Auf der Lobau

[134] (1862.)


Tiefe Stille.

Lautlos zieht vorüber, gespaltenen Laufs,

Der breite Donaustrom,

Leis' bespülend dicht grünendes Ufergezweig.

Kaum zum Lispeln bewegt,

Schimmern im Sonnenglanz

Die Erlen und Silberpappeln,

Die, aufgewuchert zu lieblicher Wildniß,

Hochhalmige Wiesenflucht umschatten.

Manchmal nur ertönt der kurze Schrei

Des Reihers, der einsam die Luft durchkreis't;

Hörbar fast

Wird des Falters Flügelschlag

Und der Odem des Reh's,

Das friedlich gras't

Wie in weltferner Sicherheit.


Wo ist die Zeit, da einst

Mit fremdverworrener Stimmen Laut,

Mit Waffengeklirr' und Hufgestampf

Des gallischen Cäsars Heer

Auf diesem Boden gelagert!? –[135]

Damals, du sonnig stille Insel,

Lag unter deinen Wipfeln zusammengedrängt

Ein Weltschicksal!

Ein treffender Schlag noch –:

Und vernichtet war der kleine

Gedunsene Mann mit dem Imperatorkopf,

In dem sich die Ichsucht der Menschheit

Zum tragischen Popanz verkörperte.


Kaum erst erfüllt

Hat ein halbes Jahrhundert sich,

Seit er hier auf- und niederschritt,

Entschlüsse wälzend in ruh'loser Brust –:

Und heute schlägt kaum mehr hin und wieder ein Herz,

Das seinen Ruhm gedüngt,

Oder vor ihm gezittert.

Wo sind die Reiche, die er gegründet?

Wo die Könige, die er besiegt?

Wo die Frauen, die er geliebt?

Vorüber Alles. Sonnenbeglänzt

Liegt, stromaufwärts, die Kaiserstadt,

In die er einzog, sieggewaltig,

Um ihr blauäugiges Fürstenkind

Mit sich zu führen an der Seine Strand.

Friedlich liegt sie; bricht die Schanzen ab,

Die er einst gestürmt,

Umzieht sich mit neuen Straßen,

Baut Paläste und Dome,

Als gält' es, sich zu gründen für die Ewigkeit –[136]

Und ahnt nicht,

Daß auch sie dereinst

Zerbröckeln wird in Schutt und Trümmer,

Um endlich,

Gleich dir, du grünende Insel,

Hinweggeschwemmt zu werden

Vom Strome der Zeiten.

Quelle:
Ferdinand von Saar: Gedichte, Heidelberg, (2) 1888, S. 134-137.
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