Zweite Scene.

[45] GHISMONDE.

Dort schreitet sie hin,

Geister des Abgrunds, nun steht mir bei!

In dieser Perle verborgen

Trag' ich das tödtliche Gift.

HELENE.

Ich weiß nicht, wie unnennbare Angst

Auf einmal mich ergreift!

Ha, wer ist diese?

PAGE.

An ihrem Muschelhute seh' ich's,

Eine Pilgerin.

GHISMONDE.

Vom heil'gen Grab gezogen komm' ich,

Gönn' mir ein gastlich' Dach.[45]

HELENE.

Kommst du von des Erlösers Grab?

Mit Freuden will ich dich empfangen!

GHISMONDE.

Arm bin ich, Königin,

Doch trag' ich ein unschätzbar' Kleinod

Von eines Heil'gen Hand.

Sieh, diese Perle!

Wirfst du sie in den Wein

Und trinkst die würz'ge Fluth,

So überströmt dich ew'ges Heil,

Kein Zauber kann dir widerstehn,

Und deiner Seele sich nicht entreißen,

Wen du mit Liebe umfängst.

HELENE.

Sprächst du wahr,

All meine Schätze, ich gäb' sie dir!

GHISMONDE.

Sieh, in des Weines Fluth

Golden schon die Perle ruht,

Trinke ew'gen Glückes Heil!

HELENE.

Ist's auch holde Täuschung nur,

Wohlan, ich trinke.

MANFRED.

Halt ein!

HELENE UND GHISMONDE.

Manfred![46]

GHISMONDE.

So erkenne mich:

Ich bin Ghismonde!

HELENE.

Wehe mir!

GHISMONDE.

Verwahr' den Trank und hüt' ihn gut,

Du bleiche Königin,

In jedem Tropfen birgt sich der Tod,

Die Stunde kommt, daß deine Hand

Nach diesem Becher greift

Wie nach der Hand des Freundes.

MANFRED.

Entsetzliche!

GHISMONDE.

Fluch über euch!

MANFRED.

Voll Reue stürz' ich dir zu Füßen

Und ring' verzweifelnd meine Hände,

Was ich dir that, dies Leid ohn' Ende

Nicht kann mit tausendjähr'ger Qual ich's büßen.

HELENE.

Du bist's, du bist's? Vorbei ist alle Qual!

Dich hab' ich wieder, o mein Gemahl!

Die weite Welt will mich beengen,

Die Seligkeit will mir das Herz zersprengen.

MANFRED.

O blick' nicht so voll Lieb' mich an,

Weh' diesem Haupt, was hab' ich dir gethan![47]

O sprich nicht gütig so, du milder Geist,

O sprich nicht gütig so, mein Herz zerreißt!

HELENE.

Mein bist du wieder und ich laß dich nicht,

Mein bist du wieder, süßes Augenlicht!

MANFRED.

Weh' diesem Haupt!

HELENE.

Ich will es neu bekränzen!

Laß heiter deine Stirne glänzen!

O komm, mein Trauter, wie zuvor

Laß dich von meinem Arm umfangen,

Noch einmal flüstre in mein dürstend Ohr,

Daß du mich liebst, noch einmal laß mich hangen

An deinem Mund, um nimmermehr zu scheiden!

MANFRED.

Ich that zu viel, nie kannst du verzeihn!

Mir ist, als stürzt' der ganze Himmel ein.

Weh dir und mir, wehe uns Beiden.

HELENE.

Horch, was ist das?

MANFRED.

Französischer Schlachtenruf!

ECKART.

Herr, die Feinde, sie kommen!

Von den Hügeln steigen sie hernieder!

MANFRED.

Wer that mir das?

ECKART.

Voll Untreu' hat Caserta die festen Schlösser ihnen aufgethan.[48]

HELENE.

O meine Ahnung!

ECKART.

Herr, die Barone verlassen dich,

Es verläßt dich das Volk

Und jauchzt dem Grafen von Anjou entgegen

Als seinem Könige.

MANFRED.

Ansteckend ist Verrath als wie die Pest!

Dort zieht er selbst mit finsterm Antlitz,

Verrätherische Fahnen, die ihn umflattern!

Noch bin ich König, noch trägt mein Haupt die Krone!

HELENE.

Die Trompete ruft!

MANFRED.

Sie ruft zum Tode

Und reißt mich weg von dir,

Damit ich sühn', was ich verbrach!

HELENE für sich.

Gehst du zum Tode, ich folge dir! –

MANFRED.

Nun ich es weiß, wie Sühne ich erringe,

Wird wieder frei der Seele Schwinge.

Fahr wohl! –

Nun geh' zum Tod ich wie zum Liebeswerben.

HELENE.

Wie selig ist's, mit dir zu sterben!

Fahr wohl, mein Leben! Horch, zum letzten Streite

Ruft die Trompete wie Gewittersturm.

Ach, daß ein Engel dich geleite![49]

MANFRED.

Fahr wohl!

HELENE.

Fahr wohl!


Quelle:
Carl Reinecke: König Manfred. Leipzig [o. J.], S. 45-50.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wilbrandt, Adolf von

Gracchus der Volkstribun. Trauerspiel in fünf Aufzügen

Gracchus der Volkstribun. Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Geschichte des Gaius Sempronius Gracchus, der 123 v. Chr. Volkstribun wurde.

62 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon