Am Hängetau

[95] Das Hängetau ist lang und steil.

Jedoch die Übung an dem Seil

Ist heilsam und veredelt.

Dieweil du kletterst, wächst das Tau

Dir hintenraus und wedelt

A la Wauwau.


Marie, die unten nach dir blickt,

Kommt mit der Quaste in Konflikt.


Ich wette um ein Faß Gelee:

Drei Meter über der Erden

Erfaßt dich plötzlich die Idee,

Du möchtest Seemann werden.


Der Kletterschluß mißlingt dir freilich.

Er klingt auch häßlich papageilich.

Schon dieserhalb und um so mehr

Schwankst du verzweifelt hin und her,

Als atemloser Pendel.

Und jäh umgibt dich in der Luft

Ein unartikulierter Duft

Sehr abseits von Lavendel.


Und dann erreichst du ganz verzagt

Den Balken unter Pusten,

Und weil Marie von unten fragt,

Und weil die Stimme dir versagt,

So fängst du an zu husten.
[95]

Die Dame frägt ob schwindelfrei

Und schüttelt die Manilla.

Du mimst voll Angst und Heuchelei

Den schwärmenden Gorilla.

Doch weil allmählich Zeit vergeht

Und nirgends eine Leiter steht,

Entschließt du dich voll Grausen

Und präsentierst dein Hinterteil

Und angelst lange nach dem Seil

Und läßt dich plötzlich sausen.


Du plumpst der Dame auf die Brust

Und tust, als tätst du das bewußt,

Und blähst dich wie ein Segel.

Und nickst ein heiteres Allheil!

Und lachst und fühlst dich doch derweil

Teils Burschenschaft, teils Flegel.


Kein Mädchen, nicht einmal die Braut,

Sieht gerne Hände ohne Haut.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 95-96.
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