »Dann geh ich – dann geh ich ...« Sie klammert sich bang an Ernst. Ich hörs noch. – Sie hat nicht mehr gesagt. Aber ich hab gefühlt, sie tuts – sie tuts. Sie geht sterben. Du, das war eine Nacht. Ich hab den Gedanken nicht los werden können: Dir ist was geschehn. Ich war am liebsten zu dir. Ich hab gebetet bis früh. Ich hab so viel gebetet. Und mir ist doch nicht leichter worden. Erst wie ich dich dann früh gesehn hab – froh und gesund .... Sie umarmt ihn leidenschaftlich.

ERNST in Gedanken. Ist das Alles?

SOPHIE aufatmend. Alles ... Und jetzt ist es von mir. Es war immer noch auf mir gelegen. Jetzt will ich wieder froh sein, wie damals früh. Sie umarmt ihn wieder.

ERNST. Du Arme.

SOPHIE. Ach denk du auch nicht mehr daran. Mir ist so froh jetzt seit du's weißt. So frei.

ERNST. Ja – wir wollen nicht davon sprechen. Und nur das Eine: zusammenhalten und aufrichtig sein.

SOPHIE steht auf. Ja.[846]

ERNST. Ganz aufrichtig.

SOPHIE voll fröhlicher Zuversicht. Bis ganz tief hinein ins Herz wollen wir uns schauen – ja?

ERNST gerührt, auch wieder froh. Du Liebe!

SOPHIE. Du! Sie halten sich bei den Händen und sehen sich treu in die Augen.


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 4, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 841-847.
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