An ***

[257] Was über mich auch And're mögen sagen,

Ob du dir selbst gefällst in falschen Schlüssen:

Was du verbrachst an mir in früh'ren Tagen,

Wirst du zuletzt dir doch gestehen müssen.


Du weißt, nie hat ein irdisches Verlangen

Getrübt mein reines, laut'res Deingedenken;

Ich war begnügt, an deinem Blick zu hangen

Und tief mich in dein Wesen zu versenken.


Nie hab' ich – selbst in Träumen nicht, in leisen –

Gehofft, jemals von dir geliebt zu werden;

In Wort und Liedern aber mocht' ich's preisen,

Daß du als Weib mir einzig schienst auf Erden.


Nicht daß ich dich geseh'n ganz ohne Fehle –

Bewundert hab' ich nie die allzu Reinen:

Doch glaubt' ich dich von jenem Schwung der Seele,

Dem ewig fremd die Kniffe der Gemeinen.
[258]

Von jenem Stolze glaubt' ich dich durchlodert,

Von jenem Wahrheitsmuth, der im Erkennen

Ob auch mit Schmerz – wenn es die Stunde fodert,

Verdammen kann, was wir das Liebste nennen.


Die Stunde kam – du hast dich nicht erwiesen;

Du stand'st zu Jenen, die mich schnöd' verrathen

Und dann mit Hohn in meine Schmerzen bliesen

Und meine Wunden noch mit Füßen traten.


Du stand'st zu ihnen, weil dich Pflicht und Liebe

An sie gefesselt hielt – wer möcht' es tadeln?

Doch mußtest du, zu solchem Herzenstriebe,

Dich willig selbst verblenden und entadeln.


Es ist vorbei. Vernarbt sind meine Wunden,

Längst ward mir auch Vergeltung schon geboten –

Doch heut' noch wird der Schmerz von mir empfunden,

Daß ich dich werfen mußte zu den Todten.

Quelle:
Ferdinand von Saar: Gedichte, Heidelberg, (2) 1888, S. 257-259.
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