Das Festmahl im Ziselhofe.

[157] Ich wüßte aus meinem jetzigen Leben keine Freude herzunehmen, welche an Schein und Gehalt jener vergleichbar wäre, da mein Meister die Maßfäden von seinem Nacken nestelte, das Nadelkissen, welches mit seinen Nadeln die ganze Woche über wie ein kleiner Igel auf dem Tische gekauert war, zu rupfen begann, das Ränzlein zum Einpacken auf den Tisch legte und es mählich zu stopfen anhub.

»Lassen wir Feierabend!« sagte er.

Ich tat allemal auf dieses wunderschöne Wort nichts desgleichen und nähte noch etliche Stiche weiter, daß der Meister nicht merken sollte, wie der Schlingel schon lange innerlich nach dem Spruche gelechzt habe, der ihm auf sechsunddreißig Stunden die Freiheit gab.

»Laß es gut sein,« sprach er dann, »und leg' das Zeug schön zusammen. Bis wir heimkommen, wird's finster sein.«

Die Bäuerin hatte stets schon eine geraume Weile heimlich gespäht, wann wir Anstalten zum Feierabend treffen wollten, denn da mußte die »Fortgehjausen« fertig sein; sie will die Strauben (Eier mit Mehl in Schmalz gebacken) frisch ausgekocht und nicht abgestanden auf den Tisch bringen, eine Sorge, die nicht die kleinste ist unter den Sorgen einer Hausfrau.[158]

Eine richtige Bäuerin an ihrem Herde ißt bekanntlich nicht, sie wird satt vom Kosten, vom Geruch ihrer Speisen und vom Lobe, das man ihnen zollt. Und gerade nach dem Handwerkerlobe steht ihr der Gaumen, wie es dem Gourmand nach Nachtigallzungen gelüstet. Denn das ist etwas Delikates; der Handwerker ist auf seinen Wanderungen von einer Küche zur anderen ein Feinschmecker geworden, und eben er ist es, der den Leumund einer guten Köchin weiter trägt von Haus zu Haus und in alle Welt verbreitet. Daher müssen solche Zungen bestochen werden mit dem Feinsten, was die Küche zu bieten vermag.

Auch ich habe diesen Vorteil genossen; aber die »Fortgehjausen« hat mir niemals gemundet. Das Wort: »Lassen wir Feierabend« hatte mein Herz jedesmal in dem Maße geschwellt, daß der Magen nachgerade in den Winkel gedrückt wurde. Die mancherlei Umstände, die an der Fortgehjause hingen, als die Lobsprüche über »das rechtschaffen gute Essen«, das »Vergeltsgottsagen« und »Behütgottnehmen« waren mir lästig; nur fort aus der Stube, nur ins Freie und Weite, nur meinem Waldhause zu!

Für den Meister kam, wenn wir die Ster vollendet hatten, nach der Fortgehjause etwas, das ihm zumeist freilich noch lieber war, als die Freie und die Weite. Es kam der Bauer, wetzte und schleifte so eine Weile um den Kasten und um den Tisch, kraute sich auch wohl den Haarstrupp und entschloß sich endlich zur Frage: »Tät' ich halt jetzt fragen, Schneider, was die Schuldigkeit wär'?«

Es stak häufig viel Angst in dieser Frage, und es[159] stak auch viel Angst in der Antwort. Gegen Ende der Ster hatte den Meister allemal der Gedanke beschäftigt: Der Bauer, wird er zahlen, oder wird er schuldig bleiben? – Mein lieber Meister hatte niemals über Gebühr gerechnet und stand nicht danach, daß ihm dieser Entscheid so gleichgültig sein konnte, maßen mancher Arbeitgeber das »Schuldigbleiben« in dem bekannten Sinn des Till Eulenspiegel aufzufassen liebte und schuldig blieb. So geschah es denn jedesmal mit beklommener Brust, wenn der Meister den verdienten Lohn aussprach: »Wir haben unser zwei eine Woche gearbeitet; für einen des Tags vierzig Kreuzer, tät' zusammen gerade vier Gulden achtzig Kreuzer ausmachen.«

»Ist schon recht,« sagte der Bauer, und wenn er das sagte und sonst nichts mehr, so war es gut. Dann lag das Geld auf dem Tisch. Wenn er aber sagte: »Vier Gulden und achtzig – so so. Na, viel tät's eh' nit sein, soweit rechtschaffen zufrieden, aber halt das schlechte Jahr, das ich heuer wieder gehabt hab'; der Schauer hat mich troffen, Holz haben wir keines mögen auf die Kohlstatt bringen, weil das Wasser den Weg just frei so viel zerrissen hat und mit dem Vieh ist auch nichts zu machen gewesen – deswegen tät' ich halt wohl recht schön bitten, wenn –«

Es war zum Erbarmen, in solchen Augenblicken des Meisters Märtyrtum auf seinem Gesicht zu lesen. Die Rede, die hier so weich und gütig gesprochen wurde, als Schauer zerschlug sie dem guten Meister die Ernte, als Wasser zerriß sie seine Wege, als Seuche wütete sie in seinem Viehstand, denn seiner Hände Erwerb war alles, was er hatte.[160]

Die Hauptsache war demnach heraus, der Bauer setzte nur noch bei: »Wenn halt der Meister ein kleines Nachwarten wollt' haben.«

»Wegen einem kleinen Randel (Weilchen),« meinte der Meister allemal etwas gedämpft, »wird's nicht aus sein.«

Wird dem Bauer ganz warm ums Herz, daß die gefürchtete Sach' so rasch und gut abläuft. »Will schon trachten,« sagt er, »daß ich ehzeit zahlen kann, will schon trachten, bin wohl recht froh.«

Der Meister schweigt, er weiß, von nun an hat er einen mehr von denen, die ihm auf dem Kirchweg ausweichen.

Außer dem Zahlen oder Nichtzahlen gab's zu Ende der Ster auch noch was anderes, was mir die Wonne des Feierabends oft höllisch verbitterte. Es ist der Brauch, daß der Meister vom Arbeitgeber nach vollendeter Arbeit den »Sterlaib« kriegt. Das ist ein großer Laib Weißbrot für die Familie des Meisters daheim. Da mein Meister weder Frau noch Junge hatte, denen er Futter hätte zutragen müssen, so ließ er sich den Sterlaib zumeist in Geld ausfolgen, wobei er ebenso bescheiden als unartig war, bescheiden, weil er sich stets mit ein paar Sechsern begnügte, unartig, weil er den großen schönen Laib mit dem hohen glänzenden Bauch, in welchen die Bäuerin alle Sorgfalt und den ganzen Stolz einer Backfrau hineingebacken hatte, nicht höher, als auf ein paar Sechser taxierte. Der Bauer dachte sich: Da behalt' ich mir das schöne Brot selber, schmier' mir Honig drauf und esse eine ganze Woche dran – und zahlte die Sechser; die Bäuerin dachte sich: Tust nicht[161] recht, Schneider, daß du meinen Laib verschmähst! Gib acht, verredetes (verschmähtes) Brot wird viel gegessen. Der Lehrling dachte sich: Juchhe, da brauch' ich das Ungeheuer nicht zu schleppen! Und der Meister dachte sich: Um die zwei Sechser zwei Seidel Wein sind mir lieber, als ein Laib trocken Brot.

Der ungarische Schneider – daß mir dieser Mensch doch immer unter die Feder laufen muß! – war aber einer, der mit jeder Bäuerin so gut stand, daß er ihren Laib selten verschmähte; doch vertraute er einmal seinem Freund, dem Schmiedfranzel aus dem Schwendgraben, er esse solches Brot lieber mit einem ei, als mit einem ai, worauf der Schmiedfranzel antwortete: Mit einem Ei wäre es auch besser. Die Lotter waren einer wie der andere.

Mancher Bauer steifte sich und sagte: Wenn wir das Brot nicht wollten, Geld gebe er keines dafür; so wollte der Meister das Brot, und ich mußte den Laib mir auf den Rücken binden lassen und trappelte solchergestalt wie ein kleines Kamel hinter dem Meister her.

Sitte ist auch, daß der Handwerker an den Sonn- oder Feiertagen, die zwischen oder unmittelbar nach Schluß der Ster zu stehen kommen, vom Arbeitgeber zum Mittagsessen eingeladen werde. Liegt ein Haus aber gar zu weit von der Wohnung des Handwerkers, oder der Kirche, wo er zum Gottesdienste ist, abseits, so wird das Mittagsmahl wohl auch mit einem mäßigen Geldbetrag vergütet. Der großherzige Bauer jedoch lädt seine Handwerker anstatt für den nächsten Sonn- oder Feiertag gern für einen hohen Festtag ein, da sich seine Küche hervortut und er seinem Hausgesinde ein stattliches[162] Mahl zu geben gewohnt ist. So war es mitten im Sommer, daß wir im Ziselhofe unsere Ster beendeten, und der Bauer, nachdem er den Lohn proper mit einer Zehnerbanknote bezahlt, für den Sterlaib noch zwei Silberzwanziger auf das Papier gelegt hatte, in seiner höflichen Weise die Einladung machte: »Für den nächsten Sonntag zum Essen, das täte sich bei der Abgelegenheit meines Hauses wohl nicht auszahlen; aber am heiligen Christtag, Schneider, tut's mir zum Mittagsmahl kommen – nicht vergessen.«

»Werden schon kommen, wenn wir noch leben,« antwortete der Meister.

Da schaute der Bauer so drein, ob's dem Meister nicht etwa doch zu lange hingezogen wäre mit dem Mittagsmahl. »Will's auch zahlen,« sagte er, »wenn's euch lieber ist.«

»Beileib' nicht, Bauer, der Christtag bei dir ist uns schon recht. Und sollt' einer von uns Schneidern nicht mehr da sein, so gib dafür das Mittagsmahl dem alten Schandhans.«

Der Schandhans war in Ehren grau geworden und lebte zu jener Zeit in einer Halterhütte als Besenbinder. Es ging ihm sehr schlecht, sein Name: Johann Schand hatte ihn eigentlich zum Bettelmann gemacht. In der Jugend soll er im Begriffe gewesen sein, eine reiche Heirat zu machen; aber die Verwandten und besonderen Bekannten der Braut hatten diese so viel und so lange mit dem Schandbräutigam geneckt, daß sie den guten Hans stehen gelassen hat und einem anderen Burschen mit viel schönerem Namen zugelaufen ist, der sie aber erst recht in die Schand' gebracht haben soll. Wenn[163] sich die meisten Leute auch über den Namen des ehrlichen, gutmütigen Hans hinaussetzten, so konnte man doch nicht behaupten, daß derselbe für den Träger eine besondere Empfehlung war, und dem Armen ging's in seinem Alter, wie es tausend anderen geht, sie mögen übrigens heißen, wie sie wollen.

Dieser Mann also war im Falle unserer Abwesenheit für den Christtag im Ziselhofe zum Mittagsmahl bestimmt gewesen.

Es kam der Winter, und am Christtage nach dem Gottesdienst stand der Ziselhofer schon auf dem Kirchplatz und fahndete nach uns und wir sollten mit ihm kommen.

Nun war aber an demselben Tage ein solches Schneegestöber, daß man – wie der Egghofer zu St. Kathrein gern sagte – schier meinte, es habe im Himmel einen Bettler zerrissen, weil so viele Fetzen herabfielen. Die Leute auf dem Kirchplatz sahen wie Schneemänner aus, nur daß sie nicht so starr dastanden, sondern sich beizeiten aus dem wehenden Schneestaube machten. Bis zum Ziselhofe war es weit über eine Stunde, und doch gingen wir mit dem Bauer, fürs erste, um ihm den Beweis zu liefern, wie hoch wir die Ehre, daß er uns zum Christmahle geladen, zu würdigen wußten, und für's zweite, weil wir kein anderes Mittagsmahl in Bereitschaft hatten.

Mit Mühe und Not kamen wir zum Ziselhofe. Ein ganz besonderer Duft, der uns aus dem Hause entgegenwehte, deutete sofort an, daß es sich der Mühsal verlohnen werde.

Als wir in die große Stube traten, wo wir im Sommer unsere Werkstatt aufgeschlagen gehabt, wandte[164] ich meinen Blick vorerst auf den Hausaltar hinter der Tischecke, ob die lieben Heiligen wohl noch alle da wären, die uns dazumal bei der Arbeit so still zugeschaut hatten; auf sie wollte ich mich heute berufen, wenn ich allzu tief in den Genuß der Fleischkrapfen versinken sollte: sie hatten es durch ihre gläsernen Tafeln heraus gesehen, wie ich mir die Sache redlich verdient.

Auf den Bänken der Stube saßen die Knechte des Ziselhofes in ihren weiten und schneeweißen Hemdärmeln herum und rauchten ihre Sonntagspfeifen; eins vor dem Essen, das soll Appetit machen; sie hatten zwar schon vom Kirchweg eine erlesene Essenslust mit heimgebracht, aber heute konnte der Appetit nicht zu groß sein – das wußten sie. Nur dem kleinen Friedel, dem Schafjodel, wie sie ihn hießen, weil er die Schafherde verpflegte, hätte ich es nicht raten mögen, jetzt zu rauchen. Denn er tat's das erstemal. Und wahrhaftig, als die vorderste Schüssel herangedampft kam und der Bauer das Tischgebet lostat, war mein Schafjodel aus der Stube verschwunden, und ist die ganze Mahlzeit über nicht mehr gesehen worden.

Als wir uns zusammensetzten – mein Meister und ich wurden höflich auf den Ehrenplatz geschoben – ward uns eine Überraschung zuteil.

»Schandhans!« rief der Ziselhofer mit seiner weichen Fistelstimme, nach deren Flöten die ganze große Wirtschaft tanzte und der besonders zu dieser Stunde bereitwilligst gehorcht wurde, »Schandhans, geh' nur her und setz' dich zu den Schneidern.«

Jetzt kroch vom dämmerigen Ofenwinkel ein altes, verdammt buckeliges Männlein hervor, aber heute hübsch[165] glatt rasiert und gekämmt und ein sauberes Sonntagsgewand am Leibe. Er machte so etwas wie eine Verneigung vor den Schneidern und rückte sich dann zu ihnen, und saß ganz klein da, daß kaum seine breiten Achseln ein wenig über den Tisch heraufragten. Macht aber nichts heute, wenn nur der Kopf mit dem Munde zugegen, so ist's genug. Das alte Männlein betrug sich gar sittsam und bescheiden und wartete fast mit jedem Löffelvoll, bis er dazu vom Bauer extra eingeladen und genötigt wurde, und schämte sich fast ein bißchen, daß es auf der Welt war.

Mein Meister hatte, als der Schandhans vorgerückt war, den Bauer so von der Seite angelugt, und der Bauer wieder den Meister, so daß sich die Augen unterwegs begegneten und gute Bekanntschaft machten. – Ist's recht? fragten die des Ziselhofers. – Das gefreut mich von dir, Bauer, sagten die des Meisters. – Ist dein Wunsch christlich gewesen, sagten die Augen des Bauers, so wird wohl mein Christtagstisch auch christlich sein müssen. Der arme Mann soll heute mit uns essen, weil du ihn geladen hast, euch Gästen zur Ehr'! – Sagten hierauf die Augen meines Meisters: Ich arbeite schon seit dreißig Jahren in deinem Haus, und daß ich dir noch nicht ein handbreit Tuch stibiezt hab', das gefreut mich heute zweifach.

Aller anderen Augen hatten jetzt keine Zeit zum Plaudern, sie hüpften in der Schüssel um, nur daß etwa der Großknecht einmal die Großdirn anblinzelte: wie es heut' schmecke?

Der drallen Ziselhoferin aber, die, während wir aßen, immer am Herde waltete und zwei flinke Küchenmägde[166] beschäftigte, ihr setze ich aus Dankbarkeit hier ein Denkmal.

