Dank-Lied

[277] Eines Gottseligen Haußvatters, Wenn Er seinen Gebuhrts-Tag in Frieden und Gesundheit abermahl hat erlebet.


1.

Lob und Dank sei dir gesungen,

Grosser Gott, an diesem Tag'.

Abermahl ist Mirs gelungen,

Daß Ich, Herr, dich preisen mag:

So viel Jahre sind verflossen,

Als Ich erst kahm auff die Welt,

Da Mir ward die Kost bestelt,

Die so reichlich Ich genossen.

Weil Mir nun geschehn so wol,

Ist Mein Mund itz rühmens voll.


2.

Nakkend zwahr bin Ich gekommen

Aus der Mutter Leib' herfür:

Bald hast du dich angenommen

Meiner Seelen mit Begier.

Reichlich hast du Mir gegeben

Kleider, Nahrung, Speiß und Trank,

Oftmahls auch, im Fall' Ich krank,

Mir gefristet Leib und Leben.

Weil Mir nun geschehn so wol,

Ist Mein Mund itz rühmens voll.
[277]

3.

HERR, Ich hab' es nicht verdienet,

Was du guhts an Mir gethan.

Oft bin Ich mit dir versühnet,

Wenn Ich in der Sündenbahn

Mit der bösen Welt gerennet;

Doch hast du zur jeden Zeit

Mir erzeigt Barmhertzigkeit,

Wenn Ich nur die Schuld bekennet.

Weil denn Mir geschehn so wol,

Ist Mein Mund itz rühmens voll.


4.

Deine Wunder und Gedanken,

O Mein Gott, sind treflich groß:

Hilf, daß Ich ohn' alles Wanken

Solch' erzehle Sorgenloß.

HERR, Ich kan sie nicht verschweigen,

Laß sie Mich vermelden doch:

Kindes-Kinder sollen noch

Dir deßwegen Ehr' erzeigen.

Denn weil Mir geschehn so wol,

Ist mein Mund itz rühmens voll.


5.

Wilt du nun Mein armes Leben

Hier noch länger fristen Mir,

Ey so wollest du Mir geben

Das, was Noht ist, für und für.

Denn wir können deiner Gaben

Nicht entbehren in der Welt:

Speise, Kleider, Wohnung, Geld

Müssen wir zur Nohtdurfft haben.

Thust du ferner Mir so wol,

Wird Mein Mund stets rühmens voll.


6.

Gib, Herr, daß Ich so verzehre

Deine Gaben, Speis' und Trank,

Daß Ich nicht Mein Hertz beschwehre

Noch Mich selber mache krank.

Laß Mich Geitz und Wollust meiden,

Gib Mir einen solchen Muht,

Der nur dich, das höchste Guht,

Hertzlich such' in Freüd und Leiden.

Thust du künfftig Mir so wol,

Bleibt Mein Mund stets rühmens voll.


7.

Alle Sorgen wil Ich legen,

Mein getreüer Gott, auf dich;

Kröhne Mich mit reichen Segen,

Nähre, schütz', erhalte Mich.

Deine Gühte laß Mich Schwachen

Leiten und zur jeden frist

Geben, was Mir nützlich ist,

Endlich Mich auch selig machen:

Denn geschicht Mir ewig wol,

Und Mein Mund bleibt rühmens voll.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 277-278.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon