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Etwas unsagbar Abstoßendes, etwas peinigend Ekelhaftes ist geschehen: Ein Münchener Flugblatt für Aristokratie belehrt uns über das, was Kunst sei ... Wen? Heinrich Mann. Mehr: es benörgelt das Menschentum, wie Heinrich Mann als Person es darstellt. Es betalpst die letzten, die zartesten Wesenszüge des Dichters, es lärmt vordringlich und öde: »Hinter aller Fülle des Zusammenhangs fließt doch nur die unendliche Melodie des Nichtfertigwerdens mit sich selber, genau so wie im 'Untertan' die Ohnmacht gegen die Welt regiert ... Wer über den Sklaven nicht hinwegsehen kann, wer sich von ihm beherrscht fühlt, wer selber Untertan ist, kann ihn nicht darstellen. Was ihm zunächst sitzt, zeichnet er unnatürlich groß, das ferne Höhere sieht er nicht aus seiner Froschperspektive, der Sklave verzerrt sich ihm zum großen Gegenstand seines Hasses. Ein anderer Blick bemerkt ihn vielleicht einmal im Vorbeigehen.«

Was mein Blick (im Vorbeigehen) bemerkt, ist der patzige Dünkel eines »teutschen« Renommier-Kraftnauken, der den Herostraten ohne den Schimmer innerer Erwähltheit machen will, ohne den Schimmer eines Antriebs, der aus enttäuschtem Leben und einem Schmerz über die Unzulänglichkeit des Meisters zur ihm selbst bitteren Tat der Zerstörung schreiten muß. Was mein Blick bemerkt (im Vorbeigehen), ist das viereckige, verrammelte, stiere Gehirn der deutschen Dutzend-Ungeistigkeit, an der sich wund zu leiden in unserem Volke seit je das Schicksal der Auserwählten ist. Was mein Blick bemerkt, ist eine so plumpe, hausbackene, ungelüftete Auffassung der Komplexe: Kunst – Leben, eine so leichtfertige, zuchtlose Verwechslung und Durcheinanderschüttung dieser beiden Begriffe, daß es einem die Scham ins Gesicht treibt darüber, wie ganz vergeblich also alles war, was Goethe, was Nietzsche über den wunderbaren Kontrast, über die aufreibend, zur Schöpfung drängende Gegnerschaft zwischen Kunst und[192] Leben in den Verstand der Allgemeinheit einzuführen sich mühten. Was mein Blick bemerkt, ist der einfältige Standpunkt des lesenden Durchschnitts, der die Kunstwerke auf Ähnlichkeiten mit dem äußeren Leben prüft, der den Witz »vom Feldwebel, dem seine Einjährigen ein gemietes Klavier schenken«, weil schon andere Schriftsteller ihn schwankhaft benutzten, dem Dichter Heinrich Mann als Fahrlässigkeit, als (nicht beabsichtigten!) Ungeschmack, als dünne Langweiligkeit ankreidet. Was mein Blick bemerkt, ist dieses dumpfe Besserwissenwollen, von dem wir ein aufdringlichstes Beispiel kürzlich erst durch den Hamburger Bakelschwinger Otto Ernst erfuhren. Was mein Blick bemerkt, ist die Ungelenkigkeit in psychologicis, das Auftrumpfen mit Grundsätzen, die plumpe Armut des Undämonischen, kurz, die ungeschliffenste Form von Mensch, mit dem auszukommen oder gar sich zu verständigen unmöglich ist, ja, für uns schon als Versuch ein Sündenfall und unverzeihlicher Verrat am Geiste wäre.

Friedrich Markus Huebner

Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 192-193.
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