V, 4.

[94] Innocentia's einfaches Gemach.


INNOCENTIA ihre Stickerei weglegend.

Was hat der liebe sonderbare Mann

Mir alles wieder hergeschickt:

Ein Liedchen, das er selbst ersann

Und Blumen, die er selbst gepflückt,

Ein züchtig Buch für den Verstand

Und auch noch was von Zuckerkand!

Wie das dem Gaumen herrlich mundet,

Wenn seinen Geber es bekundet!

Laß sehen, was der Uebertreiber schreibt:


»Soll ich dich, Milde, nicht erheben?

Nicht für die Güte danken dir?

Natur gab einzig mir das Leben;

Du aber gabst die Seele mir,


Die Seele, Reize zu empfinden,

Die sonst ein Schleier uns verhüllt,

Die Seele, Tiefen zu ergründen,

Die kein Genuß der Erde füllt,
[94]

Die Seele, die das Leid verkläret

Zu einer Rührung göttlich mild,

Die Himmelsfrieden hier gewähret

Nach Kampfestagen streng und wild:


Ja, deine Seele, der entsteiget

Der Werth des Daseins übervoll,

So daß ich, scheu das Haupt geneiget,

Nicht weiß, wohin ich blicken soll. –


O bleibe meines Lebens Krone,

Die jeden Tag mich neu verjüngt;

Und biete mir von deinem Throne

Den Lorbeer, der den Tod bezwingt!«


Das ist sehr schön gesagt und fein:

Das klingt so lauter und so rein!

Und dennoch find' ich mich nicht drin.

Es blickt heraus zu reicher fremder Sinn.

Das ist nicht so, wie ich es bin.

Da macht auf mich er holde Lieder:

Ich aber kenn' mich drin nicht wieder.

Ich bin so einfach und so schlicht;

Doch ganz so zahm, wie er mich schildert, bin ich nicht.

Ich kann auch tüchtig heftig werden,

Mich zornig zeigen in Gebärden.

Heut' aber bin ich wonnig gut,

Wenn er nur still in meinen Armen ruht.

Wär's nur schon hier, das warmverliebte Blut!

An ihm will mehr ich als am Lied mich freuen.

Ein herrlich Ding ist so ein Schatz in Treuen!


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 94-95.
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