294. Das Glöckchen der Stromfei.

[284] Von Ludwig Köhler. – Deutsches Museum v. L. Bechstein II., 194.


Das war der Graf von Klingenberg,

Der zog zum heil'gen Krieg.

Er sprach zu seiner Frauen:

»Ade, woll' Gott vertrauen

Und unsrer Jungfrau gnadenreich,

Die gibt uns schönen Sieg!«


Ein silbern Glöcklein gab er ihr.

»Nimm's in dein Kämmerlein;

So lang es stumm wird hangen,

Darfst du um mich nicht bangen,

Doch wenn es einstens läuten wird,

Werd' ich gestorben sein.


Und wenn du mir die Treue brichst,

Das Glöcklein sagt dir's an!

Ich starb zur selben Stunde

An tiefer Herzenswunde;

Das Glöcklein hat die Stromesfei

Geschenkt einst meinem Ahn!«


Die Fraue schwur ihm ew'ge Treu

Mit Herz und Hand und Mund

Der Graf zog drauf von dannen

Und Jahr' um Jahre rannen

Und aus dem Morgenlande kam

Noch immer keine Kund.


Es war ein junger Rittersmann

In Lieb zu ihr entbrannt,

Er sprach: »o Fraue minniglich,

Ich lieb' Euch so herzinniglich,

Mehr wohl als Euer Ehgemahl

Im fernen Morgenland!«


Ein artig Mährchen sann er Euch

Mit seinem Glöcklein aus,

Es wird wohl nie erklingen

Und von des Todes Schwingen

Ereilt, schläft er den langen Schlaf

Wohl längst im Grabeshaus.


Die Gräfin fühlte sich bestrickt

Von seiner Augen Strahl,

Er klopft' mit süßen Worten

An ihres Herzens Pforten

So lang, bis sie die Treue brach

Dem fernen Ehgemahl.


Und als die Treu gebrochen war,

Griff er zum Glöcklein schnell.

»Laßt uns das Angedenken

Im tiefen Main versenken!«

Horch, Wunder! da erklangen draus

Drei Schläge silberhell.


Da ward der schönen Sünderin

Zu Eis das warme Blut,

Sie sprang in lautem Jammer

Aus der entweihten Kammer

Hinauf zur höchsten Thurmeszinn'

Und stürzt sich in die Fluth.


Der Ritter stand wie Marmor bleich

Und schaudernd er entwich,

Als Mönch mit nackten Füßen

Die schwere Schuld zu büßen. –

Zur selben Stund' im Morgenland

Graf Klingenberg erblich.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 284-285.
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