Schneider und Nähterinnen durcheinander.

[121] Schneider, Ihr müßt mir heiraten helfen!« redete auf dem Kirchplatz der Bauer Burgfrieder meinen Meister an.

»So! Tut das nicht deine Braut?« sagte mein Meister.

»Sie wird schon auch was beisteuern,« sagte der Bauer schalkhaft, »aber den auswendigen Bräutigam, den müßt Ihr mir hinaufschneidern.«

So nahmen wir an einem der nächsten Tage die Werkstatt unter die Arme und gingen in den Burgfriederhof. Es wäre das eine Ster gewesen, wie jede andere, wenn sich auf derselben nicht die höchst sonderbare Geschichte von der Nähterin zugetragen hätte.

Als wir in dieses Bauernhaus eintraten, standen in der großen Stube zwei Tische. Der eine war noch leer und wartete mit seiner breiten Platte auf die Schneider. An dem anderen, der in der gegenüberstehenden Stubenecke stand, saß die Nähetrin Sanna mit ihrer Ziehtochter. Sie schneiderten an dem inwendigen Bräutigam, nämlich an den Pfaiden und Brustflecken – daraus erhellt, daß der Burgfrieder ein Bräutigam zum Wenden werden wollte. Die beiden Nähterinnen waren gar ungleich. Das Gesicht der Sanna verglich man insgeheim mit einem rostigen Reibeisen, nur daß an der Nase und dem scharfen Kinn graue Härlein standen, was bei einem Reibeisen nicht vorkommt. Um das Haupt hatte sie fast turbanartig[122] ein braunes Tuch gewunden, unter welchem hervor die Haare allerhand Arabesken machten in Ringlein und wirren Strähnen. Das Gesicht ihrer Ziehtochter, der Adelheid, war wie Milch und Blut. Richtig ist das zwar nicht, denn ein Gesicht »wie Milch und Blut« müßt' wunderlich aussehen; aber man sagt einmal so und man weiß, was dabei zu denken ist. Es ist im Himmel und auf Erden gar kein herzigeres Gesichtl denkbar, als das der Adelheid war, es müßte denn die Hölle noch schönere im Vorrat haben, um der holden Nähterin den Liebsten abspenstig zu machen. Wenn sie erst einen hat!

Diese beiden Frauen saßen an ihrem Tische und nadelten. Als wir zur Tür hereingetreten waren, sollen die beiden Farben gewechselt haben – die Alte wäre blaß geworden und die Junge glührot. Des weiteren kümmerten sie sich nicht viel um uns, nur merkte ich, daß die Alte, wenn sie bisweilen zu unserer Werkstatt herblickte, auch in den Augen Nadeln hatte; gottlos stachen sie herüber auf die unschuldigen Gestalten der zwei Schneider. Die Junge schlug den Blick mit den schwarzseidenen Vorhängen ihrer Wimpern stets nieder auf ihren Schoß, wo die Arbeit war.

Sie führten miteinander leise Gespräche, die ich anfangs nicht verstand; als sich jedoch mein Gehör schärfte, nahm ich wahr, daß sie sich durchaus nicht immer über ihre Mitmenschen unterhielten, die in allerlei Sünden der Welt umherwateten. Sie sprachen auch von ganz anderen Leuten und Dingen.

»Meint die Frau Mutter, daß die heilige Notburga auch bei der Rosenkranzschwesterschaft dabei gewesen ist?« hörte ich die Adelheid sagen.[123]

»Das kannst dir denken,« antwortete die Alte. »Sonst hätte sie schwerlich die Gnade haben und eine Heilige werden können. Wirst es auch im Büchel von der heiligen Veronika gelesen haben, wie der böse Feind Tag und Nacht Köder ausstreut auf den Wegen der Welt, um Menschen zu fangen.«

»Ja, da hat die Frau Mutter wohl recht,« sagte das Mädchen.

Die Alte fuhr fort: »Da habe ich mir gedacht, ob du dich nicht doch auch in die heilige Johannesbruderschaft solltest einschreiben lassen. Da soll auch auf jeden Samstag ein großer Ablaß zu gewinnen sein.«

»Selb' wär' eh' eine Hauptsache,« sagte das Mädchen leise und nadelte.

So unterhielten sie sich, und wenn ich auf die Adelheid hinüberlugte, seufzte ich bei mir: Ach, wie möchte ich auch so fromm sein können, als wie du bist! In der Höll' muß es ja gar nicht auszuhalten sein, wenn man weiß, daß du im Himmel bist.

Gern hätte ich gesehen, wie die Adelheid an ihrem Tische allein dagesessen wäre mitten unter den blütenweißen Leinwandflocken; aber Frau Sanna war immer und immer um sie. Wenn Adelheid in die Küche ging, um auf dem Herde den Glättstahl zu besorgen oder anderlei zu verrichten, so ging die Alte mit ihr, »daß du dich nicht brennst, mein Kind!« sagte sie, oder »wart', ich will dir die Türen ausmachen«, oder »im Vorhaus ist es so viel finster, ich muß dich schon führen. Das ist ein Kreuz bei diesen alten Häusern!«

Es wird niemals eine rührendere Sorgfalt zu finden[124] sein, als die der Sanna für die Adelheid gewesen, so daß ich endlich anhub, darob auch die Alte liebzuhaben.

Zu den Mahlzeiten kamen sie an unseren Tisch herüber, hockten dort aber so enge und bänglich beisammen, wie zwei Schäflein in der Wolfsgrube. Sie mischten sich nicht ins Gespräch, und wenn an sie eine freundliche Ansprache fiel, so errötete Adelheid und erblaßte Sanna. Die guten Bissen mußten ihnen fast mit Gewalt beigebracht werden, dann aber ließen sie auch gar nichts davon übrig. Beim Burgfrieder war's, wo die Speisen allemal so heiß auf den Tisch kamen, daß sie jeder erst mit vielem Hineinblasen in die Löffel zur Not abkühlen mußte. Adelheid getraute sich – wohl aus Furcht, damit die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen – nicht, den kleinen Mund zu spitzen und zu blasen, sondern verschluckte die heißen Suppen ohne Umstände.

So waren das Nähterinnen, wie man sie bald nicht wieder findet. Es wehte überhaupt im ganzen Hause so viel Friede und Vergnüglichkeit, daß mein Meister einmal sagte: »Es ist höchste Zeit, daß ein Weib ins Haus kommt!«

Wieso das der Meister meine?

»Damit sie auch was davon hat.«

Über die Nächte wurden wir so eingeteilt, daß zwischen den Schneidern und den Nähterinnen eine Bretterwand war.

»Man sollte meinen,« raunte mir da mein Meister einmal zu, »wir wären auch keine Hundsfötter, aber gegen diese zwei Frauenzimmer sind wir reine Heiden. Hörst du, wie sie wieder beten?«

Halbe Nächte lang murmelten sie in der Nebenkammer allerlei Gebete, und fromme Sprüche hatten sie, wovon[125] sie die meisten dreimal und noch öfter wiederholten. Mit dem Frühesten saßen sie schon wieder an ihrem Tisch, arbeiteten emsig, wobei sie ganz schwiegen oder leiser Stimme sich mit Heiligenlegenden unterhielten. Unser Verhältnis zu ihnen nahm fast eine Art von Ehrerbietigkeit an, und wir hätten nicht übel Lust gehabt, uns an den erbaulichen Gesprächen zu beteiligen, wenn wir nicht hätten befürchten müssen, mit unseren religiösen Kenntnissen zuschanden zu werden.

»Der Tor sieht aufs Haar einem Weisen gleich, wenn ers Maul nicht ausmacht,« hatte mein Meister oft gesagt und so waren wir denn einmal eine ganze Woche lang Weise im schönen Burgfriederhof, Pfarre Fischbach in Obersteier.

Aber bevor diese Woche zu Ende ging, geschah etwas.

Eines Vormittags, da die Adelheid doch allein in der Küche war und dort – wie ich glaube – vermittelst warmen Wassers die steifen Hemdnähte glättete, sprang die alte Sanna plötzlich von ihrem Tische auf und kam mit solcher Hast zu uns heran, daß wir nachgerade zusammenschauerten.