Zuerst kam eine große Schüssel würziger Rindsuppe, in welche der Bauer mit würdiger Opferhand Weißbrot schnitt. Die Suppe aßen wir aus der gemeinsamen Schüssel. So auch aus der zweiten Schüssel das reichlich mit Speck eingebrühte Grubenkraut, dessen Erinnerung noch heute imstande ist, mir in Zähnen und Gaumen begehrliche Gelüste zu wecken. Dann kam wieder eine Schüssel mit Rindsuppe, in welcher sich ein Schock dampfender Weizenknödel mit Semmel und Speck gefüllt herumwalkte. Diese Schüssel hatte einen Seitengänger, einen mächtigen Topf mit geräuchertem Schweinefleisch, aus welchem der Ziselhofer vermittelst einer Gabel jedem ein redlich Stück auf den Teller legte. Dabei fragte er allemal an: lieber seist oder mager? Nach seist war großes Begehren, nur wir Schneider erbaten uns mager; und der kleine Schandhans flüsterte: »O, vergelt's Gott, ich hab' schon rechtschaffen genug.«

»Oho!« rief der Ziselhofer, »das dürft' nicht sein, wir fangen ja erst an.«

Hierauf kam eine Schüssel Rindfleisch und ein Gefolge von Krenntunktöpfen. Jeder nahm seinen Fleischlempen (großes Stück), tranchierte ihn auf dem hölzernen Teller und tauchte die Stücke mit der Gabel in den Krenn.

Nach diesem Aufzuge erschienen Schweinsfüße in Sulze, hübsch mit Pfeffer gezuckert. Diese Schüssel sah aus, wie ein zugefrorener Teich mit Asche bestreut.

»Da wäre es zum Eisschießen« (ein Volksspiel auf dem Eise), bemerkte einer der Knechte.[167]

»Ich denke, wir brechen es auf und fischen,« sagte der Bauer und riß mit seinem Instrumente die Schweinsfüße mitsamt Haar und Klauen aus der Sulze empor. Als wir daran aßen, sagte die Weidmagd folgendes Wort: »Du verhöllte Sau, du bist mir im vorigen Sommer oft genug davongelaufen, jetzt das ist dein letztes Laufen!« und steckte den Schweinsfuß in den Mund.

Nach diesem Gerichte wankte, von den runden Armen einer Magd getragen, eine ungeheure Schüssel hoch aufgespeichert wie ein Scheiterstoß – die Krapfen – heran. Es waren große, viereckige Kuchen, üppig aufgebläht und mit Zucker überpfeffert. Auf den steirischen Bauerntisch kommen seit Bestehen der Welt keine solchen Krapfen, ohne daß einer die Bemerkung täte: »Schau du, heut' hat's in die Schüssel geschneit!« Diesmal sagte es der Unterknecht, und der Waldbub setzte bei: »Ja, Unterknecht, du wirst eher als ich einen Wein trinken, hab's gerad' auch sagen wollen.«

Das vom Weintrinken ist sprichwörtlich, aber es war nicht uneben angebracht. Der Ziselhofer erinnerte sich an das schwere, kühle Fäßchen, welches er auf der Wandbank stehen hatte. Er schenkte jetzt den großen grünen Krug, der bislang mit frischem Wasser um den Tisch gekreist hatte, mit Wein voll, und jetzt gab es – des mußten sicherlich die fetten Krapfen Ursach' haben – weit mehr durstige Leute an dem Tisch, als früher. Der Krug hatte dort, wo es herausrann, einen scharfen Schnabel, und da hielt mancher seinen Mund hübsch lange an diesen Schnabel und die Kuhdirn fragte den Hausvater: »Bauer, wo kaufft denn du die Krüge, daß es daraus so gut zu trinken ist?«[168]

»Beim Stockerwirt,« antwortete der Ziselhofer.

»Ja,« rief die Magd einfältig aus, »seit wann kriegt man denn bein Stocker Trinkkrüge?«

»Trinkkrüge nicht,« schmunzelte der Bauer, »aber das, was hineingehört.«

Der Schandhans ließ sich zu jedem Trunke nötigen und wischte sich allemal, bevor er ihn tat, mit großer Sorgfalt den Mund ab; dieser Umstand bewog mich, meinen Durst so zu regeln, daß er immer unmittelbar nach dem Schandhans zur Stillung kam.

Die Krapfen sprachen in ihrer Überzahl den Essern Hohn; der größte Ansturm war gebrochen, ein guter Rest des schweren Geschützes wanderte in die Küche zurück. Alsbald kam eine Schüssel mit gekochten Zwetschken in der Suppe. Diese wurden vernichtet. Dann erschien in wuchtigen Stücken der Braten, dessen dicke, wohlgeschmorte Speckhaut in tiefen Schrammen klaffte. Als Zugabe appetitlich in Schüsselchen aufgeschnitten, mit Weinessig und Kümmel zubereitet, rote Rüben.

Hier wurden meinem kleinen Nachbar die alten Augen naß. – Er möchte noch gern und er kann nicht mehr.

»Bradel eß' ich wohl, ich,« sagte der Großknecht und tat, was er sagte – und tat's gründlich.

Nach dem Braten kam – es ist die volle Wahrheit, ich schildere nur ein gewöhnliches Festmahl bei den oberländischen Großbauern – das Schmalzkoch, oder wie es näher bezeichnet heißt – das deutschweitzene Griesschmalzkoch. Der Brei schwimmt, wie es sein muß, in Schmalz und ist reich bespickt mit Korinthen und Zibeben, was auch jedesmal zur Bemerkung Anlaß gibt, wieso denn der Köchin so viel Fliegen ins Koch gefallen wären?[169] Dieses Gericht erfreute sich nur mehr eines matten Zuspruches; was indes die Hausfrau nicht hinderte, sofort eine mächtige Schüssel mit Branntweinnudeln auf den Tisch zu schicken. Das waren kleine, in Schmalz gebackene, in Branntwein gedünstete und extra noch mit Branntwein und Zucker überschüttete Kräpfchen, deren Duft schon imstande war zu berauschen. Männiglich nahm die Gabel wieder zur Hand und zuletzt den Löffel, um den Branntweinsumpf auf dem Grunde der Schüssel trocken zu legen. Selbst der kleine Schandhans tat hier wacker mit und sein Gesicht zog sich behaglich in die Breite. Während alldem war der stets neugefüllte Weinkrug immer lebhafter ins Kreisen gekommen, die Unterhaltung verwilderte, sogar die Schranken der Achtung gegen die Schneider wurden nicht respektiert; keiner hörte mehr, wenn der Meister sprach, außer der Hausvater.

Mein Meister wurde allemal wehmütig, so oft er Wein trank, auch wenn's ein geschenkter war. So schaute er jetzt vor sich hin und sagte: »Ja, mein lieber Gott, wer weiß, ob wir den Christtag noch einmal derleben!«

»Jawohl,« gab der Ziselhofer bei und stopfte sich den Mund mit der letzten guten Branntweinnudel.

Und nun kam aus der Küche noch etwas, von dem der Peter Heiderberger damals stetig behauptete, es richte die Bauernschaft zugrunde. Es war nämlich etwas Neues, aus der Fremde Gekommenes, ein Ding, das für die vornehmen Leute auf der Welt wäre und der Bauersmensch nur aus Hoffart zu sich nähme. Mein Ziselhofer hatte eigentlich dasselbe gesagt, aber seine Hausmutter hatte ihm bewiesen, daß die Sache zu einer[170] rechten Mahlzeit gehöre, daß sie in allen »besseren« Häusern eingeführt sei, und daß sie im Grunde um keinen Pfennig mehr koste, als eine Schüssel mit Milchrahm und Semmelschnitten, wie man solche früher als letztes Gericht aufgetragen habe. Auch wußte der Ziselhofer bereits aus Erfahrung, das Ding trinke sich nicht schlecht – und so kam es, daß jetzt durch die weit offene Küchentür eine unermeßliche Schüssel mit Kaffee hereingetragen wurde.

Nicht etwa schwarzer – den kennt man in der Bauernschaft nur als Medizin – sondern Milchrahmkaffee, in welchen jetzt ein halb Dutzend Semmeln geschnitten wurde.

