VII. Versuch einer Deutung.

[440] Daß der Bilmesschneider mit dem Heidentum zusammenhänge, ergibt sich aus seiner mythischen Gestalt, aus dem teuflischen Charakter, der ihm anhängt. Die Sichel, die goldene, welche er angeschnallt hat oder trägt, deutet auf die Aernte, die goldene; der Bock, auf dem er reitet, ist sein geheiligt Thier. Die Bocksopfer nach der Aernte sind auch anderwärts bekannt; der Bockstich, das Schlachten der Böcke, beginnt mit Egidi, am ersten Tage nach August. Wir haben also hier einen Aernte-Gott vor uns, den Gott des Feldsegens, wahrscheinlich den Donar, oder Thor, auf welchen der Bock weist.

So wie oben die Drud, als Göttin in ihrer Priesterin, menschliche Gestalt annimmt, gleichsam in dieser sichtbar wird, geht auch hier der Gott in seinen Priester über. Der Bilmesschnitter ist der Priester, der seinem Gotte den Dank für den verliehenen Segen der Feldfrucht einsammelt, die Opfergabe vom gläubigen Heiden dafür erhält, daß er die Saat in seines Gottes Namen geweiht hat. Dem Christen gilt er natürlich als Diener des Teufels, als dessen Verbündeter, da der heidnische Gott gegenüber dem wahrhaftigen Gott teuflisches Zerrbild ist.

Die Rache der verlassenen Götter ward von den so eben zum Christentume bekehrten Germanen gleichwohl noch gefürchtet, und seine früheren Götter hatten ihm[440] noch immer, wenn gleich nur teuflische, auf Böses gewendete Macht. Gegen sie gab die Kirche den kräftigsten Schutz zur Hand, durch den Segen, den der christliche Priester im Namen des wahren Gottes ertheilte.

An die Stelle heidnischer Weihe, trat nun der kirchliche Segen. Wäre von christlichem Gebrauche zurückzuschliessen erlaubt, so ist der kirchliche Umgang um die Felder in der Bitt-, oder Kreuz-, oder Schauerwoche, um den Aerntesegen zu erflehen, der Ersatz für die heidnische Weihe.

Wie aber das Volk streng am Hergebrachten hängt, konnte es doch nicht ganz verläugnen, was ihm früher theuer war. Im Rücken der Kirche thut es zur Zeit noch heimlicher Weise, was früher geschah; es steckt in die Saaten geweihte Feuerbrände und Palmzweige, gießt Weihwasser, schießt geweihte Kugeln darüber her; doch nicht, um den Segen des alten Gottes zu gewinnen, sondern gegen ihn, den Teufel, sich zu schützen. Die Sache hat es behalten, das Verständniß allein ist gewichen und in das Gegentheil dessen verkehrt, was vordem die wahre Bedeutung war.

Das Einstecken der Brände vom heiligen Feuer treffen wir auch sonst, wie jetzt noch die Brände vom Sonnwendfeuer in die Leinsaat kommen, damit der Flachs lang wachse. Die Weihe mit Wasser war dem Germanen ebenfalls nicht fremd, wir kennen sie bey der Taufe; das Wasser hat Heilkraft. Was die Palmzweige betrifft, so muß der Baum, der sie gibt, einst[441] von tiefer Bedeutung und hoher Wichtigkeit gewesen seyn, wovon weiter unten.

Die Forschung auf dem Gebiete der Sprache ist um so schwieriger, als das Wort selbst in sehr verschiedenen Formen erscheint, und seine Bedeutung dem Verständnisse des Volkes gänzlich entschwunden ist. Um so älter die Sache selbst. Es wechseln die Formen Bilmas-, Bilmes-, Bilwes-, Bilwers-, Bilmers-, Bilbers-, Bilwez-, Bilmez-, Bilbez-, Bulvers-, Bülwers-, Bölwers-, Bölmes-, Baibles-Schneider in buntem Wirrwar durcheinander ab.

Die bedeutungsvollste Sylbe des Wortes ist unstreitig die erste. Die Konsonanten derselben sind allerorten unverändert, nur der Vokal i schlägt fast eben so oft wegen des folgenden l in jenen Halblaut um, der dem englischen u in but entspricht. Dasselbe ist auch in der zweyten Sylbe der Fall und durch den fehlenden Ton erklärt, dagegen zeigt sich aber in dieser bey den Konsonanten eine heillose Verwirrung; v, w, b und m wechseln am Anfange, z oder ds, rs, s am Ende. Einzig steht »Baibles« da. Vorerst ist mir das Wort ausser in der Verbindung mit Schnitt und Schädel nicht vorgekommen, daher bleibt der s Laut am Ende als Zeichen zweyter Endung. Im Anlaute kennt der Oberpfälzer kein p, und setzt immer b dafür, im Auslaute wird es bb.

