An meinen Kaktus

[355] Du alter Stachelkaks,

Du bist kein Bohnerwachs,

Kein Gewächs, das die Liebe sich pflückt,

Sondern du bist nur ein bißchen verrückt.


Ich weiß, daß du wenig trinkst.

Du hast auch keinerlei Duft.

Aber, ohne daß du selber stinkst,

Saugst du Stubenmief ein wie Tropenluft.


Du springst niemals Menschen an oder Vieh.

Wer aber mit Absicht oder versehentlich

Sich einmal auf dich

Setzte, vergißt dich nie.


Ein betrunkener, lachender Neger

Schenkte dich mir, du lustiges Kleines,

Daß ich den Vater ersetze dir kantigem Ableger

Eines verrückten, stets starren Stachelschweines.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 355-356.
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