1118. Die Mühle an der Lauterach.

[153] Von B. Strauch.


O Bächlein hold, o Bächlein klar,

Wie bringst du Glück mir wunderbar,

Wie prangt von deinem Born geschwellt

Mir üppig Garten, Flur und Feld!

Es klappert flink die Mühle

Bei Nacht und Tagesschwüle.


Wie steht mein Haus in voller Pracht,

Wie schafft darin und sorgt und wacht

Mein liebes holdes Töchterlein, –

Sollt auf mein Glück nicht stolz ich sein?

So denkt in Lust versunken

Der Müller freudetrunken.


Im lauen Abenddunkel trat

Indeß sein Kind ins kühle Bad.

Die Flut umschlingt mit wilder Lust

Den weißen Leib, die zarte Brust,

Umfaßt die schlanken Glieder

Und zieht das Mägdlein nieder.


Vergebens suchet das Gesind,

Umsonst der Vater nach dem Kind;

Die Nacht bricht an, der Morgen tagt,

Niemand bringt Auskunft der da fragt,

Bis trostlos spät ein Rufer

Die Leiche sieht am Ufer.


Zerwühlt von namenlosem Schmerz,

Verzweifelnd bricht das Vaterherz:

»Du hast geraubt mein höchstes Glück,

Nimm Bach, nimm Alles nun zurück,

Was du mir hast gegeben:

Verwünscht sei dieses Leben!«


Und sieh es schwillt nach kurzer Weil

Der Bach zum Fluß, zum Strom in Eil,

Und Garten, Scheune, Mühl und Haus

Reißt er hinweg im Wogenbraus.

Sie sind im Nu verschwunden,

Man weiß nicht wo sie stunden.


Seitdem tönt's ach! und lauter ach!

Oft Nachts durch's Thal entlang den Bach.

Als lange weiße Schatten ziehn

Des Müllers Leute her und hin,

Wenn's stürmt bei Mondes Scheinen,

Und rufen laut und weinen.


Und unterm dunkeln Erlendach

Rollt murmelnd fort die Lauterach,

Sie schäumt an manchem Stein empor,

Und raunt enteilend ihm ins Ohr:

»Trau nicht des Schicksals Tücke

Zu kühn und stolz im Glücke.«

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 153.
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