Historia: Bapst Sylvester der ander ergab sich dem teufel

[172] Die chronica sagen fürwar,

als man zelet neunhundert jar

und vier und neunzig on gefer,

da regieret bapst Sylvester,

der ander dises namens da.

der war bürtig aus Gallia

und vormals Gilbertus genant,

kam in seiner jugent zuhant

in ein kloster, zu werden frum,

im aurelianischen bistum,

doch wider aus dem kloster sprung

und ergab sich noch also jung

dem teufel und auf schwarze kunst,

dardurch zu erlangen die gunst,

zu herschen das römisch bapsttum.

der teufel das mit im aufnum,[172]

doch das er sein wer nach seim tot.

das verschrib er mit seim blut rot.

doch fraget in Gilbertus eben,

wie lang er würt auf erden leben.

der teufel sprach: du stirbst nach dem,

wenn du berürst Jerusalem.

Gilbertus dacht in seim gemüt;

vor Jerusalem ich mich hüt,

das ich kom nimmermer dahin.

nach dem so zug Gilbertus hin

frölich in Hispanier lant,

in die stat, Hispalim genant,

und studiert auf der hohen schul.

da er besaß der künsten stul

für all doctores kurzer zeit

und wurt berümet weit und breit,

das er den keiser Ottonem,

darzu auch Robertum nach dem,

welcher künig wurt in Frankreich,

zu schulern het und auch dergleich

ander vil hoch berümte mender

allerlei nation und lender.

nach dem durch ergeiz er annum

das groß remensisch erzbistum

und auch darzu das ravenisch

aus teufelischer hülf ganz frisch.

da er ein zeitlang bischof was,

ganz begierig über die maß,

das römisch bapsttum zu erwerben.

als nun bapst Johannes tet sterben,

der sibenzehent dises namen,

die cardinel zusamen kamen,

einen anderen bapst zu stellen,

und teten den Gilbertum welen,

aus eingab des satans anfengnus

und aus der götlichen verhengnus,

tetens in für ein bapst erkennen

und Sylvester den andern nennen.[173]

als er nun saß in dem bapsttum,

hielt er sich andechtig und frum;

als er aber im fünften jar

seines bapsttums auf eim altar

in der kirchen des heiling kreuz

mess hielt mit vil prenks und geleuz,

samt cardinelen und hofgsint,

das im alles zu altar dint,

als er gleich wolt sacrificieren

und das sacrament elevieren,

da fieng es an dunkel zu weren,

und vor der kirchen nach und feren

da flug es als vol schwarzer raben,

die zun kirchfenstern gstochen haben

mit einem ser großen geschrei,

und stachen lenger mer herbei,

sam woltens die fenster ausstoßen.

darob het alles volk ein großen

schrecken und forcht ob disem wunder,

und Sylvester der bapst besunder

der fraget sein hofgsint zuhant,

wie diser altar wer genant.

da gaben sie zu antwort dem,

der altar hieß Jerusalem.

der bapst erschrak, gedacht wol, das

seins sterbens zeit vorhanden was,

fiel auf sein knie in reu und leid

und bekennet on underscheid

sein irrtum und sündiges leben,

und wie er sich auch het ergeben

dem teufl in seiner jugent zeit,

begert von got barmherzigkeit,

sein schwere sünt im zu vergeben,

und warnet alles volk darneben,

zu meiden die ergeizigkeit,

die wurzel aller grundbosheit;

warnet auch alles volk darbei

vor teufels gspenst und triegerei,[174]

der durch sein tück und hinderlist

allen christen aufsetzig ist.

nach dem bat er sie allesam,

das man nach dem tot seim leichnam

solt abschneiden all sein gelider,

auf ein wagen zsam legen nider

und vier ross darnach daran spannen,

die ungeleit in zugen dannen;

wo die stünden, solt man acht haben,

an der stat solt man in begraben.

nach dem und als der bapst verschiet,

auf gut hoffnung sein ent erliet,

darnach zerschnitten auf ein wagen

legtens sein leib nach seim ansagen.

da in die pfert gezogen haben

in sanct Johanns kirchen, begraben

wurt er; das war ein gutes zeichen,

das er gots gnad het tun erreichen

durch sein warhafte reu und buß.


Der beschluß

Aus der geschicht man merken muß,

das kein sünder in disen tagen

in seinen sünden sol verzagen

an der gottes barmherzigkeit;

dan got ist allezeit bereit,

das er den sünder nem zu gnaden

und heb in aus ewigem schaden;

allein das er nur nicht verharr

in sünden, verstock und erstarr,

verzweifel an gots gnad und güt.

darvor uns got alle behüt,

sonder das frucht der buß erwachs

bei allen menschen, wünscht Hans Sachs.


Anno salutis 1558, am 8. tage Julij.


Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Zweiter Theil: Spruchgedichte, Leipzig 1885, S. 172-175.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Spruchgedichte (Auswahl)
Meisterlieder, Spruchgedichte, Fastnachtsspiele
Spruchgedichte: Auswahl

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.

244 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon