I, 6.

[26] Professor Schabholz tritt auf.


SCHABHOLZ.

Noch spät erscheine ich zu einer Plauderstunde,

Wie wir zusammen oftmals sie geübt.

Ich finde meine Schülerin betrübt.

Hab' einen Balsam ich für ihre Wunde?[26]

FAUSTINE.

Giebt mein Gesicht von meinem Innern Kunde! –

Nehmt gleich ein Pflaster, um es aufzulegen;

Dann ist der Eiterplatz vollauf bedeckt.

Wo's nicht gelingt, das Uebel wegzufegen,

Wird gut mit Anstand es versteckt.

SCHABHOLZ.

Wo fehlt's, wo gilt's zu viel für die Erduldung?

Gleicht nicht des Kunstwerks Schönheit alles aus:

Den fremden Eingriff, eigene Verschuldung,

Des Pulses Schwäche, regen Blutes Braus?

Pflegt drum der Kunst, die bösen Anfall zwingt!

FAUSTINE.

Rührt den noch Schönheit, dem im eig'nen Innern

Die Fühlung mit dem Reiz nicht mehr gelingt,

Dem ihrer Glocken Ton nur ein Erinnern

An Mangel und Verlust zu Ohren bringt,

Weil reiner Widerhall schon längst zerstört ist

In dem Gemüth, das über Druck empört ist.

SCHABHOLZ.

Doch unversiegbar ist des Schönen Quelle;

Erquickung rinnt von allen Seiten ein.

Beschmutzet selbst, gewinnt sie wieder Helle

Und zeigt Umgebung in dem klarsten Schein.

Sie sammelt sprudelnd sich im Dichterbronnen.

O senke nur den will'gen Eimer ein!

Ein frischer Trunk ist schnell daraus gewonnen,

Und seine Spülung macht die Sinne rein.

FAUSTINE.

Zu tief im Boden ruh'n die kühlen Schätze,

Die ich mit schwacher Hand mir heben soll;

Und wüßte ich auch ihre Lagerplätze

Und schöpfte ich auch meinen Eimer voll:[27]

Bis ich die schwanke Last an's Licht gezogen,

Wär' längst der Inhalt in den Wind verflogen;

Denn sperrig weit liegt Ursprung vom Genuß.

Den Raum dazwischen füllt mir nur Verdruß.

SCHABHOLZ.

So lassen mich Sie den Vermittler machen;

Denn wir Aesthetiker erst bringen nah'

Der Dichter Werke, ihre duft'gen Sachen,

Sobald von uns der Niederschlag geschah.

Zu grell und bunt, zu mischungsvoll erscheinet

Das Werk an sich; es muß zerstiebt erst sein,

Eh' es das Gleichmaß rund in sich vereinet,

Das uns Genuß beut durch den schönen Schein.

In Elemente müssen wir zerlegen

Mit scharfer Sonde das Konglomerat;

Wir müssen an ihm messen, ja vergleichend wägen,

Bis daß die Dichtung wird zum Präparat.

Dann schieben, mit verwandten im Verein,

Wir sie in's richt'ge Fach befriedigt ein.

FAUSTINE.

Und das nennt Herr Professor wohlgethan!

Kein frisches Korn mehr sieht dem Werk man an;

Das fremde Schrot nur macht sich unkrautsbreit:

Von falscher Münzung lieget das nicht weit.

In steifen Anzug stecken Sie die Glieder

Des drallen Leibs; man kennet sie nicht wieder.

Und was Sie draus für Dichterregeln pressen:

Ein Foltern ist's, Abstraktes zu ermessen!

Der Dichter müßte seinen Geist verhauchen,

Wollt' er von dieser Lehre was gebrauchen.

Die Regeln, die das Kunstgesetz enthalten,

Sie stecken schon in des Talentes Falten.

Ihr Fahrzeug scheitert an dem scharfen Riffe:

Empfindungssachen spotten der Begriffe. –

Vernehmen Sie, wie ich vom Dichten denke,

Woher ich seines Schaffens Ursprung lenke:
[28]

Was zeichnet aus den Dichter

Vor vielem Erdenvolke?

Er schaut des Himmels Lichter,

Wo and're seh'n die Wolke.

Sie senken ihren Schimmer

In die bereite Seele,

Und leuchten da für immer,

Damit ihr Glanz nicht fehle.


Ihn reden an die Blicke

Und nicht allein die Zungen.

Er würdigt die Geschicke,

Die so zu ihm gedrungen.

Er ist ein klares Becken,

In dem die Welt sich schildert,

Ihr Lauf nach seinen Zwecken

Sich stärket oder mildert.


Er zeiget ihre Theile

Gefügt und ohne Lücke.

Er schlägt mit Zaubereile

Dazwischen sein Brücke.

Kühn ist der Schluß vollzogen,

Womit der Dichter bannet,

Gleichwie der Regenbogen

Das Firmament umspannet.


Er sieht in die Verstecke,

Wo Schätze sind vergraben,

Wenn and're an der Decke

Sich nur das Auge laben.

Er schaut, was schon vergangen,

Und läßt es wieder leben.

Die Zukunft, noch verhangen,

Sie muß ihm Auskunft geben.


Er hört ihr leises Kommen

Selbst in des Tags Gedränge;

Und, was er wahrgenommen,

Verkündet er der Menge.[29]

Sie nimmt es auf betroffen;

Sie nimmt es auf mit Höhnen.

Ja, wär' kein Ohr ihm offen,

Sein Lied müßt' doch ertönen!


Er stärket und erfreuet,

Begeistert und erquicket,

Beseitigt und erneuet,

Wie sich's zur Lage schicket.

Er wirket um so reicher,

Je mehr er uns in Bildern

Als sinniger Vergleicher

Zielpunkt weiß zu schildern.


Die Kunst ist keine Schule,

Zum Lernen einzuladen.

Sie spinnt mit flücht'ger Spule

Nur eig'nen Geist zum Faden.

Sie webt ihn zum Gewande,

Das reich in Falten schwillet,

Den Leib nicht schnürt in Bande

Und doch den Körper hüllet.


Belebt ist ihr Gestalten:

Im Umriß, der nicht weichet,

Im kräftigen Entfalten

Der Frische, die nicht bleichet,

Die jede hohe Stunde

Zu hellem Glühen bringet,

Der, mit dem Schwung im Bunde,

Die Schöpfung neu gelinget!


SCHABHOLZ.

Ei, ei, mein Fräulein! Reden Sie pro domo!

Sie fallen sicher noch in meine Hand.

Ich weise nach an diesem »novus homo«,

Was uns're Wissenschaft bis jetzt noch nicht erkannt.

FAUSTINE.

Zu viel der Ehre, nähm' ich's nicht für Spott.
[30]

SCHABHOLZ.

Sie rächen grausam sich an dem Secierer.

Gut' Nacht für heut' denn, und behüt' Sie Gott!

FAUSTINE.

Schlaft wohl! Ihr werdet nimmer mein Verführer.


Schabholz ab.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 26-31.
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