Dritter Aufzug.

[254] Teutschland. Wahremund.


TEUTSCHLAND. Ach / daß es Gott in seinem hohen Himmel erbarme! Jst es nicht schon mehr denn zuviel / daz der grausame blutdurstige Mars mich unglückselige Königin nunmehr eine so lange geraume Zeit nach seinem eigenen Lust und Gefallen hat geplaget / ja mir so viel Hertzleid zugefüget / daß keines Redners Zunge so fertig / kein Dichter so sinnreich / kein Schreiber so geschwind / der es mit Worten / oder auch nur auff dem Papier / der Welt könte für stellen / unnd muß ich noch darzu für meinen Augen sehen / welcher gestalt des grimmigen Mars lieber getreuer / der gottloser Wühterich / meine arme Stände und Unterthanen alle Stunden und Augenblick so jämmerlich zermartert / peitschet und schläget / daß auch an seiner übermachten Tyranney ein mehrers nicht fehlet / als daß er ihnen nur nicht[254] die Haut über die Ohren ziehet / und also das Garauß mit ihnen spielet / da muß der Geistliche leiden / da muß der Weltliche herhalten / da muß der gemeine Unterthan diesem grausamen Höllteuffel unter den Füssen liegen / und sie alle müssen mehr außstehen / als schier in menschlichen Kräfften unnd Vermögen zu finden.

WAHREMUND. Jch bekenne es / großmächtigste Königin / daß mir / so wol deiner armen Unterthanen und sämtlichen Stände / als auch dein eigenes schweres Unglück über die masse sehr zu Hertzen gehet / unnd wünsche uns allerseits von dem allerhöchsten Gott / Hülffe / Linderung / und völlige Errettung / aber eines bitte ich / allergnädigste Königin / E[ure] Majest[ät] bedencke es nur / wie oft ich ihr gesagt / auch noch diese Stunde sage / es könne und müge ja nicht anderst seyn / der gerechte Gott werde darzu genöhtiget und gezwungen / daß er die Teutschen Stände durch den wilden Wühterich dermassen hefftig lässet angreiffen / und heimsuchen / sie glaube nur sicherlich / wären nicht so grosse und vielfältige Sünde / so folgten auch nicht so grosse und vielfältige Plagen.

TEUTSCHLAND. Gar gerne bekenne ich zwar / mein Wahremund / daß meine Untersassen diese schwere Straffen mit ihren unzehlichen Sünden wol verdienet haben / daß aber gar kein Unterschied / so wenig unter den Straffen als den Personen / welche gestraffet werden / wird gehalten / und dieser Wühterich gantz frey und ungehindert / so wol Geistliche als Weltliche / so wol hohes als niedrigen Standes Personen mag schlagen und plagen / dasselbe bedünckt mich gar zuviel seyn / es solte doch billich einer und der ander / in Betrachtung seiner Beschaffenheit / nur in etwas übersehen / und verschonet werden.[255]

WAHREMUND. Großmächtigste Königin / eben hierin bestehet die Gerechtigkeit der Straffen GOttes / in deme keine Person wird angesehen / sondern wer Unrecht thut und böse ist / der erleidet billich / was seine Wercke verdienet haben. Es ist ja kein eintziger Stand unter Euer Majestät Botmässigkeit / der sich für den andern könte rechtfertigen. Nicht rede ich solches nur bloß hin / ich kan und will es auch Sonnenklar beweisen / wenn ich nur die Gnade mag haben / daß Euere Majestät Jhren getreuesten Diener kürztlich will hören.

TEUTSCHLAND. Ja Wahremund / die Rede sey dir erlaubt / unterrichte mich nur kühnlich von der itzigen Beschaffenheit meiner Unterthanen / ich will dich zu diesem mahle gedültig hören.

WAHREMUND. Allergnädigste Königin und Frau / ich bedancke mich unterthänigst / daß mir frey zu sprechen wird vergünnet. Jch soll und muß die Warheit reden / mein Nähme heisset Wahremund / nicht Lügenmund / mein Amt unnd Gewissen treiben / ja nöhtigen und zwingen mich / daß ich die offenbahre Mängel für straffbahr ausschreien / das Finstere Schwartz / unnd die Laster Untugend muß nennen: Mit hertzlichem Mitleiden hat euere Majestät gleich jetzt angesehen / welcher Gestalt der unbarmhertzige Wühterich die drey Hauptstände jhres großmächtigsten Reiches / wie das unvernünftige Viehe für sich hergetrieben / gegeisselt und geschlagen. Jch bekenne es / dieses grausame Verfahren hat uns fast die Thränen auß den Augen getrieben. Was wollen wir aber viel sagen / unnd womit wollen wir diese Leute entschuldigen? Jch spreche nochmalen: Sie leiden was ihre Thaten werth sind. Wolte jemand gedencken: Ey man solte doch billich der Geistlichen verschonen /[256] dieser Stand sey ja von Anfang der Welt her in sondern Ehren und Würden auch so gar bey den Heyden / ja wilden barbarischen Völkern gehalten / es sey gleichwol gar zu grob unnd viel / daß man diese gute Herren / als Gottes Haußhalter und Gesalbte / so unmenschlich handele / sie beraubet / schläget / verwundet / ja wol gar üm Leib und Leben bringet! Aber nein / Teutschland / in Ansehen ihrer Verdienste geschiehet ihnen gar nicht zu viel / wiewol ich es nicht kan läugnen / daß offtmalen der Unschüldige mit den Schüldigen muß leiden. Bedencke es nur Teutschland / was du in diesen letzten funftzig Jahren / sonderlich aber in der Zeit deß dreissigjährigen Kriegs / für Geistliche unter dir gehabt / was für seltzame Geschöpfe / (etliche Fromme und Gottselige außgenommen) die du bey diesen elenden wunderlichen Läuften habest ernehret! Sie zwar selten ihre untergebene Schäffelein zur Sanfftmuth / Demuth / und Friedfertigkeit ermahnen und anreitzen / so sind sie leider eben die jenige / welche sich selber auf das eusserste untereinander bestreiten / sie sind es / die einander verdammen / verketzern / ja gar dem Teuffel übergeben / und also viel weniger / als deine weltliche Fürsten / Friede untereinander zu erhalten / unnd Christliches teutsches Vertrauen nach so langwürigen zancken unter sich zu stifften / oder wiederzubringen begehren. Soll der allerhöchster Gott Teutschland mit dem edelsten Friede begaben / welchen diese zancksüchtige Leute mit Händen und Füssen von sich stossen? Soll er den jenigen Ruhe verleihen / welche ihre höchste Lust daran haben / daß sie mit ihren Nebenchristen und Brüdern in steter Unruhe unnd ärgerlicher Verwirrung[257] mögen leben? Mit was Augen und Hertzen mögen sie doch wol ansehen / lesen / und betrachten / die güldene Worte ihres Seligmachers / wenn er allen Menschen / zuforderst aber seinen Dienern / so ernstlich zuruffet: Lernet von mir / denn ich bin sanfftmütig / und von Hertzen demütig / Selig sind die Sanfftmütigen / sie werden das Erdreich besitzen! Wer darff sich hie noch viel verwundern / daß denjenigen / welche abgesagte Feinde sind aller Liebe unnd Sanfftmuth / das Erdreich / oder ihr Land und Sand / zum wenigsten das Jnkommen von denselbigen / wird hinweg genommen? Ja Teutschland / unter deinen Geistlichen sind sehr viel schändliche Geitzhälse und eigennützige Mammons-Diener / Gold ist ihr Gott / und treibet ein Theil unter ihnen einen ja so gewinnsüchtigen Wucher / als etwan die ärgeste Juden / oder Gewissenlose Käuffleute und Wechsler thun mögen. Jch kenne ferner etliche unter ihnen / welche so abscheulich fluchen und Gott lästern / daß sie es auch einem ruchlosen Landesknechte / der zwantzig Jahre zu Felde gelegen / damit wol bevor thun / und dieses lassen sie offt auch an den Sonn und Feiertagen / wann sie nemlich mit ihren Pfarrkindern im Wirtshause unten und oben liegen / selbigen frey lustig auff die Haut sauffen / ja sich wol frisch mit ihnen herum schlagen / am allermeisten von sich hören / da solte einer schweren / daß solche ruchlose Gesellen viel ehender Fechter / als Geistliche wären. Jch will hier nicht sagen / wie ein grosser Theil unter ihnen sich gar wenig üm die Erbauung der Kirchen GOttes / Fortpflantzung deß Christenthumes / und ihrer so theuer anvertrauten Schäffelein Seeligkeit bekümmert. Jhrer viel werffen die Bücher gar hinter die Banck / spotten anderer / die nechtst fleissiger Beobachtung ihres Hirten-Amts eiferig bemühet sind / in guten Künsten und allerhand nützlichen Sprachen[258] etwas zu erlernen / und die Welt mit erbaulichen Büchern zu versorgen. Dagegen ihre Lust ist / wenn sie nur ihren Gewinnsüchtigen Vortheil wol in acht nehmen / die zeitliche Nahrung suchen / den Ackerbau befördern / der Viehezucht obliegen / ja sich nirgends / als üm Welt und Geld / üm den Hals unnd Bauch mögen bekümmern. Wenn denn / O Teutschland / schier der grösseste Theil deiner Geistlichkeit wenig nach Gott fraget / ja sich fast gar nichts bemühet / desselbigen heiligen Nahmens Ehre und ihrer anvertrauten Schäflein Seligkeit ernstlich zu befördern / was ists denn wunder / daß sie dem Mars eben so wol als andre Stände zur Beute worden / und von demselbigen der grausamen Züchtigung deß unmenschlichen Wühterichs sind untergeben worden?

