Beschluß-Lied zu Gott

[209] Umb ein seliges Sterb-Stündelein.


1.

So wündsch' ich mir zu guter letzt

Ein seligs Stündlein, wol zu sterben,

Das mich für alles Creutz ergetzt

Und krönet mich zum Himmels-Erben.

Komm, süsser Todt, uff zeige mir,

Wo doch mein Freund in Ruhe weidet,

Biß meine Seel' auch mit Begier

Zu jhm' aus dieser Welt abscheidet.


2.

Steh' auff, O Gott, gib mir dein' Hand

Und ziehe mich aus lauter Gnaden

Zu dir ins rechte Vaterland,

Da mehr kein Unfall mir kan schaden.

Steh' auff, es ist schon hohe Zeit,

Erlöse mich aus allem Jammer.

Steh' auff, mein Gott, ich bin bereit,

Zu wandlen nach der Ruhe-Kammer.


3.

O lieblichs, seligs Stündelein,

Wie trag' ich doch so groß' Verlangen

Nach dir allein, bey Gott zu seyn;

Denn meine Tage sind vergangen.

Drumb, liebster Vater, gib mir doch

Ein seligs und vernünfftigs Ende,

Damit, in dem' ich lebe noch,

Ein Freuden-Blick sich zu mir wende.


4.

Errette bald aus aller Quaal

Und aus dem Kercker meine Seele.

Sie seufftzet nach dem Freuden-Saal'

Aus dieser tuncklen Mörder-Höle.

Ach hat sie doch so manchen Tag

Das bitter Elend müssen bauen!

Nun gib jhr endlich, daß sie mag

Das Paradyß mit Freuden schauen.


5.

Ist doch mein Leben wie das Hew

Verdorret und wie Rauch verschwunden:

Was solt' ich denn mit Furcht und Scheu'

Erwarten erst der Todes-Stunden?

Ach nein, ich wil mit grossem Danck'

Aus dieser Welt zum Himmel eilen;

Mein Hertz ist schon vor Liebe kranck,

Es kan durchaus sich nicht verweilen.


6.

O vielbegehrter, lieber Todt,

Du bist zwar greulich anzusehen,

Mir aber nicht, weil du in Noth

Mich länger nicht wirst lassen stehen.

Ich weis, die Reichen fürchten dich,

Die Könige der Welt erschrecken;

Ich nicht also: du tröstest mich,

Weil du mich friedlich wilt bedecken.
[209]

7.

So laß mich, Herr, mein sterblichs Kleid,

Damit ich Armer bin umbgeben,

Verwechseln mit der Ewigkeit

Und dieses mit dem andern Leben.

Mach' auff die Thür', ich eil' herzu,

Verzug, den kan ich gar nicht leiden;

Ach hilff, daß ich in stoltzer Ruh'

Jetzt frölich mög' in Sion weiden.


8.

O Jesu, liebster Bräutigam,

Daß meiner Seelen so verlanget,

Das machet der Schoß Abraham,

Wo Lazarus in Freuden pranget.

Mein Geist, der hat in dieser Welt

Dich offt gesucht, doch schwerlich funden;

Bringst du jhn nun ins Freuden-Zelt,

So hat er alles überwunden.


9.

Es funden mich zu dieser Zeit

So gar von meiner ersten Jugend

Des Teuffels Volck, die losen Leut'

Und Spötter aller Zucht vnd Tugend;

Die schlugen mich biß auff den Todt,

Ja haben mir mein Kleid genommen.

Mein Gott, hab' acht auff diese Noth:

Wenn werd' ich aus dem Jammer kommen?


10.

Mein Hertz erzittert wie ein Laub

Von wegen so viel schwerer Plagen:

Bald werd' ich meiner Feinde Raub,

Bald ist mein Geist in mir zuschlagen.

Herr, sende mir dein tröstlichs Wort,

Daß ich in Sünden nicht verderbe.

Erquicke mich, wenn ich sol fort,

Damit ich gern' und frölich sterbe.


11.

Gott, meiner Seelen Durst bist du;

Wenn werd' ich einmahl zu dir treten?

Wenn schau' ich dich dort in der Ruh,

Wo dich die Cherubim anbeten?

Hie schweb' ich zwar in grosser Pein;

Denn meines Häuptes Thränen-Quellen,

Die müssen meine Nahrung seyn

Und manche Mahlzeit mir bestellen.


12.

Gefangen lig' ich gar zu hart;

Herr, rette mich von diesen Banden,

Daß ich bey meiner Wiederpart

Nicht werde gantz und gar zu schanden.

Nim auff, Herr, deinen lieben Sohn

Der täglich bittet, dich zu sehen,

Und führ' jhn in den Freuden-Thron,

Dein himlisch Fest da zu begehen.


13.

Hie sitz' ich in der Finsterniß'

Und in dem tunckeln Todes-Schatten.

Zwar, meine Zeit ist ungewiß;

Doch weis ich, Gott, der wird erstatten

Mein Leid, das mich so sehr geplagt,

Seither ich auff die Welt geboren.

Ich weis, was mein Erlöser sagt:

Wer gläubig ist, wird nicht verlohren.


14.

Erleuchte mich, O treuer Gott,

Daß ich in meiner letzten Stunde

Bey dir ja werde nicht zu Spott,

Auch mich der Satan nicht verwunde.

Reiß du mich aus des Todes Pein,

Nimb meine Seel' in deine Hände.

Mein letzter Wundsch sol dieser seyn:

Herr, gib mir doch ein seligs ENDE.


Nur Gott und keinem mehr

Sey Lob, Preiß, Danck und Ehr'.

Amen,

Komm, allerliebster Herr Jesu,

Amen.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 209-210.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Casanovas Heimfahrt

Casanovas Heimfahrt

Nach 25-jähriger Verbannung hofft der gealterte Casanova, in seine Heimatstadt Venedig zurückkehren zu dürfen. Während er auf Nachricht wartet lebt er im Hause eines alten Freundes, der drei Töchter hat... Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.

82 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon