Leda

[558] Als ihn der Gott in seiner Not betrat,

erschrak er fast, den Schwan so schön zu finden;

er ließ sich ganz verwirrt in ihm verschwinden.

Schon aber trug ihn sein Betrug zur Tat,


bevor er noch des unerprobten Seins

Gefühle prüfte. Und die Aufgetane

erkannte schon den Kommenden im Schwane

und wußte schon: er bat um Eins,


das sie, verwirrt in ihrem Widerstand,

nicht mehr verbergen konnte. Er kam nieder

und halsend durch die immer schwächre Hand


ließ sich der Gott in die Geliebte los.

Dann erst empfand er glücklich sein Gefieder

und wurde wirklich Schwan in ihrem Schooß.

Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 558.
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