Kein Tropfen davon ist übriggeblieben.

Nach dem Kaffee lugte der Jungknecht nach der Küchentür, ob nicht noch etwas käme, aber der Hausvater sagte gegen meinen Meister und mich gewendet: »Müßt's halt vorlieb nehmen, Schneider, wir sind fertig«, und schlug das Tischgebet an.

Nach demselben stand alles vom Tische auf, das Gesinde der Reihe nach küßte dem Hausvater und der Hausmutter die Hand: »Vergelt's Gott, Bauer, vergelt's Gott fleißig, Bäuerin – vergelt's Gott!«

Wir, die Schneider, hätten gern etwas Feineres gesagt, aber es fiel uns nichts ein und so blieben wir auch beim »Vergelt's Gott«. Der Ziselhofer erwiderte unseren Händedruck und sagte: »Gesegne euch's Gott, 's ist ja nicht viel gewesen, und ich denk', jetzund zünden wir ein Pfeifel an.«

Der kleine Schandhans war im Laufe der Begebenheiten hübsch gesprächig geworden, er wollte dem Bauer[171] jetzt beide Hände küssen und da dieser die Bedrohten immer hinter dem Rücken barg, so torkelte der Alte so lange um den Ziselhofer herum, bis er sein Ziel zur Not erreicht hatte.

Nach der Danksagung suchte sich jeder nach Belieben einen Platz zum Sitzen, sei es auf der Wandbank, sei es am Tische, sei es am Ofen oder auch tief unten auf einem Betschemel – man setzte sich, dampfte Tabak an, stocherte die Zähne mit Strohhalmen aus, erzählte, hörte oder duselte ein – je nach Talent und Neigung.

Mein Meister und ich gehörten zu den Zahnstocherern, der kleine Schandhans steckte seinen höllisch rußigen Pfeifentiegel vors Gesicht und als er ins Zeug kam, fragte ihn der Hausvater, was er doch für einen starken Tabak rauche?

»Überreiterkraut,« schmunzelte der Hans; das war Ungarischer, Geschwärzter.

»Vertragst ihn?«

»Muß wohl,« antwortete der Alte, »rauch' ihn fürs Podagra. Wenn mich das Deibelsding rechtschaffen zwickt, so rauch' ich Überreiterkraut.«

»Sollst doch auch sonst was dagegen anwenden,« meinte der allzeit teilnehmende Ziselhofer, »sollst einen Bader fragen.«

»Weißt mir einen, der das Podagra hat?« fragte der Alte.

»Der's hat?«

»Das Podagra muß er haben. Wer das Podagra nicht hat, zu dem hab' ich in der Sach' kein Vertrauen, er weiß nichts und versteht nichts. Mit einem, der das Podagra nicht hat, kann der Mensch gar nicht davon[172] reden. Und zu einem Arzt muß der Mensch Sympathie haben, sag' ich alleweil, wenn er zum Arzt keine Sympathie nicht hat, so kann sein Lebtag auch kein Sympathiemittel nicht helfen.«

»Mag wohl sein, das,« sagte der Ziselhofer, »und hilft der Tabak?«

»Sind halt wohl Tage,« fuhr der Hans fort, »wo auch das Überreiterkraut nicht angreifen will. Nu, da versperrt sich der Mensch in seine Hütten, vergrabt sich in sein Stroh und wartet, bis sich das Gespenst an den Knochen satt genagt hat.«

»Daß dir die Zeit nicht lang wird, Hans, in deiner ödweiligen Hütten, das wundert mich,« so sagte mein Meister, und sprach uns damit allen aus der Seele.

»Ich bind' Besen,« antwortete der Alte.

»Und kommst nicht bisweilen ins Simulieren?« fragte der Meinige – wie die Schneider schon sind, die müssen zu der federleichten Handarbeit allemal auch eine Kopfarbeit haben, aber ja keine solche, wie der alte Bühelsteiger meint, wenn er die Stadtherren ärgern will. »Meine Ochsen arbeiten auch mit dem Kopf,« sagte der Bühelsteiger und bindet den Viehern das Zugjoch an die Hörner. »Ich meine, Hans,« sagte der Meister, »ob du nicht unterschussen (von Zeit zu Zeit) ins Nachdenken drüber kommst, daß andere Leut' um so viel besser leben, als wie du, und gibt's viele dabei, die ihr Lebtag nicht so brav und fleißig gewesen sind wie du.«

»Hab' wohl schon dran gedacht,« meinte der Alte, »hilft aber nichts, so denk' ich nimmer dran und bind' Besen.«[173]

Schüttelten halt mehrere von uns ihre Häupter, was immer gescheit ausschaut und ein Ansehen gibt.

»Ja, was glaubt ihr denn, Leut'!« sagte der Schandhans und tat einen verwunderlich lauten Lacher, »ich leb' nicht so schlecht, wie es ausschauen mag. Hab' auch meine heimlichen Sünden; wenn ich einmal gestorben bin, so fragt neuding (absichtlich) die Stockerrosel – die weiß was.«

»Aber schneien tut's schon damisch draußen,« sagte der Ziselhofer und legte seine Nase aus Fenster; er fand's nämlich hoch an der Zeit, die Unterhaltung zu wenden, er merkte, im alten ehrlichen Schandhanskopf begann der Wein zu blühen. Ja, das damische Schneien war richtig, aber das Geheimnis der Stockerrosel! Die Rosel war das schönste Dirnlein weit und breit; an Sonntagen war sie vormittags Primadonna auf dem St. Kathreiner Kirchenchor und nachmittags machte sie daheim die Kellnerin und sang den Bauernburschen mit allerlei Schelmenliedchen den Verstand aus dem Kopf. Und dieses Mädel sollte mit dem Schandhans Heimlichkeiten haben?

In der Stube war es dunkel geworden, im Weinkrug auch, so rüsteten wir uns zum Nachhausegehen. Der alte Hans fand auf der Bank sein blaues Sacktuch nicht mehr; das kam jetzt an der Hand der Hausfrau von der Küche herein, als Bündel voll Krapfen und Braten, »daß halt der Hans morgen daheim auch noch was hätt'«.

»O, du Narrisch, du guter Narrisch,« stotterte der beglückte Alte der Ziselhoferin vor, »das ist schon gar zu viel, das kann ich nit vergelten, na wart', Hausmutter, da muß ich dir doch nachst einen braven Besen herauftragen.«[174]

Uns gab der Ziselhofer seinen stärksten Knecht mit, daß er uns den Pfad trete. So schob der baumstarke Kerl voraus, mit seiner Brust wie ein Schneepflug die Gasse bahnend – und hinter ihm drein hasteten die beiden dünnen Schneiderlein, die immerhin noch genug zu tun hatten, um mit Ehren weiterzukommen.

Als wir zu Hause im Stübel saßen, der Meister die Brillen auftat, mit der Schere die Kerze schneuzte und dann seine Hauspostille vornahm, um den heiligen Tag auferbaulich zu beschließen, begann ich im stillen eine Unterlassungssünde zu bereuen und konnte gar nicht begreifen, warum ich beim Mittagsmahle so wenig gegessen hatte. Wohl sagte mir das Gewissen: Beunruhige dich nicht, junger Schneider, du hast gegessen, so viel dir menschenmöglich gewesen!

»Bet' auch was aus dem Büchel!« mahnte der Meister und schneuzte das Licht mit den Fingern, weil's ihm um die Schere für die Länge leid tat. Ich suchte im Überrock mein Gebetbuch und fand im auswendigen Sack einen großen Krapfen. Jetzt, das war ein würdiger Gegenstand meiner Andacht. –

Der Schandhans band nach diesem Tage noch eine Zeitlang Besen, dann begab er sich selbst dem Staube.

»Jetzt kommt er mir am Samstagfeierabend nimmer und ich kann ihm sein Schnapsplutzerl nimmer füllen,« so sagte am Tage seines Begräbnisses die schöne Stockerrosel zu den Gästen.

Sein Schnapsplutzerl! Du gute alte Haut – und das war dein Geheimnis gewesen.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 157-175.
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