[268] In dem rosenton Hans Sachsen.
31. decemb. 1548.
1.
Eins nachts traumt mir gar wol besunnen,
wie ich köm zu eim großen brunnen[268]
von merbelstein polieret klar,
darein das waßer rinnen war,
warm und kalt, aus zwelf gulden rören,
gleich eim wiltbad; tunt wunder hören:
Dis waßer het so edle kraft,
welch mensch mit alter war behaft,
ob er schon achzigjerig was,
wen er ein stunt darinnen saß,
so teten sich verjüngen wider
sein gmüt, herz und alle gelider.
Um den brunnen war ein gedreng,
wan dahin kam ein große meng,
allerlei nation und gschlechte,
münich, pfaffen, ritter und knechte,
burger, bauer und hantwerker,
der kam on zal zum brunnen her
und wolten sich verjüngen laßen,
vol zug es zu auf allen straßen,
2.
Aus allen landen weit und ferren
auf senften, schlitten, wegen, kerren,
ir vil man auf radwerben zug,
etlich man auf mistberen trug,
und etlich trug man auf dem rücken,
etlich gingen daher auf krücken.
Zusamen kam ein hauf der alten
wunderlich, entig, ungestalten
gerunzelt, zanlücket und kal,
zittrent und kretzig überal,
dunkler augen und ungehöret,
vergeßen, doppet und halb töret
Ganz mat, bleich, bogrücket und krum
da war in summa summarum
ein husten, reispern und ein kreisten,
ein achizen, seufzen und feisten,[269]
als obs in einem spital wer.
zwölf man waren bestellet her
die allen alten, so sie funnen,
halfen steigen in den junkbrunnen;
3.
Die teten sich alle verjüngen
nach einer stunt, mit freien sprüngen
sprangen sie aus dem brunnen runt,
schön, wolgefarbt, frisch, jung und gsunt,
ganz leichtsinnig und wolgeberig,
als ob sie weren zwainzig jerig.
Da dacht ich mir im traum: fürware,
alt bist auch vier und funfzig jare,
dir get ab an ghör und an gsicht,
wes zeichst du dich, das du auch nicht
wol balt in den junkbrunnen sitzest,
die alten haut auch von dir schwitzest?
In dem daucht mich, wie ich zuhant
auch abzüg alles mein gewant,
in dem junkbrunnen mich zu baden,
ab zu kumen des alters schaden.
in dem einsteigen ich erwacht;
meins verjüngens ich selber lacht,
dacht: kein kraut ist auf ert gewachsen
mich zu verjüngen und Hans Sachsen.
Buchempfehlung
Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro