Himmelfahrts-Gesang

[219] Du Lebensfürst, Herr Jesu Christ,

Der du bist aufgenommen

Gen Himmel, da dein Vater ist

Und die Gemein der Frommen,

Wie sol ich deinen großen Sieg,

Den du durch einen schweren Krieg

Erworben hast, recht preisen

Und dir gnug Ehr' erweisen?[219]

Du hast die Höll und Sündennot

Ganz ritterlich bezwungen,

Du hast den Teufel, Welt und Tod

Durch deinen Tod verdrungen,

Du hast gesieget weit und breit!

Wie werd' ich solche Herlichkeit,

O Herr, in diesem Leben

Gnug würdiglich erheben?

Du hast dich zu der rechten Hand

Des Vaters hingesetzet,

Der alles dir hat zugewandt,

Nachdem du, kaum verletzet,

Die starken Feind' hast ümgebracht,

Triumph und Sieg daraus gemacht,

Ja gar auf deinen Wagen

Sehr herlich Schau getragen.

Nun liget alles unter dir,

Dich selbst nur ausgenommen,

Es müssen Engel für und für,

Dir aufzuwarten, kommen;

Die Fürsten stehen auf der Bahn

Und sind dir willig unterthan,

Luft, Wasser, Feur und Erden

Muß dir zu Dienste werden.

Du starker Herscher fährest auf

Mit Jauchzen und Lobsagen

Und gleich mit dir in vollem Lauf

Auch mehr denn tausend Wagen.

Du fährest auf mit Lobgesang,

Es schallet der Posaunen Klang;

Mein Gott, für allen Dingen

Wil ich dir auch lobsingen.

Du bist gefahren in die Höh,

Hinführend die gefangen,

Welch' uns mit Thränen, Ach und Weh

Genetzet oft die Wangen;

Drüm preisen wir mit süßem Schall,

O starker Gott, dich überall,[220]

Wir, die wir so viel Gaben

Hierdurch empfangen haben.

Du bist das Häubt in der Gemein',

Und wir sind deine Glieder,

Du wirst der Glieder Schutz ja sein,

Wir dienen dir hinwieder.

Du stärkest uns mit Trost und Licht;

Wann uns für Angst das Herz zerbricht,

Dann kanst du Kraft und Leben,

Ja, Fried' und Freude geben.

Du salbest uns mit deinem Geist

Und gibst getreue Hirten,

Die Lehrer, welch' uns allermeist

Mit Himmelsbrot bewirten.

Du Hoherpriester zeigest an,

Daß deine Faust uns retten kan,

Ja, von der Höllen Rachen

Uns frei und ledig machen.

Du hast durch deine Himmelfahrt

Die Straßen uns bereitet;

Du hast den Weg uns offenbart,

Der uns zum Vater leitet,

Und weil denn du, Herr Jesu Christ,

Nun stets in deiner Wonne bist,

So werden ja die Frommen

Dahin zu dir auch kommen.

Ist unser Haubt im Himmelreich,

Als die Apostel schreiben,

So werden wir, den Engeln gleich,

Auch nicht heraußen bleiben;

Du wirst uns, deine Gliederlein,

Mein Gott, nicht lassen von dir sein,

Die doch so fest vertrauen,

Dein' Herrlichkeit zu schauen.

Herr Jesu, zieh' uns für und für,

Daß wir mit den Gemütern

Nur oben wohnen stets bei dir

In deinen Himmelsgütern;

Laß unsern Sitz und Wandel sein,

Wo Fried und Wahrheit gehn herein,[221]

Laß uns in deinem Wesen,

Das himlisch ist, genesen.

Hilf, daß wir suchen unsern Platz

Nicht hier in diesem Leben,

Besondern dort, wo du den Platz

Wirst Gottes Kindern geben.

Ach, laß uns streben fest und wol

Nach dem, das künftig werden sol,

So können wir ergründen,

Wo dein Gezelt zu finden.

Zieh uns dir nach, so laufen wir,

Gib uns des Glaubens Flügel;

Hilf, daß wir fliehen weit von hier

Auf Israelis Hügel.

Mein Gott, wann fahr ich doch dahin,

Woselbst ich ewig frölich bin,

Wann werd' ich für dir stehen,

Dein Angesicht zu sehen?

Wenn sol ich hin ins Paradies

Zu dir, Herr Jesu, kommen?

Wann kost' ich doch das Engelsüß,

Wann werd' ich aufgenommen?

Mein Heiland, komm und nim mich an,

Auf daß ich frölich jauchzen kan

Und klopfen in die Hände:

Gelobt sei Gott ohn' Ende!

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 219-222.
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