Freiballonfahrt mit Autoverfolgung

[383] (1928)


Auf Augsburgs sonntagsbunten Flugplatz lacht

Die Sonne. Doch vergeblich brütet

Sie auf gigantische Dickhäuteriche,

Die von Miliz und Polizei bewacht

Und liebevoll von Feuerwehr behütet,

Dick aufgeblasen überm Boden schweben,

Von Photographen, Pressevolk umgeben.


Doch nicht nur diese wichtigen Leuteriche,

Sondern vor allem: viele Autos warten

Darauf, daß jene gasgefüllten Tiere –

Ihrer sind viere – pünktlich drei Uhr starten.


Denn es sind Ehrenpreise ausgesetzt

Für alle Wagenführer, die

Als erste die Ballons, wenn sie

Gelandet sind, erwischen.


Jetzt

Erhebt ein Wind sich. Unsre Riesen zerren

An ihren Fesseln wild. Wir, ihre Herren,

Klettern in ihre Körbe. – Es schlägt drei. –

Gewichte lösen sich. Man läßt uns frei.

Die Menge winkt. Wir steigen munter.

Als Blick nicht ausreicht mehr noch Winkehand,

Schwing ich mich auf der Gondel Rand

Und schleudre meinen Hut hinunter,

Der Frau zum Gruß, dem Publikum

Zum dankbar lauten Gaudium.


Mich kümmert's anfangs nicht, wohin

Die Luft uns führt. Im Korbe bin

Ich nur geladener Passagier.

Doch Dr. Weltz, der Führer, neben mir

Und Unparteiischer E. Scheuermann,

Zwei altbewährte Meisterflieger, sehn

Sich kundig um und zeigen lächelnd dann

Mir in der Tiefe winzige Chausseen,[384]

Auf denen unserer Verfolger Wagen

Bald lauernd halten, bald wild weiterjagen.


Wir müssen vor zwei Stunden niedergehn,

Doch dürfen erst nach einer Stunde landen.

Acht Säcke Ballast sind vorhanden,

Meßapparate, hundert Meter Tau.

Die beiden Sachverständigen zeigen,

Erklären alles mir genau.


Und unterdessen steigen wir und steigen.

Eintausend Meter, zweitausend vierhundert,

Fünfhundert – –. Herrlich! Uns umwundert

Die Adlerwelt der Überlegenheit.


Herr Scheuermann notiert Ort, Stand und Zeit.


»Schaut! Jener Wald«, sagt unser Führer, »wär

Der rechte Platz, sich zu verstecken.

Doch leider schiebt die Strömung uns konträr.

Wir müssen tiefer!« – Als ich voller Schrecken

Auf ein Gewitter überm Wald weise,

Sagt Weltz: »Das stört nicht unsre Reise.«

Und hängt sich wuchtig an das Gasventil.


Wir sinken rasch, wie wir an Buntpapieren,

Die wir auswerfen, deutlich konstatieren.

Die Strömung ändert sich; der Wald wird Ziel.


Der Himmel hat sich drohend überzogen.

Von den Ballons, die mit uns aufgeflogen,

Ist nurmehr einer fern zu sehn.

Und wir, mit Gas und Spannung angefüllt,

Sind plötzlich ganz in Nebel eingehüllt.

Drei Männer, die lautlos im Schweigen stehn.

O zauberhaftes Indenwolkenschweben!

So wie die Märchenengel für die Kinder leben.


Wir lauschen, warten, fallen, – – »Da!«

Da schimmert etwas unter uns und nah,[385]

Wird klar und klarer – – Grüne Waldesmassen.

»Dort in die Tannen!« – Gas entlassen,

Eh der Gewitterwind uns faßt und treibt!


Die Gondel schlägt in Tannenwipfel, bleibt

Dort hängen wie ein Riesenvogelnest.

Sechs Hände krallen im Gezweig sich fest.

Ich muß die Wipfel um Verzeihung bitten.

Sie haben sicherlich dabei gelitten.


So schweben wir in höchsten Nadelzweigen,

Schaun auf die Uhr und lauschen, lauschen, schweigen.

Schon fünf Minuten sind verronnen.

Fünf weitre unentdeckt, dann ist's gewonnen.


Doch: Töff töff töff – – Dann: Eine Stimme schreit

Von unten auf: »Hallo! Ergebt euch gütig!«


Wir sind gefaßt. Ich rufe übermütig:

»Bedaure sehr, wir sind noch nicht so weit!«

Dabei versuchen wir, wie vorgenommen,

Zu einem Weiterfluge freizukommen.

Aus kleinen Säcken schütten wir in Hast

Auf die Verfolger all unsren Ballast

Und ziehn uns luvwärts gegen Sturm. – –


Zu spät!

Gewitter und ein Wolkenbruch entlädt

Sich. Blitz und Guß und Donner. – Toll! –


Und Weltz und Scheuermann, gleich einsichtsvoll,

Ergeben sich an die, die uns gefunden.

Weltz reißt die Hülle auf. Wir sausen. – Für Sekunden

Hakt unser Korb in Zweigen fest. Und dann –

Zehn Meter überm Boden mag es sein –

Plumpst er hinunter wie ein harter Stein.


»Seid ihr gesund?« – »Ja!« Ich, Weltz, Scheuermann.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 383-386.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon