976. Gertrudisquelle.

[46] Von F.J.Freiholz.


Aus der Karlburg stolzen Hallen

Tritt Held Pipin's frommes Kind,

Zu dem Kirchenbau zu wallen,

Den zu Gottes Wohlgefallen

Sie im Thal des Mains beginnt.


Heil'ge Männer sind gekommen

Mit dem Kreuze in der Hand,

Und mit Jubel aufgenommen

Wurden sie von allen Frommen

Im bekehrten Frankenland.


Allwärts strömen bald die Schaaren

Lehrbegier'ger Schüler bei;

Siegreich muß sich offenbaren,

Daß im Glauben nur, im wahren,

Einzig Trost und Segen sei.


Doch dem wogenden Gedränge

Aller, die dem Herrn vertraut,

Ist das kleine Haus zu enge,

Darum wird der frommen Menge

Dort ein Tempel aufgebaut.
[46]

Und Gertrudis ist's, die reine,

Die das Haus den Gläub'gen schenkt

Und dahin bei'm Morgenscheine

Aufwärts wandelnd an dem Maine

Oft zum Bau die Schritte lenkt.


Einstens als der Sonne Strahlen

Heißer sanken auf die Flur,

Fühlt sie bitt'ren Durstes Qualen,

Doch des Schmerzes Seufzer stahlen

Leis' sich aus dem Busen nur.


Nirgend war ein kühler Schatten,

Noch ein Quell, der Labung gab,

Nah schon war sie dem Ermatten,

Ihre welken Hände hatten

Kaum noch fest den Wanderstab.


Und mit schmerzlicher Geberde,

Blickt zum Himmel sie empor,

Daß ihr Gottes Stärkung werde!

Plötzlich aus der dürren Erde

Springt ein frischer Quell hervor.


Gottes Wunder, Gottes Gnade

Hat die Heilige erquickt,

Daß er ihr auf trocknem Pfade,

Da sie hülflos sich ihm nahte,

Einen kühlen Born geschickt.


Immer noch im Thalesgrunde

Fließt das Wasser klar und hell,

Und es heißt im Volkesmunde,

Daß der Kranke schnell gesunde,

Trinkt er vom Gertrudisquell.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 46-47.
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