Das Büscherl auf dem Hut.

[356] Und nun zu gutem Ende noch einen Blick auf Ihn.

Ungefähr wie ein jugendlicher Landpfarrer. Ein schwarztuchener Gehrock, der ziemlich schwerfaltig um die Knie pendelte und oben einen hochaufgebauten Kragen hatte. Schwarze Hofe, die an den Knien in hohen Stiefeln stak, deren Röhren glänzend gewichst waren. Die Weste ebenfalls dunkel, aber mit rotbräunlichen Sternchen durchsetzt und mit einer Reihe schwarzer Hornknöpfe. Der breit übergelegte weiße Hemdkragen vorne mit einem kirschroten Seidentuche lose zusammengehalten. Der schwarze Filzhut fast zylinderartig hoch und mit breiten, gerade ausstehenden Krempen. Es war ein »Hasenhaarener« und seine wolligen Flächen waren weich wie Seide und hatten einen zarten Glanz. Im schwarzen Hutband Unterseits stak ein buntes »Büscherl«. Wenn der Mann an einem Bildstöckel vorüberkam, da lüpfte er den Hut und da sah man schön das rötliche Rundgesicht mit dem salben Haar, das über die halbe Stirn herabgekämmt lag, sah den offenen, freundlichen Blick der runden grauen Augen, sah die munter hervorspringende nicht zu lange Nase, sah unter den Ohren die blonden Bartschöpfchen und auf der Oberlippe den leichten Schnurrbart, der sich von der Hautfarbe so wenig unterschied, daß man den Mann von gewisser Entfernung wirklich für einen bartlosen Pfarrer halten konnte – der er aber durchaus nicht gewesen ist.[357]

Die Bräutigamstracht und Art war's, nach damaliger Sitte.

Ich war nicht dabei, als mein Vater von seiner Hochzeit heimkam; aber so ungefähr mußte er ausgesehen haben, als er in sein Waldbauernhaus das junge Weib einführte, das nachher meine Mutter geworden ist. Denn zehn Jahre später hat er an hohen Festtagen noch genau dasselbe Gewand getragen. Ja, der feierlich lange Bräutigamsrock und der würdige schwarze Hut mit dem »Büscherl« ist noch nach zwanzig Jahren und länger in Ehren gestanden.

Bauersleute halten nicht viel auf Schmuck mit natürlichen Blumen. Solche wachsen auf der Wiese und sind für die Kinder zur Kurzweil und fürs liebe Vieh. Und selbst wenn es Gartenblumen sind, was ist viel dran, sie wachsen ja selber. Es müßte nur des Duftes wegen sein, wie bei der Nelke oder bei der Resede oder beim Kohlröserl, dann steckt man sich wohl einmal auch etwas »Frisches« auf den Hut. Für die Hochzeit jedoch waren zu jener Zeit natürliche Blumen und Rosen viel zu »ordinär!« Die Hochzeitsgäste und der Altar waren geschmückt mit Blumen aus roter oder weißer oder blauer Leinwand. Die grünen, sein gekerbten, glänzend lackierten Blätter waren aus Papier, zierlich gezähnt. »Gewachsen« waren sie beim Dorfkrämer in großen Schachteln. Dorthin war denn auch das schwarzhaarige Dirndl gegangen und hatte für seinen Bräutigam ein »Büscherl« ausgesucht. »Es soll gar nit groß sei u, aber schon rot und grün und gut schmecken soll's.« Gut schmecken (riechen) eine gemachte Blume? »Gewiß, du liebherzige Brant, wir haben schon auch schmeckende!« und der Krämer[358] nestelte ihr aus der Schachtel ein niedliches »Büscherl« hervor; wie ein volles Heckenröslein war es anzuschauen und auf den Blättern, deuchte ihr, zuckten Tautropfen und am Stengel lauerten zwei Dörnlein und stachen sie zärtlich in den Finger. Und wie sie das halb entfaltete hellrote Leinwandröslein an die Nase hebt, da duftet es wie Nelken. Denn dort drinnen im Blumenherzlein, wo sonst die Staubgefäße sind und das Fruchtknötlein, steckt ein braunes »Gewürznagerl« und gibt würzigen Hauch der Nase, so oft sie davon haben will. – Und so kam es, daß auch ich es noch habe erfahren können nach vielen Jahren, wie schön rot das Brautbüscherl war und wie gut es »schmeckte«.

Selbst zur Zeit, als der Jungbub schon anfing, nach schönen »Büscherln« auszulugen, um jemandem damit heimlich den Busen zu schmücken, hat Vaters Bräutigamsbüscherl immer noch geblüht, freilich schon recht blaß und blind, aber immer noch stak es am schwarzen, weichwolligen Hut und immer noch dünkte dem Vater, es sei völlig neu und leuchte und rieche so, wie einst am Hochzeitstage. Daher verwahrte er – wenn er von einem »heiligen Tage« heimkam – den Hut mit großer Fürsorge in seinem Kasten, hing ihn ganz an den obersten Nagel, daß ja keines von dem kleinen Gezücht über sein Büscherl komme. Die Mutter hatte an jenem weit verwichenen Hochzeitstage den Rosmarinkranz bekommen, aber der fand sich schon lange nicht mehr. Dem dritten Kinde hatte sie ihn um seine weiße Totenstirne geschlungen.

Der Vater hatte bei diesem Leichenbegängnisse und bei späteren und bei Hochzeiten und bei Kindstaufen und bei Osterbeichten seinen schwarzen Rock getragen und seinen[359] Hut mit dem Büscherl. Ob inwendig Trauer war oder Freude oder Übermut oder Andacht – auswendig blieb er gleich, im Gewande und im Betragen, und das bunte Büscherl auf dem schwarzen »Hasenhaarenen« war wie ein Sträußchen Gleichmut und Ergebung in allen Wandel. Nur alljährlich, wenn vor Ostern die »schwarze Woche« kam und in der Kirche alle Kränze und Fahnen abgenommen und alle Bildnisse mit blauen Tüchern verhüllt wurden, da hielt der Vater den Hut mit dem roten Büscherl im Verborgenen des Kastens und trug eine schwarze Kappe. Am Ostersonntag hingegen bürstete er die weichen glänzenden Hasenhaare glatt, blies mit gebauchten Wangen heftig in das Büscherl hinein, um den Staub auszujagen, und dann ging der Mann mit dem roten Flämmchen auf dem Haupte gemessenen Schrittes kirchwärts.

Der große Hut hatte aber auch noch inwendig seine Geheimnisse. Am unteren Rande war er mit einem drei Finger breiten Lederstreifen besetzt. Weiter in der Huthöhlung war ein rotseidenes Futter, das am oberen Rande mittelst eines Schnürchens in Falten so zusammengezogen werden konnte, daß es sich der Kopfform anpaßte. Hinter diesem zusammengezogenen Seidenfutter war dann ein leerer Raum, in welchem der Vater manchmal sein Sacktuch barg oder eine Semmel, die er uns Kindern mit heimbrachte, oder eine »Herrschaftsschrift«, wenn er beim Amte zu tun hatte, oder wohl gar die Brieftasche mit Geld. Im Gewande hatte er ja seine Säcke, aber das Obergeschoß dünkte ihm am sichersten, zumal der Hut, außer wenn man an der Wegsäule dem Herrgott begegnete, nicht von der Stelle gerückt wurde.

Für die gewöhnliche Zeit hatte der Vater ja sein[360] graues Lodengewand, in den besten Jahren die Knielederhose mit blauen Strümpfen und starkbenagelten Bundschuhen getragen, einen roten Brustfleck auch, darüber den grünen Hosenträger, und mancherlei Gattung von Hauben und Hüten. Aber Blumen oder Sträuße trug er keine dran, weder gewachsene noch gemachte. Er verschmähte an den Jacken die grünen Aufschläge, er trug nie einen grünen Steirerhut mit Hahnenfedern und Gemsbart. Ich weiß auch nicht, ob er immer eine Taschenuhr gehabt hat oder einen Fingerring oder sonst ein Behängsel. Dünkte es ihn wie Hoffart? Oder hatte sein rosiges freundliches Gesicht mit den hellen Rundäuglein alle weitere Zier überflüssig machen sollen? Dieses ernstfrohe Antlitz mit den noch in späten Zeiten goldigschimmernden Blondhaaren, mir war es freilich wohl lieber gewesen als Gesträuße und Geschmeide. Es veränderte sich auch kaum. Während der langen Jahre, als ich ihn kannte, war er aus einem jugendlich schlanken Manne zu einem runzeligen Greislein zusammengeschrumpft, aber dieses stand noch ziemlich gerade aufrecht und hatte immer noch das rosige Rundgesichtlein.

Dann kam jener Tag, als sie ihm sein Weib forttrugen aus dem Waldhause. Er ging fröstelnd hinter dem Sarge drein, faltete die Hände und betete. Da stieß meine ältere Schwester mich am Ellbogen und flüsterte: »Wir müssen uns frei schämen, was der Vater heute für ein Gewand an hat! Hab's in der Früh' nicht beachtet, so hätte ich ihn nicht mit der Mutter gehen lassen.« Er war zwar ganz in Schwarz. Oder vielmehr, diese verschabte Hofe, dieser faltige Gehrock, dieser Hut waren einmal schwarz gewesen. Jetzt waren alle Fäden bloßgebürstet[361] und der »Hasenhaare ne«, der sonst eine so zarte Wolle gehabt, hatte das letzte Härchen längst verloren. Aber im halbzerfransten Bande stak das Büscherl. Das verknitterte, schier farblos gewordene Büscherl.

»Vater, Ihr hättet doch Euer besseres Lodengewand anlegen sollen.«

Er schaute drein. Was war denn da nicht in Ordnung? In diesem gleichen Festgewande war er doch auch vor just dreißig Jahren mit der Mutter in die Kirche gegangen? Für wen soll er den schönen Rock und den guten Hut noch viel aufsparen?

Den schönen Rock und den guten Hut! Ja, so waren im Hause diese Kleidungsstücke genannt worden seit dreißig Jahren. Das treue Herz hat trotz schwerer Zeiten nicht gefühlt, daß es selbst alt geworden und hat also auch das alte Gewand noch immer in seiner einstigen Pracht gesehen. Und als unten vor der Dorfkapelle der Totenbeschau wegen die Truhe noch einmal geöffnet wurde, stand der Vater daneben und schaute auf ihr weißes Gesicht. Er lächelte ein wenig, dieweilen die Augen voll Wasser standen und sagte leise vor sich hin: »Meine Mirzel! Daß du mir so jungerheit hast sterben müssen!«

Und nachher auf dem Heimweg an demselbigen Abend, da schritt er den anderen voraus und setzte den Stecken bedächtig auf den Erdboden und schaute nicht rechts und nicht links. Die schwammigen Falten des Rockes pendelten ein wenig um die Knie, der große Hut saß fest auf dem Kopfe.

Und das Büscherl? Das Büscherl ist nicht mehr dran gewesen. Ich weiß nicht, wohin es auf einmal geraten sein konnte, vermute aber, daß es ihm – in ihr Grab hinabgefallen war.[362]

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 356-363.
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