TEUTSCHLAND. Ach Wahremund / Wahremund / du führest ja deinen rechten Nahmen / ich erkenne / daß deine Rede ohne Heucheley ist / du liebest die Warheit von Hertzen / wie du mir denn das ungeistliche Leben meiner also genannten Geistlichen dermassen deutlich hast fürgestellet / daß ich nunmehr gäntzlich dafür halte / es sey der Gerechtigkeit Gottes gleichsam unmüglich gewesen / ihrem unchristlichen Wandel und ärgerlichem Leben länger zuzusehen / ja das mit höhester Billigkeit / so wol Grosse / als Kleine / so wol Hohe als Nidrige / so wol Gelehrte / als Ungelehrte / durch den Wühterich deßwegen zerschlagen / geplaget / und Härtiglich gestraffet werden / ach aber deß grossen Elendes!

WAHREMUND. Sey zu frieden großmächtigste Königin / unnd laß dich den Schmertzen nicht so gäntzlich überwinden / murre nicht wieder die Gerechtigkeit deß Höhesten / sondern[259] gib ihme die Ehre / unnd erkenne ferner die Billigkeit der Straffen / mit welchen er deine Untersassen biß anhero hat gezüchtiget. Laß dir weiter von mir mit wenigen zu Gemühte führen / wie übel auch viel deiner Fürsten / fürnehmlich deroselbigen Bediente / Amt- Leute unnd Gewaltige bißhero haben gehauset / so wirstu selber urtheilen / daß sie nicht weniger als die Geistliche straffwürdig / und dahero billich deß Wühterichs grausamer Tyranney untergeben / und zu Sclaven deß unersättlichen grausamen Mars sind gemachet worden.

TEUTSCHLAND. Ja / ja! fahre nur immer fort / mein Wahremund / in deiner angefangenen Rede / ich will selbige mit grosser Gedult ferner anhören.

WAHREMUND. Daß deine Fürsten / allergnädigste Königin / in ihrem Leben und Wandel die Gebühr nicht allezeit in acht nehmen / darüber zwar hat man sich eben nicht so sonderlich zu verwundern. Wenn ein Fürst ein unordentliches Leben und Regiment führet / so ist vielmahls seine übele Erziehung schuld daran / denn worzu man in der Jugend wird gewehnet / dabey verbleibet man gemeiniglich im Alter. Hierzu komt ihre grosse Freyheit / welche ihnen fast unzähliche Mittel an die Hand gibt / bißweilen unrecht zu thun / den Wollüsten nachzuhengen / und sonst vielfältig zu sündigen / und welches noch das allerärgste ist / so will sich fast niemand lassen finden / der ihnen die Warheit auffrichtig zu verstehen gebe / oder sie nur erinnerte / worinnen sie etwan gefehlet / und in welchen Stücken sie die Gebühr und das Ambt eines Christlichen Fürsten übergangen hätten. Da ist leider fast kein eintziger an ihren Höfen / der das Maul auffthun / deß Fürsten Mängel berühren / und sich dadurch einen ungnädigen Herren zu machen begehret. So lange sich nun keiner herfür thut /[260] der der Katzen die Schellen anzuhängen / und den hohen Häubtern ihre Gebrechen zu zeigen bemühet ist / so lange scheinet es unmüglich zu seyn / daß die Fürsten ihr Regiment gebürlich anstellen / unnd dasselbe zu Beförderung der Ehre Gottes / Auffnehmen ihrer Unterthanen / und ihrer selbst eigenen Wolfahrt selten führen unnd verwalten. Sonst wird kein verständiger Mensch können läugnen / daß unter deinen Fürsten / O du großmächtiges Teutschland / noch dermassen tapffere / vernünftige / gelehrte / erfahrne / tugendhaffte und fruchtbringende Helden jederzeit gelebt haben / auch noch biß auff diese gegenwertige Stunde gefunden werden / daß kein Volck der Welt / es mag auch heissen wie es immer wolle / mit ihnen zuvergleichen.

TEUTSCHLAND. Es ist mir von hertzen lieb / O du mein getreuester Wahremund / daß ich ein so herrliches Zeugnisse / von den unvergleichlichen Eigenschafften etlicher meiner Fürsten und Gewaltigen auß deinem eignen Bekäntnisse mag anhören unnd vernehmen. Sage mir aber / worann fehlet es denn doch / daß es gleichwol im weltlichen Stande so gar übel daher gehet / und derselbe so hefftig wird gestraffet?

WAHREMUND. Jch habe es bereits gesaget / großmächtigste Königin / sage es auch noch / daß die Fürsten / dieweil sie Menschen sind / wie andere / nicht alles wissen noch erfahren / vielweniger selber oder persönlich alles außrichten und verwalten können. Dahero werden sie gezwungen / durch ihre Rähte / Ambtleute / Richter und andere derogleichen Bediente ihre Länder und Unterthanen regieren zu lassen. Da findet sich nun leider der rechte Mangel / daß die Diener ins gemein so übel sind beschaffen / daß die Unterthanen von ihnen anders nichtes / als lauter böses[261] lernen / folgends auch dasselbe außüben unnd zu Wercke richten können.

Ein Gottloser und boßhaffter Forst / der fromme und Tugendhaffte Rähte und Diener hat / ist seinen Landen unnd Unterthanen bey weitem nicht so schädlich / als ein guter und Tugendliebender Fürst / der mit Gottlosen / eigennützigen unnd Lasterhafften Rähten und Dienern ist ümgeben. Es ist und bleibet ja die Gottesfurcht die rechte Quelle / Mutter und Gebererin aller anderen Tugenden / folgends auch aller darauß entspriessenden Wolfahrt und Glückseligkeiten / wo nun aber keine Gottesfurcht zu finden / da stehen alle Laster in ihrem vollen Wachsthum. Nun bitte ich / O Teutschland / du wollest dir doch nur deine fürnehmste Hoff und Weltleute ein wenig vorstellen / so wirst du klärlich befinden / daß der grösseste Hauffe unter ihnen (ich sage / der grösseste Hauffe / nicht alle / denn mir auch in Warheit recht Gottesfürchtige Hofeleute bekant sind /) so wenig gläubet / daß ein Gott / Teuffel / Himmel / Hölle und nach diesem ein anders und ewiges Leben fürhanden sey / daß sie auch mit den jenigen / welche / in Betrachtung dieses gerne als Christen wollen leben / nur ihren Spott und Kurtzweil treiben / ja wol öffentlich dörffen herauß sagen: Es sey unmüglich / daß einer zugleich ein guter Christ und ein verständiger Hoff- und Weltmann seyn könne / ein rechtschaffener Politicus oder Staatsmann müsse sich üm die Pfaffen- Händel und die Bibel nicht eben bekümmern / im Falle er bedacht sey / seinen Stand / Ehre und Güter hoch zu bringen. Nun sind aber eben diese ansehnliche / prächtige und weitschauende Hoff und Weltleute die jenige / welche nicht allein an statt ihrer Fürsten für ihre Person[262] weit und breit das Regiment führen / sondern auch denen sämtlichen Ländern / Städten / Flecken und Dörffern / unterschiedliche Befehlshaber / Ambtleute / Richter / Verwalter / Schreibere / Vögte und dergleichen müssen vorstellen. Weil es denn hiemit also beschaffen / so ist es ja gantz und gar kein Wunder / daß es hin und wider in Teutschland so viele Gottlose Ambt- und Befehlichsleute giebet / dieweil sie oftmahlen von solchen Häubtern werden bestellet und eingesetzet / die wol selber nicht glauben / daß ein Gott sey / und dahero / wenn sie unrecht handlen / sich so wenig ein gewissen darüber machen / daß sie sich vielmehr ihrer Spitzfindigkeit erfreuen und darüber lachen. Da urtheile nun selber / großmächtigstes Teutschland / was die Unterthanen von dergleichen Amtleuten gutes lernen sollen. Es werden grosse Fürsten und Herren recht und wol genennet Hüter oder Beschützer der beider Göttlichen Gesetztaflen. Dieweil sie aber nicht allenthalben gegenwertig seyn können / sitzen die Richter / Amtleute / Vögte und dergleichen Befehlshabere an ihrer Stelle. Aber / mein Gott / mit was Gewissen sitzet mancher daselbst; Wie elendiglich beschützet Er die beide Göttliche Gesetztaffeln? Die Flucher und Lästerer deß heiligen Göttlichen Namens sollen nicht ungestraffet bleiben! ja wol! der Amtmann / Richter / Vogt / Schreiber / oder wie er sonst mag heissen / ist selber der grösseste Flucher / den man hören mag / wie kan denn die Gotteslästerung unter den andern gemeinen Leuten daselbst abgethan / und gebührlich bestraffet werden? Die Sabbather und andere Feirtage / sollen nach dem ernstlichen Befehl Gottes geheiliget / Gottes Wort an denselben fleissig gehöret und betrachtet / nüchtern und mässig gelebet unnd der lieben[263] Armut alle Gunst und Barmhertzigkeit erwiesen werden. Wie kömt es aber / daß die Unterthanen in Beachtung dieses Gebots so treflich faul und nachlässig sind / daß auch kein Tag schnöder gehalten noch schändlicher wird entheiliget / als eben der Sabbath und andere Feirtage?

Eben daher kommt es / daß der Richter selber für / unter und nach der Predigt in öffentlichen Wirtshäusern / beim Bier / Wein und Brantewein sitzet / sich toll und voll säuffet / und wenn er denn gleich einmahl auß der Schencken zur Kirchen eintritt / nichts anders thut / als daß er sich in seinem Stule ordentlich zur Ruhe begiebt unnd den Rausch gar gemählich und fein außschläft / ja dabey schnarchet / daß es oft durch die gantze Kirche erschallet. Da gedencke einer / was für schöne Exempel die Unterthanen von solcher Obrigkeit nehmen / und wie jämmerlich sie sich an solchen ihren Leben und Wandel müssen ärgern?

