1270. Die Jungfrau am See.

[268] Mündlich.


In der Gegend von Berchtesgaden lebte einmal ein Jägersbursche. Der war von Salzburg gebürtig, hernach, da seine Aeltern frühzeitig gestorben, bei einem Jäger in Dienst aufgenommen. Da hatte er des Mannes schönes Töchterlein kennen gelernt und die beiden hatten sich lieb gewonnen. Auf einmal starb der Alte, da mußte der Bursche weiter ziehen, weil man keinen Gesellen mehr brauchte, wo kein Jäger war, auch war er arm und konnte im Ernste nicht daran denken, die Hand der reichen Dirne zu erhalten. Mit schwerem Herzen verließ er das Haus und zog in die Wildniß der Berchtesgadner Wälder und baute sich ein Hüttlein am Fuße des Priestersteines, da wo sich jetzt der Sommerbau der alten Residenz der Fürstpröbste befindet.[268]

Es war ein Jahr vergangen, als er einmal in Gedanken vertieft vor seiner Hütte saß. Da schlugen plötzlich die Hunde an, sie witterten die Nähe eines Edelwilds. Unser Jägerbursch machte sich auf, verfolgte die Spur des Wildes, und entfernte sich weiter und immer weiter von seiner Hütte. So gelangte er zum erstenmal au die Ufer des Königssees. Da setzte er sich auf einen Stein am Ufer und ergötzte sich an dem Anblick des tiefblauen, schönen Gewässers.

Während er so da saß, kam auf einmal ein wunderschöner Schwan auf ihn zugeschwommen. Eh er sich's versah, tauchte der Schwan unter und in demselben Augenblicke stand eine holde, liebreizende Jungfrau vor den Blicken des erstaunten Jägers. Die Jungfrau grüßte ihn freundlich und fragte, was ihm denn fehle? Der Bursche eröffnete ihr sein Anliegen von wegen der schönen Tochter des verstorbenen Jägers, die er nun habe verlassen müssen. Die Fee sprach ihm guten Muth ein, es werde sich schon helfen lassen. Sie sei die Dienerin eines mächtigen Königs, der in der Tiefe dieses Gewässers throne, er solle ihr folgen und zu großen Schätzen geführt werden. Darauf geleitete die Jungfrau den folgsamen Jüngling in verborgene Schluchten und Höhlen und zeigte ihm die Goldschätze des Gebirges. Sie gebot ihm, davon zu nehmen, so viel er begehrte. Das ließ sich der Jäger nicht zweimal sagen, griff mit vollen Händen zu und machte seine Taschen voll des gediegensten Goldes. Darauf führte ihn die Jungfrau an die Stelle zurück, wo sie ihn gefunden hatte, und als er sich nun bei ihr bedanken wollte, war sie verschwunden, aber der schneeweiße Schwan durchschnitt wieder ruhig und majestätisch die spiegelglatte Fläche des Wassers. Nun war das Erste, was der glückliche Bursche that, zu seiner Geliebten eilen und ihr sein Herz und seine Hand antragen. Sie wurden durch das Band der Ehe vereint und lebten eine Zeit lang im Genusse aller irdischen Seligkeit als wahrhaft glückliche und zufriedene Menschen. Aber es blieb nicht immer so. Der Ueberglückliche wurde nach und nach übermüthig, verthat sein Gold in allerhand Lustbarkeiten, und suchte anderwärts als in dem Kreise seiner Familie Vergnügen. So kam er endlich in großes Elend. Da gingen ihm die Augen auf. Weinend saß er nun oft an der Stelle, wo er zuerst die hilfreiche Jungfrau gesehen. Eines Abends erschien sie wieder. Noch einmal sollte dem Jäger geholfen werden, aber dießmal führte sie ihn nicht zu den Goldschätzen, sondern entdeckte ihm die Salzlager des Gebirges. Da sollte er schurfen als fleißiger Bergmann und sein Reichthum werde nie mehr versiegen. So[269] geschah es auch. Das Salz blieb eine ergiebige Quelle des Glückes für ihn und seine Nachkommen. Einige sagen der Mann habe Berthold geheißen und seine Söhne hätten nach ihm den Ort Berchtoldsgaden genannt.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 268-270.
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