»Schneidermeister!« zischelte sie und fiel mit ihren Händen dem Meister in die Arme, daß er die Arbeit unterbrechen mußte. »Schneidermeister, wie alt bist du?«

Er wußte sein Alter gewißlich, war über solchen Anfall aber derart betroffen, daß er sie wortlos, fast flehend anstarrte.

»Stückelt euch zusammen, dich und deinen Gesellen, so seid ihr selbzweit noch jünger als ich! Kinder seid ihr.« So sprach sie. »Also wißt ihr noch nichts. Also[126] muß ich euch's sagen. Es ist ein Almosen, man kann auch den Seelen Almosen geben. – Schneider! Hütet euch vor der Welt! Die Welt ist des Teufels Feld! Die Leut' sind schlecht! Höllisch schlecht sind die Leut'! Alle! Bis auf etliche, so die Gnad' Gottes haben. Was du anschaust, ist nichts nutz! Ich kenne das. Viel Gutes wird getan. Der Teufel lacht dazu, er hat's gern, wenn die Leut' Gutes tun, haben um so viel mehr Pharisäerhoffart. Die Leut' sind barmherzig und helfen einander um Gottes willen. Ist alles erlogen. Alles! Tust wem was Gutes, ich will dir's sagen, warum: Aus Affenlieb zu dir selber. Was sind die besten Leut'? Dressierte Vieher. Sonst nichts. Sonst gar nichts. Traue keinem Menschen! Dir selber am wenigsten! Bist gescheit – bist schlecht. Bist fromm – bist falsch. Sauteufel und Pestblader! Judenhund und Rabenaas! Das ist die Wahrheit. Und die Wahrheit sag' ich! Aber eins nenn' ich nicht, ein Wort kommt mir nicht über die Zungen, weil's ärger wär', als Lästern und Fluchen. Du, alter Bock, bist es nicht mehr, was ich meine, willst es auch nicht mehr sein. Aber du, Junger, wills: es noch sein, und bist es auch nicht mehr. Ja, ledigerweis' in die Höll' fahren, das können sie. Den heiligen Ehestand fürchten sie wie das Fegfeuer! Betet! Betet, daß euch der Rippenhans euren Sündensack auszieht. Betet, Schneider!«

So sprach sie, ging dann wieder gegen ihren Tisch, in der Mitte der Stube aber hielt sie an, kehrte noch einmal um, rang vor uns die Hände und rief: »Betet, Schneider!«

Dann eilte sie auf ihren Platz, begann zu arbeiten und war wie früher.[127]

Wir zwei Schneider haben uns angeschaut. Jetzt war's an uns, ich soll im Gesicht glührot gewesen sein, der Meister war blaß. Gesagt haben wir nichts.

Endlich kam auch die Adelheid wieder zur Tür herein, und sie arbeiteten beide, und es war alles so friedlich und lieblich, wie früher. Alles? Mein Meister auch? Ich auch? – Mein Meister ging hinaus und warf mir einen Blick zu, ich solle nachkommen. Auf dem grünen Rasen standen wir und hielten Rat, ob es tunlich wäre, drinnen in der Stube zu sitzen – schutzlos in der nächsten Nähe einer Wahnsinnigen.

Ich erinnerte, daß man die Sache vielleicht nicht so ernst nehmen solle. Der Küster zu Fischbach hätte ein Buch, da drinnen sei es auch beschrieben, wie grundschlecht die Welt wäre und an Menschen nichts als Tier und Eigennutz, und alles, was die Sanna gezetert, sei in jenen; Buche enthalten und viel mehr noch des Geschimpfes; wenn die Alte wahnsinnig sei, so wäre auch jenes Buch wahnsinnig.

