Daphnis der Lärchenfänger

[184] Als Daphnis einst spazieren gieng

Und ohngefähr zwo Lerchen fieng,

Gedacht er an die Galatheen,

Sprach: »Allerliebstes Täubelein,

Ach, daß du möchtest bei mir sein,

Du möchtest drei Gefangner sehen.

Ein halbe Stund' ist kaum vorbei,

Da waren diese Vöglein frei,

Die nunmehr in dem Netze hangen;

Auch ist es wahrlich nicht so lang',

Als ich noch lebte sonder Zwang

Und bin doch itzt so stark gefangen.

Was hilft michs denn, daß ich so oft

Bezwing' ein Vöglein unverhofft[184]

Und bin doch selber fast verstricket

Durch Galathe; was nützt es mir,

Daß ich so manches schnelles Thier

Hab' aus den Lüften weggerücket?

Sol das noch rechte Freiheit sein,

Indem so manches Vögelein

Sich selber zum Gefangnen machet

Und beut sich mir zu dienen an,

Alsdenn mich die bezwingen kan,

Die meiner Schmerzen höhnisch lachet.

Ach nein, ihr Lerchen, ob ich zwar

Euch könt' erwürgen ganz und gar,

So wil ich doch aus Liebe schonen,

Ich wil euch nicht mit Ach und Weh,

Als mir zu thun pflegt Galathe,

Für unverfälschte Treue lohnen.

Dafür solt ihr bei Tag und Nacht.

Wenn Daphnis hält die Thränenwacht,

Der Galatheen Lob ausbreiten

Und zeigen allen Hirten an,

Weil Daphnis nicht mehr leben kan,

Sie sollen ihm sein Grab bereiten.

Wolan, ihr allerliebsten Thier,

Ich bin gefangen mehr als ihr

Und kan die Freiheit nicht erwerben;

Dennoch so sag' ich in der Stil'

Und schwer' euch, daß ich redlich wil

Der Galatheen Diener sterben.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 184-185.
Lizenz:
Kategorien: