§. 12. Fortsetzung.

[43] Jedem Gegenstande, den ich hier behandle, habe ich nicht verfehlt, entsprechende Sagen, so weit sie mir bekannt wurden, anzufügen, und selbst die Verschiedenheit derselben in den einzelnen Landesstrichen hervorzuheben: denn wollte ich mich bloß auf deren Grundbau beschränken, so würde ich umsonst gearbeitet haben, da der Grundstock der Sagen in ganz Deutschland derselbe ist; gerade das Abweichen in den einzelnen Zügen ist das Bedeutungsvolle. Jeder Stamm greift aus der Sage besonders das ihm Zusagende auf, und zeigt dadurch auf seine eigene Natur. Doch waren es weniger die Sagen, wonach ich trachtete, als jene vielen kleinen unscheinbaren Sätze, in denen die Anschauungsweise des Volkes sich ausspricht und die Reste heidnischen Glaubens sich erhalten. Diese sind bisher nicht vollkommen gewürdiget worden und doch enthalten sie reiche Schätze, ja sie bilden das unabweisliche Ergänzungsglied, ohne welches eine Erklärung der Sage unvollständig bleibt. Die Sagen sind dem Oberbau zu vergleichen einer verfallenen Burg; die Trümmer ragen hoch und massenhaft empor aus dem Schutte des Gerölles, welches den Unterbau deckt; wird letzteres hinweggeräumt, dann erst tritt die Führung der Mauern, die Anlage des Ganzen zu Tage. Deshalb[43] habe ich vorzugsweise in diesem Gerölle gesucht und ich vermeyne, manche werthvolle Ausbeute gewonnen zu haben. Was der Schutt verhüllt, ist bewahrt vor der Zersetzung durch äußere Einflüsse.

Die Gränzen der Schrift hätte ich weiter ausdehnen können auf das Innere von Altbayern, von Frankenland; ich hielt es indessen für gerathen, mich einzig innerhalb meiner Heimat zu bewegen und nur stellenweise Ausläufe über die Gränzen zu machen. Franken kenne ich zu wenig, mehr Altbayern durch vieljährigen Aufenthalt. Wer vermöchte das Haus besser zu kennen als der, so darin geboren und erzogen ist? Die Erinnerungen der Kindheit sind sichere Wegweiser: ohne sie ist und bleibt man Fremdling in der Vergangenheit des Hauses. Nur der Eingeborne ist berechtiget und befähiget, hier das Wort zu nehmen; er allein wird die Sache mit Liebe, Pietät und Kenntniß erfassen und aussprechen. – »Das Blut läuft zusammen.«

Erforschen häuslichen Lebens am Herde, auf Feld und Weide gibt zugleich Gelegenheit zum Auffinden jener Spuren, welche auf die Uranfänge des Stammes, sein Ausgehen, seine Verwandtschaft gleichzeitig mit Sage und Glaube leiten. Mundartliche Benennungen der Geräthe, Verrichtungen, der Speise und Kleidung sind vorzüglich beachtenswerth. Würde ich z.B. das einzelnstehende Gothische Wort hôha = Pflug irgendwo auffinden, so hätte ich in dem Dunkel einen weißen Stein gefunden.

Bey Manchem was zur Sprache kommt, wollte ich[44] mich nicht enthalten, zugleich meine Deutung niederzulegen; steht sie auch bisheriger Anschauung entgegen, so glaubte ich doch auf einem Gebiete, das zur Zeit noch freyes Gut ist, andere Pfade als die bisher betretenen einzuschlagen nicht behindert zu seyn. Ferne steht es mir, damit bestimmend einwirken oder nach Neuem haschen zu wollen. Nicht Gelehrter vom Fach habe ich mich zu bescheiden. Vor Allem aber wurde herbeygezogen, was vom Nordischen Gelegenheit zur Vergleichung bot.

Daß der Geisterwelt ein großes Feld eingeräumt worden und dem Zauber, erklärt sich daraus, daß ja heidnischer Glaube besprochen wird. Zu dem Tage des Christentums ist das Heidentum die Nachtseite, in welche nur bleiches Sternenlicht hereinblinkt. Uebrigens geht durch die ganze Menschheit ein dunkles Ahnen von Einflüssen, die durch Wesen außer uns geübt werden: sollte dasselbe denn so gar aller Begründung entbehren? Was allen Völkern aller Zeiten gemeinsam ist, darf wohl auch auf höhere Geltung Anspruch machen und wird nicht durch ein souverängelehrtes Nein beseitiget.

Von der Geschichte hielt ich mich ferne, Anderen überlassend das Viele, was hierin für die Oberpfalz zu thun ist. Die Archive bergen reiche Schätze, noch andere sind zu heben in den vergessenen Registraturen und Speichern der Landgerichte und Rentämter, wenn sie nicht allmälig den Weg aller Makulatur gehen. Oft und an vielen Orten habe ich darauf aufmerksam gemacht, ohne Gehör zu finden. Was man besitzt, verschließt[45] man geheimnißvoll, bis es von einem Verräther an seiner Pflicht verhandelt, oder auch in bester Absicht, um Platz zu schaffen, entfernt wird.


Hiemit übergebe ich einen Theil meiner Forschungen der Oeffentlichkeit. Treue und Natürlichkeit waren die beyden Stäbe, an die ich mich hielt in Darstellung und Erklärung. Hätte ich damit nichts erzielt, als meine Landsleute anzuregen, damit sie noch in eilfter Stunde sammeln was dem Untergange verfallen ist, so fühle ich mich belohnt genug. Der Rahmen liegt nun vor.


München 12. May 1856.


Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 1, Augsburg 1857/58/59, S. 43-46.
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