Eben daher / sage ich / komt auch das unchristliche Leben der Unterthanen / fürnemlich an den Sonn- und Feirtagen / daß der Schreiber oder Vogt unter den Gottesdienste spatziren fähret / oder auf die Jagt reitet / oder sonst seine Lust und Kurtzweil suchet. Eben daher kommt es / daß der Amtman / Vogt / Verwalter / Richter / Schreiber auff fein gut Epicurisch lebet / in Jahr und Tag / ja wol in etlichen Jahren sich zu keiner Beicht oder Abendmal lässet finden. Solten es denn seine untergebene Leute besser machen? Unser Erlöser hat uns Friede und Einigkeit zum allerfleissigsten anbefohlen / auch allen Obrigkeiten ernstlich aufferleget / daß sie die streitige Parteien unverzüglich mit einander vergleichen / und alle Mittel / so zu Christlicher Versöhnung dienlich sind / sollen herfür suchen.[264] Wie wird aber solchen ernstlichem Befehl Gottes von vielen Amtleuten nach gelebet?

Hegen und führen sie nicht selber allerhand schwehre Streitigkeiten?

Halten sie die Parteien nicht auf von einer Wochen von einem Monat von einem Jahre zum andern / und dasselbe fürnemlich ümme ihres schändlichen Eigennutzes willen / unterdessen gehen die armen Leute in ihren unpersönlichen Hasse und Bitterkeit dahin / finden sich weder zur Beicht noch zum H[eiligen] Abendmahl / und fahren darüber vielmals gar zum Teuffei? Ach Gott / wie schwehr / schwehr haben dieses unsere Regenten zu verantworten! Ja liebes Teutschland / deiner Fürsten bestellte Amtleute und Bediente solten alle Dieberey / Finantzerey / Wucher und dergleichen lose Fünde ernstlich straffen. Aber mit was Gewissen können viele unter ihnen dasselbe thun. Sind sie doch theils selber die allergrösseste Wucherer / Schinder und Baurenplager / welche auf zweien Füssen gehen mügen / als die mit List und Gewalt alles zu sich reissen / was ihnen nur mag werden! Sie sind ja verpflichtet / aller Unzucht / so viel immer müglich / zu steuren und zu wehren / keine öffentliche Huren zu leiden / noch denselben unterschleiff zu geben. Da findet sich aber gerade das Wider spiel. Man gestattet hin und wider öffentliche Hurhäuser / man nimmt Geldt von den unzüchtigsten Bälgen und lässet sie ein solches Leben führen / daß der Himmel darüber möchte erzittern / ja viele Amtleute halten selber Conkubinen und leichtfertige Huren bey sich in ihren Häuseren / begehren sich nicht einmahl zu verehelichen /[265] zeugen mit ihren Schandmetzen ein Kind nach dem anderen / und geben den Unterthanen ein so greuliches Ergerniß / daß sich die Erde auffthun und solche boßhaffte Verführer deß armen unverständigen Volckes möchte verschlingen.

Jn Betrachtung dieses alles / sage ich kühnlich herauß / daß es gantz närrisch gethan sey / wenn man sich über das Gottlose Leben unnd den unchristlichen Wandel der Unterthanen itziger Zeit so hoch und viel beklaget. Wären die Aemter an allen Orten mit Gottesfürchtigen / frommen und ehrlichen Leuten bestelllet / welche üm die Beförderung der Ehre Göttliches Namens / und Erhaltung der lieben Gerechtigkeit ernstlich eiferten / so würde es auch wol anders daher gehen und den Epicurischen Wesen in Teutschland bald gesteuret werden. Es kann ja nichtes thörichters in der Welt seyn / als daß man klaget; es sey kein Recht oder Gerechtigkeit im Lande mehr zu finden; Ei lieber woher komt das? Eben daher komt es / daß man Leute zu Richtern / Vögten / Ambtleuten hinsetzet / die ja so wenig wissen / was recht oder unrecht ist / so wenig ein Blinder die Farben kan unterscheiden / soll der jenige in allerhand schweren und verwirreten Sachen ein gerechtes Urtheil sprechen oder fällen / der kaum lesen oder seinen Namen kan schreiben.

Man sihet ja heute zu Tage fast gantz und gar nicht mehr auff Kunst und Geschicklichkeit / oder daß man gelehrte Leute für andere befördere. Wenn einer nur gute Freunde und Gönner bey Hofe hat / oder kan ein ansehnliches Stücke Geldes spendiren / oder weiß tapffer zu Fuchsschwäntzen / oder kann praff sauffen / GOtt gebe / er sey[266] ein Stallknecht oder Lakey / oder sonst ein gemeiner Stiefelputzer bey Hofe / so wird er bald zu Würden und Aemtern befördert / welche zu bedienen er doch eben so geschickt ist / als der Esel die Laute zuschlagen. Zu Zeiten machen die grosse Welt und Hofleute auch wol eine abgebrandte Kriegsgurgel / oder Soldatischen Auffschneider zu einem Richter / Amtmann / Vogt oder Verwalter / welcher denn treflich wol geschikt ist / die armen Unterthanen biß auf die Knochen zu schinden / dieweil in der Zeit seiner Kriegsbestallung das Baurenplagen gründlich hat gelernet / und mit höchstem Fleisse zu seinem sonderbaren Nutzen in den Quartieren außgeübet. O solche Leute machen hernachmals zur Friedenszeit treffliche Christliche Unterthanen!

So richte nun selber / großmächtigs Teutschland ob die jenige / welche solche Gottlose / ungeschickte / ungelehrte / eigennützige und lasterhaffte Leute zu Aemtern befördern / und denselben so viele Menschen zu regieren untergeben / dasselbige nicht gar hoch und schwer für Gott im Himmel / und ihren Lands-Fürsten auf Erden zu verantworten haben / und ob nicht sie und ihre Geschöpffe oder Schoßkinder / die untüchtige Amtleute / und Gewissenlose Bediente / die rechte und eigentliche Ursachen sind deß lästerlichen Lebens und falschen Christentums / daß in allen Ländern deß weiten und breiten Teutschlandes / biß auf diese Stunde / von den allgemeinen Unterthanen wird geführet und betrieben?

TEUTSCHLAND. Ach Wahremund / Wahremund / ich muß es bekennen / daß alles was du mir in deiner wolgemeinten[267] Rede jetzund hast zu Gemühte geführet / im Wercke und der That sich also verhalte / ich kan und mag wieder die Warheit nicht streiten. Es ist freilich die Schuld meinen Fürsten / sonderlich aber derselben fürnehmen Bedienten / wenn sie dergleichen gottlose untüchtige Amtleute bestellen / zuzumessen / daß dannenhero meine Unterthanen und Teutsche Kinder bißher so schändlich haben gelebet / und ihnen diese schwere Straffen dardurch auff den Hals gezogen / wenn gleich du mein Wahremund / unnd andere deines gleichen getreue Prediger und eiferige Seelenhirten / sich noch so hoch und viel bemühen / die Unterthanen zu einem andern / GOtt wolgefälligen Leben zu bringen / unnd auff den rechten Weg zu führen / so werden sie doch weniger als nichts außrichten / dafern ihnen von den Weltlichen die hülffliche Hand nicht wird geboten / also / daß die Schuldige gestraffet / die Frommen aber beschützet werden / wehe wehe aber meinen unchristlichen Amtleuten in alle Ewigkeit!

