Der beschluß in das ander buch der gedicht

[182] Eins tages im augstmon

wart ich spazieren gon

in ein au für die stat,

wan ich war müd und mat

worden ob dem gedicht,

das ich het zugericht,

wolt mich ein klein erquicken.

in dem wart ich erblicken

under eim baum ein schatten;

zu dem tet ich hinwaten[182]

durch kle und grünes gras

und mich da legen was

nider, zu haben ru

ein stunde oder zwu.

der wint tet senft her rauschen;

in solchem stillen lauschen

die augen mir zugiengen,

und tet mich überdringen

der schlaf gewaltiglich,

in dem da dauchte mich,


Ratio.


Mir rüft frau Ratio

mit senfter stim also:

du alter, bericht mich,

was du doch zeihest dich,

das du dein gmüt und herz

peinigst mit mü und schmerz

zu dem teutschen gedicht;

warumb ruest nun nicht

von solch schwerer arbeit?


Der dichter.


Ich antwort: meiner zeit

acht ich mein teutsch gedicht

gar für kein arbeit nicht,

sonder acht das zum teil

nur für ein schön kurzweil.

weil mir got hat gegeben

die gab in meinem leben,

wil ich vergraben nit

mein pfunt, sonder darmit

suchen die gotes er

und nutz des nechsten mer;

ich lob und preis die tugent,

auf das die blüent jugent

der laster müßig ge,

so bringen angst und we,[183]

und der tugent anhenk.

auch etlich erlich schwenk,

zu trost trauriger herzen,

doch on unzüchtigs scherzen,

niemant zu neit und haß

hab ich dicht solcher maß

vier und vierzig jar lang.

du weist, der müßiggang

vil übels mit im bringt,

dardurch manchem mislingt;

menschlich herz feiret nicht,

darfür mach ich gedicht,

dem zu entgen also.


Ratio.


Mir antwort Ratio:

mit deinem phantasiern,

dichten und speculiern

so schwechstu dein vernunft

und wirst noch in zukunft

tebisch und kindisch wern

mit wort, werk und gebern,

wie manchem ist geschehen;

du merkst schon und tust sehen,

das dein gescherpfte sin

und gedechtnus ist hin,

der nicht mer sint zu hoffen,

weil bei dir ist verloffen

die gülden quell, mein man!

derhalb so tu abstan

und forthin nichts mer dicht.


Der dichter.


Ich sprach: ich laugen nicht,

ich entpfint trefflich wol,

das nicht volkommen vol[184]

mit so herzlichem lust

und begirlichem dust

meine gedicht herfließen,

sonder oft mit verdrießen,

nicht wie vor mit so hellen,

scharpfen sinnen aufquellen,

sonder langsam und treg,

das ich oft denk den weg,

vom dicht zu laßen ab,

iedoch ich etwas hab

teglich bei mir beihendig

in meim gemüt inwendig,

das mir heimlich zuspricht,

vermant zu dem gedicht

on ru zu aller frist,

weiß doch nicht, was das ist,

das in mir also schreit.


Ratio.


Ratio wider seit:

dasselbig ist der won,

das dir sol kommen von

deim gedicht rum und er

und dergleich nutzes mer,

wie solchs fast all poeten

zu lon entpfangen teten,

so dardurch überkamen

ein untötlichen namen.

schau, der won reizet dich

zu deim gedicht warlich;

solchs aber felet dir,

warhaft gelaube mir,

wan durch deine gedicht

hast dir selbs zugericht

doch heimlich übermaß

vil feintschaft, neit und haß.

die welt hört diser zeit

nicht geren die warheit,[185]

wan sie scheuet das licht,

weil ir werk sint entwicht,

derhalb erlangst du mer

feintschaft, den rum und er,

weil du nit heuchlen konst.

drumb beßer du verschonst

dein selb, du alter mon,

weil doch on dank und lon

dein dichten ligt zu grunt.

in dem von mir verschwunt

Ratio. nach dem fast

schwang sich auf einem ast

ein vogl, das ich erwacht.

im herzen mein gedacht:

ich förcht, im sei also

war, wie mich Ratio

treulich gewarnet hat;

stunt auf, gieng in die stat,

zeichnet und ordiniert

zusam und registriert

diß ander buch, zuricht

in druck, meiner gedicht,

und mit dem spruch beschluß

das buch sam mit verdruß,

weil ich für dank und lon

nur feintschaft brecht darvon

umb ghabt fleiß und arbeit,

dacht fort meins lebens zeit

gedichts müßig zu gon,

auf das mir nicht darvon

schaden für lon erwachs,

spricht zu Nürnberg Hans Sachs.


Anno salutis 1560., am 9. tage Januarij.


Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Zweiter Theil: Spruchgedichte, Leipzig 1885, S. 182-186.
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