»Meinetwegen!« sagte der Meister, »das Buch hat keine Finger zum Augenauskratzen. – Der Burgfrieder soll uns in unserer Schlafkammer die Ster aufnähen lassen. Zu der Hexe gehe ich nicht mehr hinein.«

Diese Mutlosigkeit war mir begreiflich, nichtsdestoweniger aber äußerst betrübend. Wie ihn die Hexe hinaustrieb, so zog mich die Hexe hinein, der Unterschied nur, daß es bei ihm die alte war, und bei mir die junge. – O, verborgener Schatz, bewacht vom Drachen! Großmutters Märchen, wie seid ihr alle so wahr! – »Was wird Adelheid leiden!«[128]

»Sie wird gar nichts leiden, mein lieber Peter,« sagte der Meister. »Sie ist ja selber eine solche, sonst würde sie nicht mithalten. Ich bin kein Antichrist, aber vor solchen Sachen habe ich genug. Wenn diese Nähterinnen ihre guten Gedanken und Meinungen dem Bräutigam in die Pfaiden hineinnähen, das wird sauber kratzen und beißen. Ich dank schön!« Nie noch hatte ich den Meister so empört gesehen.

Ohne noch einmal in die große Stube zu gehen, ließen wir durch eine Magd unsere Werkstatt in die Schlafkammer räumen. Da war auch tagsüber die Bretterwand zwischen uns und den Hexen.

Als wir dort alles in Ordnung hatten, fragte mich mein Meister, der sonst nicht rachsüchtig war, ob ich das Lied vom Brombeerbrocken singen könne?

Ja, das könne ich.

Er singe mit. Diesmal lasse ers drauf ankommen.

Es ist ein etwas stark weltliches Lied, wer's kennt. Wir waren gar nicht schlecht bei Stimme. Als wir gesungen hatten, horchten wir, ob sich hinter der Wand etwas melde. Es war mäuschenstill. So huben wir ein anderes an:


»Es ging ein verliebtes Paar

Im grünen Wald spazieren,

Der Jüngling, der ihr untreu war,

Wollt' sie im Wald verführen.

Er nahm sie wohl bei der schneeweißen Hand,

Wollt' sie in Wald hinleiten.

Er sprach: »Du Allerliebste mein,

Genieße deine Freuden.«

»Was soll ich denn im grünen Wald

Für eine Freude haben?« –
[129]

»Meister,« unterbrach ich unser Singen, »dieses Lied wachst sich auf ein trauriges aus. Sie bringen sich allzwei ums Leben!«

»So?« sagte der Meister, »nachher hören wir nur geschwind auf.«

Wir stimmten ein anderes an:


Heunt ist die Nacht halt gar so schön,

Soll ich zu meiner Liebsten gehn?

Die Lichtlein leuchten, als wie die Stern,

Bei meiner Liebsten bin ich gern.

Es bleibt verschwiegen ein halbes Jahr,

Die heimliche Lieb wird offenbar.

Ih trink kein Bier, ih trink kein Wein,

Ih bin als ein Waldvögelein.

»Wann du als ein Waldvöglein bist,

So sag mir's, wann's gut scheiden ist.«

»Wann's gut scheiden ist, das will ich dir sagen,

Z'morgens in der Früh, wann's vieri tut schlagen.«


Jetzt legte ich das Ohr an die Wand, denn wenn man was leistet, so will man doch gerne eine Kritik darüber hören.

»Meister,« flüsterte ich, »sie reden was.«

Auch der Meister horcht. »Ja,« sagt er, »ich höre murmeln – einmal die Alt', einmal die Jung'.«

»Das kommt mir nicht recht vor,« sage ich.

»Mir auch nicht,« sagte der Meister.

»Sie tun Litanei beten,« sage ich.

»– – Sie tun Litanei beten!« haucht der Meister und neigt den Kopf.

Nach einer Weile – die Arbeit ging ja unter den Händen munter von statten, und Bräutigamsgewand, meinten wir, müsse lustigerweis' gemacht werden – sagte[130] der Meister: »Wir haben heut' einmal unsern singenden Tag, was läßt sich machen? Schlag noch eins an, Lehrbub!«

Ich begann:


Wann oft der Kukuk schreit,

Hört man ihn weit und breit,

Nau, Dirndl, g'freu dih!


Der Meister – heute ganz seltsam – fiel wie bei diesem Liede üblich bei:

Jo, auf was denn?

Ich: Da schlagen die Bäume aus,

Führ dih als Braut nach Haus,

Nit wahr, das g'freut dih?

Meister: Jo, das is gwiß.

Ich: Schlagt oft der Fink im Wald,

Kommt dann der Sommer bald,

Nau, Weiberl, g'freu dih!

Meister: Jo, auf was denn?

Ich: Ih trau mir's doh nit z'sagn,

Mußt schon ein andern fragn

Weißt wohl, ih scham mih,

Meister: Jo, das is g'wiß.


»Meister!« unterbreche ich, »die zwei da drüben –«

»Was denn?«

»Meinen Kopf laß ich mir abschneiden, wenn –«

»Was denn?«

»Wenn nicht eine mitgesungen hat!«

»Nachher ist Zeit, daß wir aufhören,« sagte der Meister. Und wir nadelten scharf.

Am selbigen Abend, als ich das Glätteisen in die Küche trug, traf ich die Junge am Herd. Sie suchte mit der Zange ihren rotglühenden Stahl aus dem Feuer[131] zu krauen. Ich half ihr dabei und sagte: »Ist viel zu glühend worden!«

Einen kurzen trotzigen Blick warf sie mir zu, schob den Stahl ins Messingfutter und schwebte davon.

Brave Schneider erforschen spät abends, bevor sie einschlafen, ihr Gewissen. Seufzte dieses Abends mein Meister dabei und murmelte: »Heut' bin ich nicht ganz mit mir zufrieden. Wenn diese Frauenzimmer schon ihren kuriosen Glauben haben, so wird er auch für sie passen. Was soll sie einer denn irrmachen dran! – Ich kann's nicht vertragen, wenn ich mit jemandem nicht ganz auf gleich bin – ich bitte sie morgen um Verzeihung.«

»Der Meister sie? Dafür vielleicht, daß sie den Meister geschmäht hat?«

»Dafür nicht. Aber daß ich ihr's übel genommen hab'; dafür. Daß wir sie mit dem Singen geneckt haben, dafür. Sie ist wohl nicht recht im Kopf beisammen, sie kann nicht anders. Wir sollen die Gescheiteren sein. Ich rede morgen mit ihr. Gute Nacht, jetzt.«

Und am nächsten Tag ließ der Meister richtig bei der Nähterin Sanna anfragen, ob und wann er ein paar Worte mit ihr sprechen könne, unter vier Augen?

Sie ließ zurücksagen: Am selbigen Abend zwischen Lichten in der großen Stube.

Der Meister war tagsüber wortkarg. Gegen Abend hin beklagte er sich über die Jahreszeit, daß es schon so bald finster würde. Es wär nämlich im Herbst, wo wir um die Dämmerungsstunde Lichtfeier hielten, das heißt, ausruhten von der Arbeit, uns im Hause auf die Bank legen oder im Freien ergehen konnten, bis[132] das Licht angezündet wurde und wir mieder an den Arbeitstisch mußten. Als diese Dämmerstunde kam, zog der Meister seinen schwarzen Rock an, drehte sich vor meinen Augen einmal um sich selbst: Ob nichts zu bürsten wäre? Ob nirgends ein Schneider hinge? – Er meinte einen etwa am Tuche klebenden weißen Faden. Es war nichts von Bedeutung. Noch schlichtete er seine grauenden Haare über die von Jahr zu Jahr höher werdende Stirne hervor.

Dann sagte er: »In Gottes Namen. Die Tür lasse ich offen.«

Er ging in die große Stube, wo Frau Sanna seiner bereits zu harren schien. Da kam es mir – ich weiß nicht wieso – auf einmal vor, meine Gegenwart in der Nebenkammer schicke sich nicht; wenn es auf vier Augen verabredet sei, würden sie kaum sechs Ohren brauchen können. Ich wollte hinausgehen in den Baumgarten; der Burgfrieder hatte eine Sorte von Birnen, die um diese Zeit schon lockten. Als ich draußen um den Holzstoß bog, stieß ich fast erklecklich mit der Adelheid zusammen.

»Oho!« sagte ich und wollte ausweichen. Sie blieb stehen und schaute an ihrem seinen Wuchs hinab. Da blieb ich auch stehen.

»Adelheid!« redete ich sie leise an.

Sie hielt die Hand vor ihr Gesicht.

»Adelheid,« sagte ich, »habe ich dir weh getan?«

Hatte ich ihre Arme schon um meinen Nacken, ihr Haupt an meiner Brust.

»Peter!« wimmerte sie, »du mußt mich heiraten. Ich kann so nicht mehr weiterleben, ich kann nicht mehr!«[133]

»Aber um Gottes willen, Adelheid!« rief ich bestürzt, »hast du mich denn so gern?«

»Ich kann nicht mehr sein bei dieser Person!« fuhr das Mädchen fort. »Keine Freiheit, keine Rast und Zerstreuung, alleweil arbeiten und beten und vom Teufel reden! Die Worte kaut sie mir vor, die ich reden muß; die Brocken in der Suppe zählt sie mir vor. In der Nacht bindet sie meinen Fuß mit der Rosenkranzschnur an ihr Bein, daß ich ihr, wenn sie schläft, nicht sollt' davongehen können. Werktags nichts als Nähebank, Sonntags Kirchenstuhl oder Gebet und fromme Lesungen zu Haus. Ist ja recht, wer's aushält. Und alle Monat Sünden beichten, die man nicht hat, und verschweigen, die man hat. Seit zehn Jahren bete ich für die Alte um eine glückselige Sterbestund. – Und das ist meine Jugend! Wenn ich einmal munter ausschauen will, oder gar wen anlachen, da setzt's Bußtage. Kein lustiges Wort das ganze Jahr, kein Gesang! Wie ihr gestern habt gesungen, und sie einen Augenblick draußen ist gewest, und ich bei mir selber ein wenig hab' mitgesungen und sie es hat wahrgenommen, da habe ich abends auf dem Scheit knien müssen. Achtzehn Jahr! älter bin ich nicht. Sie ist meine Ziehmutter, die mich als kleines Kind von Wien hat kommen lassen. Ich bin in ihrer Gewalt, bis zum Ehestand, wie sie sagt, und kann mir nicht helfen. Das einzige Mittel, daß mich einer von ihr wegheiratet. Wär's was immer für einer, nur daß ich von dieser Person erlöst werde. Weißt du mir keinen Rat?«

Ich tat, als ob ich überlegte, indes stand mir nur der Verstand still. Sie lehnte sich an mich und weinte.

»Gern, sehr gern, daß ich dich heiraten wollte,« fiel[134] mir endlich ein zu sagen, »aber ich bin noch gar kein Gesell, und bis ich Meister werde, das dauert seine guten –«

»Du magst mich nicht – sag's kurz!« unterbrach sie. »Was Meister! Du könntest mich ja entführen. Handwerksburschen gehen in die Fremde; ich will als Bursche mit dir gehen, wir finden Arbeit, oder wir wollen fechten – alles, nur nicht so!«

»Jetzt auf der Stelle kann ich gar nichts sagen,« war mein Einwand, »ich werde mir's überlegen.«

»Vielleicht weißt du mir einen anderen!« sagte Adelheid.

»Ich will umfragen.«

»Ist keiner – auch gut! So bringe ich wen um!« sagte sie wie ein Schalk, »wenn sie mich in den Arrest tun, da wird die Furie doch nicht mitgehen.«

»Weißt, Adelheid,« sagte ich und streichelte ihre Wangen, »du hast es jetzt so lange bei ihr ausgehalten, auf ein paar Wochen mehr wird's dir nicht ankommen. Vielleicht nehm' ich dich doch selber. Ich hätte Lust dazu. Und jetzt wollen wir miteinander was plaudern.«

»Maria und Josef!« hauchte sie und fuhr mit den Händen nach ihrer Brust, daß ich erschrak, weil ich glaubte, es habe ihr im Herzen oder in der Lunge plötzlich einen Stich gegeben. »Ich bin ordentlich im Himmel!«

»Weißt du auch, daß das so lustig ist?« sagte ich und gab ihr auf den Mund einen Kuß.

