Seemannstreue

[103] Nafikare necesse est.

Meine längste Braut war Alwine.

Ihrer blauen Augen Gelatine

Ist schon längst zerlaufen und verwest. –[103]

Alwine sang so schön das Lied:

»Ein Jäger aus Kurpfalz«.


Wie Passatwind stand ihr der Humor.

– Sonntags morgens wurde sie bestattet

In der Heide, wo kein Bäumchen schattet,

Und auch ihre Unschuld einst verlor.


Donnerstags grub ich sie wieder aus.

Da kamen mir schon ihre Ohrlappen

So sonderbar vor.


Freitags grub ich sie dann wieder ein.

Niemand sah das in der stillen Heide. –

Montags wieder aus. Von ihrem Kleide,

Das man ihr ins Grab gegeben hatte,

Schnitt ich einer Handbreit gelber Seide,

Und die trägt mein Bruder als Krawatte. –


Gruslig wars: Bei dunklem oder feuchten

Wetter fing Alwine an zu leuchten.

Trotzdem parallel zu ihr verweilen

Wollt ich ewiglich und immerdar.

Bis sie schließlich an den weichen Teilen

Schon ganz anders und ganz flüssig war.


Aus. Ein. Aus; so grub ich viele Wochen.

Doch es hat zuletzt zu schlecht gerochen.

Und die Nase wurde blauer Saft,

Wodrin lange Fadenwürmer krochen. –

Nichts für ungut: Das war ekelhaft. –

Und zuletzt sind mir die schlüpfrigen Knochen

Ausgeglitten und in lauter Stücke zerbrochen.


Und so nahm ich Abschied von die Stücke.

Ging mit einem Schoner nach Iquique,

Ohne jemals wieder ihr Gebein

Auszugraben. Oder anzufassen.


Denn man soll die Toten schlafen lassen.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 103-104.
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