WAHREMUND. Ja / großmächtigste Königin / verstehest du nun mit der Zeit / warüm so wol der Weltliche als Geistliche Stand dem Wühterich in Ketten und Banden sey übergeben / und auß was Ursachen sie von demselben so jämmerlich geschlagen und gehandelt werden? Jch meine ja / du wirst dich nun besser in ihr grosses Elend können schicken. Daß aber der Haußstand / als Bürger und Bauren / unter diesem grimmigen Thiere es nicht erträglicher / sondern offtmahls viel ärger als Geistliche und Weltliche haben / und unaußsprechliche Trangsalen außstehen müssen / darüber darff man sich gantz und gar nicht verwundern. Denn was / so wol auf dem Lande / in Flecken / und Dörffern / als in den grossen Reichs -See- Kauff und Handels- Städten / für unzehliche Greuel werden getrieben /[268] das fället meiner Zungen außzusprechen unmüglich. Es ist die Abgötterey / Fluchen / Schweren und Lästerung deß heiligen Namens GOttes / die Verachtung Göttlichen H[eiligen] Worts und der Sacramenten / Ungehorsam / Hurerey und Unzucht / Geitz / Betriegerey / Wucher / Haß / Neid / Lügen / Rachgier / und tausend andere Laster / dermassen gemein / bey Bürgern und Bauren / Kauff unnd Handwercksleuten / Taglöhnern und Bettlern / daß es groß Wunder ist / daß die Gerechtigkeit GOttes diese schöne fruchtbare Länder nicht eben wie Sodom und Gomorra / durch einen feurigen Schwefel-Regen vom Himmel herab vertilget / und die grossen Städte wie Jerusalem / Babylon / Tyrus und Sydon in den Staub leget / und zu Grunde auß verderbet / ist demnach fürwar wol ein trefflicher Beweißthumb der unaußsprechlichen Langmuth unsers GOTTES / daß ihrer noch so viel biß auff gegenwertigen Tag fast gantz und gar unbeschädiget sind überblieben / ja daß noch etliche Städte sich bey zimlichen Zustande und Wolergehen befinden.


Hie wird hinter dem Aufzuge Lärm geblasen / die Trommel gerühret / und etlich mahl starck geschossen / worüber Teutschland hefftig erschrickt / und gantz bestürtzet anfähet zu ruffen.


TEUTSCHLAND. O wehe / wehe mir unglückseligen Königin! Ach mein Gott / soll die mir unlängst verliehene kleine Ruhe und Verschnauffung von dem verderblichen Kriegswesen / so bald ihre endschafft erreichen? O wehe / wehe mir! Mein abgesagter Feind / der blutdurstige Mars wird warhafftig widerum fürhanden seyn / ich höre schon sein grimmiges rasen und blasen.[269]

WAHREMUND. Allergnädigste Königin / eure Majestät wolle doch nicht gar zu sehr über diesem / ihr vielleicht eine Zeitlang hero ungewöhnlichen Lärmen erschrecken / GOtt lebet noch / der wird sie samt allen ihren Untersassen mächtig zu schützen / und von der Grausamkeit ihrer Feinde zu rechter Zeit wol zu befreien wissen.

TEUTSCHLAND. Ja mein allerliebster Wahremund / du / oder kein Mensch auf dieser gantzen Welt kan zur Gnüge verstehen das grosse Elend und den unaußsprechlichen Jammer / den ich unglückseligste Königin nunmehr fast dreissig gantzer Jahre erlitten / und außgestanden / O wehe / wehe mir! der übersättliche Mars ist zweiffels frey in dieser Gegend widerum verbanden: [Teutschland fällt in Ohnmacht / und sincket in den Armen deß Wahremundes Der sie zu halten begehret. gantz und gar zur Erden.]

WAHREMUND mit kläglicher Stimme. Wie denn großmächtigste Königin? wie unüberwindliches Teutschland / wilt du mir denn unter meinen Händen todt bleiben? Fürchtest du allertapferste Heldinne die jenigen so hefftig / von welches Überwindung du mehrmalen so manchen herrlichen Siegespracht hast erobert und davon getragen? Ermuntere dich Teutschland / unnd erquicke dein geängstetes Hertz / mit der glückseligsten Hoffnung deß allersüssesten Friedens / eröffne deine helleuchtende Augen doch wieder / unnd lasse alle Welt deine Großmütigkeit sehen unnd spüren.[270]


Quelle:
Johann Rist: Sämtliche Werke. Berlin und New York 1972, S. 254-271.
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