Wir heben nun zur genaueren Betrachtung aus diesem Babel drey Hauptformen als die gewöhnlichsten aus: bilmas oder bilwes, bilmers oder bilwers und bilmez oder bilwez, wo in bil der i Laut gewahrt ist.[442] Im Nordischen ist bildr der Wurfspieß, im Angel- oder Altsächsischen erscheint bil als Schwert, Messer. Im Englischen gilt noch bill für Messer und Art, billmann für Baumschneider, bilman als Partenträger, Helebardier. Das i in bil ist nicht in ei übergegangen wegen des ursprünglich doppelten l. Nach Schmeller ist billen so viel als zuschneiden, schärfen, und Biller heißt der Mühlknappe, der die Mühlsteine schärft. Im Holländischen bedeutet »billen« überhaupt scharf oder kantig machen. Bil ist somit jedes scharfe schneidende Werkzeug.

So viel nun auch der Gebilde für die zweyte Sylbe sind, so müssen sie doch derselben Bedeutung seyn; ohne den Formen große Gewalt anzuthun, dürften sich dieselben einfach auf Grundformen zurückführen lassen, die sämmtlich auf »Mann« hinweisen. Sicher erscheint dieses in den Formen ma und me, abgekürzt für Mann, wie noch jetzt die Ortsnamen Hörmannsdorf = Hirmasdoarf, Bilmannsberg = Bilmasberg lauten.

Die zweyte Form: wer, entspricht dem Gothischen vairs, ahd. wer, nordisch ver, lat. vir – Mann; daß w nach l in m übergeht, ist nicht selten.

Die dritte Form endlich: wed oder med ist das gothische vaihts, altdeutsch wiht, unser Wicht, für jedes Wesen stehend, wie noch jetzt »der Ding« für Mann, »das Ding« für Weib und Sache gilt; diese Form scheint für die schlimmere Bedeutung des Bilmesschnitters gewählt zu seyn.

Wir hätten also auf diese Weise wörtlich: Billmann, den Mann mit dem Messer, der Sichel vor uns, und[443] des Bilmesschnitters äusseres Zeichen sind auch in der That diese Werkzeuge.

Auffallender Weise finden sich Ortsnamen mit Billmann, wie Billmannsberg bey Regensburg und Leuchtenberg, öfter noch die Form bilmer in Bilmersreit bey Waldmünchen, Tirschenreut, Naila, meistens für Einöden und Weiler stehend.

Ist nun der Bilman der Sichelmann, so trägt er die Sichel, um die Garben zu schneiden für den Gott und seine Priester; daß es recht eigentlich um einen Zehenten sich handelt, geben die Sagen zu entnehmen, wonach ihm ein bestimmtes Korn, das zweyte, dritte, zehnte gehört, und beym Dreschen vorweg dem Bilmesschnitter sein Theil, wenn gleich in höhnischer Weise, zugeworfen wird.

Nimmt man noch Rücksicht auf den Umstand, daß der Bilmesschnitt nicht jeden Acker trifft, sondern nur auf gewissen Fluren geht, so möchte obige Deutung noch mehr für sich gewinnen; es wären dann gerade jene Aecker, welche schon zur Zeit des Heidentums bebaut wurden, oder in engerer Fassung geradezu nur heilige, für den Gott und seine Priester bestimmte Aecker, welche von den Layen gegen Abgabe eines Zehenten bewirthschaftet wurden. In gleicher Weise haben wir ja auch in den Hoya, in welchen der Hoymann, und um welche das weisse Roß geht, heilige Wälder zu erkennen. Nicht zu übersehen ist, daß der Durchschnitt fast ausschließlich nur auf Korn- oder Roggenfeldern geht. Roggen gehört wohl zu den ältesten Getraidearten,[444] welche gebaut wurden in deutschen Ländern, und neben dem Roggen trifft er auch die Leinsaat, von welcher der Mensch seine Kleidung nimmt.

Daß Tempelabgaben entrichtet wurden, erkennen wir im Nordischen hoftollr und am Tempel von Upsala.

In den Sagen, die hier gegeben und mir sonst aus den Nachbarländern bekannt sind, kommt von einer zwergenhaften Natur des Bilmesschnitters nicht das geringste vor. Im Gegentheile erscheint, wenn nicht der Teufel selbst, nur immer der Mensch, vorzugsweise der Mann, der mit dem Bösen im Bunde Gewalt übt über die Saat, sowie anderseits das Weib als Drud und Hexe sich an Menschen und Thiere macht, und den Blut- und kleinen Zehent einfordert.

Daß der »Bilmesschädel« einen struppigen Kopf bezeichnet, ist richtig; doch leite ich diesen Ausdruck nicht von Billmann, sondern von den Palmbündeln, welche am Palmsonntage auf Stäbchen zur Weihe in die Kirche getragen werden, und mit den ausgeschossenen Blüthenkätzchen, den Palm-Mudeln, Bellmidseln oder Bellwidseln, die Gestalt einer grossen filzigen Kugel bilden.

Bechstein in seiner Forstbotanik bezeichnet die Salix caprea, Gaisweide, als diejenige, deren Zweige von den Katholiken am Palmsonntage zur Kirche getragen werden, wovon sie auch Palmweide heiße.

Durch die ganze Oberpfalz liefert aber die Silberpappel, populus alba, die Zweige, welche nach erhaltener Weihe am Palmsonntage das ganze Jahr über als heilig gegen vielerley Gefahren durch Feuer, Wasser[445] und bösen Zauber, in den Häusern aufbewahrt werden. Der Glaube an die Kraft dieser Weihe ist so stark, daß man selbst die Stäbchen, auf welchen die Zweigbündel zur Kirche getragen wurden, in die Betten legt, um vor Zauber sicher zu seyn.

Die Zweige aber müssen jene walzenförmigen, haarigen verfilzten Blüthenknöpfe tragen, welche man Palmkatzen nennt; die Silberpappel treibt diese Blüthenkätzchen schon gegen Ende März. War dieser Baum dem Donar geweiht, sein Symbol, weil er im Frühlinge die ersten Knospen trägt?

Mir scheint das Wort »Palmkatzen« lediglich verdorben aus Bollmkatzen, Bollenkatzen, um mit den Palmen des Evangeliums Uebereinstimmung zu gewinnen; denn der Baum heißt eigentlich Bollenbaum, wovon Bollmbaum, auch Böllenbaum, bey Schmeller Bellenbaum; bey Bechstein Belle, Bolle, Bollweide; während die eigentliche Weide, Wolge, Wilge, Wilgenbaum, holländisch: Wilg oder Wilgenboom, englisch: willow-tree heißt.

Die Blüthenknospen heissen wie bekannt auch Mudeln, Mudseln, Wudseln. In Verbindung mit bell, böll, hätten wir also wieder ein belmiz und belwiz, wie oben, gewonnen. Um Velburg heissen sie ausdrücklich Böllwizerln.

Der Billmesschnitt heißt dort auch Baiblesschnitt; Paibl oder Pöibl ist das Lateinische: populus. In Altbayern treffen wir auch Bilgenschnitt. Wilge ist Weide. Beyde Ausdrücke würden also nichts besagen, als:[446] Weidenschnitt, und der Bilmesschnitter wäre der Mann, der die Weidenzweige schneidet und in die Aecker zur Weihe steckt, wiederum der Priester.

Im Dänischen bedeutet piil pl. pile, sowie im Schwedischen pil, zugleich Weide und Pfeil. Dem Schiessen mit geweihter Kugel liegt gewiß ein älteres Abschiessen des Pfeiles zu Grunde. Hätten wir etwa hier das Bindeglied, welches das Stecken der Weidenzweige mit dem Schiessen, und entfernter mit dem Messer, der Sichel, verbindet? sind auch die Pfeile vom Weidenbaum, piletrae, genommen.

Bey der Unsicherheit, die in diesem Gegenstande herrscht, muß ich noch weiter gehen. Ich habe oben bemerkt, wie das i in bilmes so oft ablautet in ein stumpfes a, o, u, ä, ö, ü. Woher hat die Bollweide ihren Namen? Mir ist ein Kinderspiel hinten im Walde, bey Tiefenbach gegenwärtig: »dem Boll opfern;« hätten wir am Ende gar auf den Phol zu rathen? Bechstein führt bedeutungsvolle Namen für die Silberpappel auf: Wunderbaum, Götzenholz, Heiligenholz.

Ich schliesse nun in Folgendem das Ganze meiner Ansicht zusammen.

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 1, Augsburg 1857/58/59, S. 440-447.
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