Im selben Augenblick erscholl das Zetergeschrei der Alten. Adelheid zuckte zusammen und wankte, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, dem Hause zu.[135]

Ich fand – als wir wieder bei der Arbeit saßen – es just nicht nötig, dem Meister meine Begegnung mitzuteilen, hingegen befragte ich ihn nach seinem Befinden.

»Mir stehen die Haare zu Berg,« war seine Antwort. »Jetzt habe ich sie erst grausam kennen gelernt. Die Alte ist verliebt. – Ja, ich habe mir's gedacht, daß du erschrecken wirst. Und in einen von uns zweien! Fürs erste hat sie mir's abgebeten, daß sie sich gestern so sehr vorgewagt. Es wäre aus Nächstenlieb' geschehen, wir wären nicht schlecht, wir wären blind, darum zünde sie auch kein Licht an, obzwar es in der Stube schon finster würde. Wir wären hier im Burgfriederhaus beim Brautkleidermachen, ich solle mich nur einmal neben sie hinsetzen und hätten wir beide hohe Zeit, nachzudenken über die von Gott vorgeschriebenen Zwecke des Menschen auf Erden. Auf solches Zureden hat mich das Grausen erfaßt. – Wenn mir aber derweil die Katz mein Wichswachs frißt! habe ich gesagt und bin in die Kammer herein.«

Ordentlich dankbar blickte der Meister auf das Stückchen Wachs, das wir zum Wichsen des Zwirnes bedurften und an das er sich in seiner Not geklammert hatte.

»Ich glaube selber –« versetzte ich.

»Was glaubst du?«

»Daß die zwei Frauenzimmer sollen auseinandergeheiratet werden.«

»Pst! – sie beten schon wieder.« –

Endlich kam der Samstag. Wir gingen unseres, die Nähterinnen ihres Weges. Wie eine arme Seele neben dem Luzifer, so wankte Adelheid neben ihrer Genossin dahin. Als sie ihr Körblein an den Arm streifte, warf[136] sie einen heimlichen, zuckenden Blick nach mir. Ich tat das Gelöbnis, sie zu erlösen.

Schon an einem der nächsten Tage kam ich mit dem Zimmermann Zenzel zusammen. Der war ein stattlicher, sehr fleißiger Mann mit stets glattrasiertem Kinn und einem roten Schnurrbart. Er hatte sich zu Fischbach im Dorf ein kleines Haus gebaut und ging in der Suche nach Hausmöbel um.

»Ich weiß dir eine, Zimmermann,« war meine Antwort. »Die Nähterin Adelheid nimm.«

»Die hast du gestern auch schon dem Bindermichel angeraten,« antwortete der Zimmermann, »möcht' schon wissen, warum du gerade die junge Nähterin so gern verheiraten möchtest!«

Hierauf habe ich ihm fast alles erzählt. »Wenn ich heiraten kunnt, die nähme ich selber,« damit schloß ich. Er war ein wenig neugierig geworden und meinte, anschauen könne er sie ja gelegentlich einmal. Er wolle sich bei den Nähterinnen Pfaiden frümen (bestellen).

Fünf oder sechs Tage zogen darauf h in, da erhielt ich ein flüchtig geschriebenes, zerknittertes Briefchen von der Adelheid:


»Habe erfahren, du bist wirklich so gut und suchst für mich einen. Laß es bleiben. Vorig Sonntag nachmittags habe ich einen kennen gelernt. Seither will ich den Erstbesten nimmer, den oder keinen, und wenn's aus ist.

Adelheid.«


Ging ich zum Zimmermann Zenzel. Der war hoch auf einem Dach oben. Er solle herabkommen! Als er herunten war, sagte ich ihm, er solle es bleiben lassen, das[137] mit dem Pfaidfrümen, wenn's der Nähterin und nicht der Pfaid wegen wäre.

»Aber, jetzt bin ich schon dort gewesen!« rief er.

»Wann?«

»Vorig Sonntag nachmittags.«

Einen Lachschrei habe ich ausgestoßen. Dem Zimmermann übergab ich das Brieflein. Er las es ruhig und schmunzelte:

»Mir gefällt sie.«

Gut. Aber die Alte wäre auch noch zu haben.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 121-138.
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