Silvester

[334] Daß bald das neue Jahr beginnt,

Spür ich nicht im geringsten.

Ich merke nur: Die Zeit verrinnt

Genau so wie zu Pfingsten,


Genau wie jährlich tausendmal.

Doch Volk will Griff und Daten.

Ich höre Rührung, Suff, Skandal,

Ich speise Hasenbraten.


Mit Cumberland, und vis-à-vis

Sitzt von den Krankenschwestern

Die sinnlichste. Ich kenne sie

Gut, wenn auch erst seit gestern.


Champagner drängt, lügt und spricht wahr.

Prosit, barmherzige Schwester![334]

Auf! In mein Bett! Und prost Neujahr!

Rasch! Prosit! Prost Silvester!


Die Zeit verrinnt. Die Spinne spinnt

In heimlichen Geweben.

Wenn heute nacht ein Jahr beginnt,

Beginnt ein neues Leben.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 334-335.
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