Stoßseufzer

[81] So verfolgt mich denn auf ewig

Dieser tolle Klimperdämon!

Ueber mir vollführt das Fräulein

Auf den Tasten ihre Wirthschaft;

Unter mir, in Kränkeltönen,

Kinderübungsprügeljammer;

Gegenüber gar der Leutnant –

Heilge Musen! Nah und fern

Ein verrücktes Trommeldröhnen

Auf des Hauses Lieblingsmöbel!

Bei den Einen wilde Lärmwuth,

Bei den Andern Zeitvertrödlung,

Bei den Meisten rücksichtslose

Stumpfheit und Gedankenmord!


O, wie ist die Zeit verwandelt!

Früher, wie die Väter sagen,

Hörte man in Mitternächten

Nur die schwärmerische Flöte;

Ein bescheidnes Instrument,

Nur ein Ton aus dem Orchester.

Aber heut muß über Massen

Jeder Einzle kommandiren,

Und mit athemloser Arbeit

Greift und packt er, was von Tönen[82]

Händevoll er kriegen kann,

Um in ungeheurem Schwärmen

Rasend um sich her zu schleudern

Sein verzweifeltes Gefühl!


Schicksal, gieb uns armen Eulen,

Die wir deutsche Dichter heißen,

Schaffensruh und Stille brauchen:

Gieb uns Thürme, gieb uns Bäume,

Bergeshöh'n und Einsamkeiten,

Oder schlag' uns gleich mit Taubheit!

Denn die Häuser baut man nur noch

Um Claviere drein zu stellen;

Und die Leute wohnen nur

Drinnen, um darauf zu lärmen;

Und sie lärmen, und sie klappern,

Weil sie nichts zu denken haben.


Ach, ich wünschte mir ein eignes

Instrument, wo jeder Ton

War' ein Kniff, ein Nasenstüber,

Fußtritt, Peitschenhieb, Karbatsche!

O wie himmlisch musikalisch

Wollt' ich dann noch selber werden

Für die liebe Nachbarschaft!


Quelle:
Otto Roquette: Gedichte, Stuttgart 31880, S. 81-83.
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