296. Die Frau Hulle.

[286] A.v.Herrlein S. 197.


Auf dem Schellenberge zwischen Haimbuchenthal und Wintersbach stand vor Zeiten ein Schloß, und im Schloßhof ein Lindenbaum. Der war sehr groß und schön und es ging die Sage, so lange der Lindenbaum stehe und grün sei, werde das Schloß auch stehen, wenn er aber dürr und abgängig würde, würde das Schloß verfallen und die Herrenleute würden in's Abwesen gerathen.[286]

In dem Schloß nun lebte einmal ein Schloßherr, der hatte zwei Söhne. Der älteste war sehr groß und schön, der jüngste aber war klein und häßlich. In seiner Jugend hatte er einmal das Bein gebrochen, und man nannte ihn darum nur den krummen Jakob. Wie nun der Schloßherr sein Ende nahe fühlte, ließ er sie beide vor sein Bett kommen, übergab dem Einen das Schloß, als dem Erstgeborenen, und eine große Kiste mit Geld und ermahnte ihn, den Jakob bei sich zu behalten, Zeitlebens ihm brüderlich zu begegnen und an nichts es ihm fehlen zu lassen. Das versprach nun der Aelteste mit Hand und Mund, wie aber der Vater gestorben war und er das Schloß überkommen hatte, hielt er's nicht, vielmehr behandelte er den Bruder schlechter, als den geringsten Taglöhner. Er ließ ihn nicht mit sich am Tische essen und nicht in seinem Schlosse wohnen, sondern er mußte im Stall bei den Pferden schlafen und mit den Hunden aus einer Schüssel essen. Da ging der Jakob, als er sah, daß der Bruder kein brüderliches Herz gegen ihn habe, eines Tages zu ihm und verlangte sein Erbe, denn er wollte sein Glück weiter suchen; der Schloßherr aber gab ihm nichts, sondern schlug ihn und ließ ihn zum Schloß hinauswerfen.

Also geht der krumme Jakob traurig fort in den Wald, immer zu, Berg auf Berg ab, und wie er in's Thal kommt, wo heutzutage die Karthause steht und die alte verfallene Kirche, ist's Abends, und er setzt sich unter einen Baum, legt den Kopf in die Hände und weint bitterlich. Wie er wieder aufstehen will, sitzt gegenüber auf einem Stein eine alte Frau mit grauen Haaren und runzlichtem Gesicht, die spinnt und wie sie das Rad tritt, nickt sie in Einem fort dazu mit dem Kopf, – das war die Frau Hulle. Sie hatte eine kleine Platthaube auf dem Kopfe, wie sie die alten Weiber sonst in die Kirche aufzusetzen pflegten, und eben ein solches schwarzes wollenes Mützchen, das nur bis knapp unter die Ellenbogen ging, und darunter vom Ellenbogen bis an die Hände weiße Stauchen. Sie fragt ihn, warum er so traurig sei? er aber sagt: »Ihr könnt mir doch nicht helfen!« und will weiter. »Du bist der krumme Jakob aus dem Schloß,« sagt sie, »ich kenne dich und deinen Bruder und will dir wohl und kann dir helfen, wenn du mir das Zutrauen schenken willst.« Da ging dem krummen Jakob das Herz auf – denn seit seines Vaters Tod hatte noch kein Mensch freundlich ihm zugeredet – und er klagte, wie sein Bruder ihn so schlecht behandelt, wie er sein Erbe ihm vorenthalten, und ihn, wie einen Bettler, aus seinem väterlichen[287] Schloß hinausgeworfen. Die Alte aber sagte: »Komm mit mir, nach drei Jahren wollen wir wieder zu deinem Bruder gehen, vielleicht reut's ihn bis dahin, und er gibt dir dein Eigenthum.«

Der Jakob ließ sich das gerne gefallen, und sie nahm ihn mit sich in ihr Häuschen und gab ihm auf, ihren Rosmarinstock zu gießen, und ihre Katze zu füttern, und ihr Flachsfeld zu bauen, und im Winter mußte er Pfahlstecken schneiden für die Weinbergsbauern und Schiffsstangen für die Schiffsleute, und im Frühjahr trug er sie an den Main, um sie zu verkaufen. Wenn die rechte Zeit dazu gekommen war, nahm die Frau Hulle ihren Spinnrocken in die Hand, als einen Gehstock, und ihre Kötze (Huckelkorb) auf den Rücken und packte ihr Garn hinein, um es auch zu verkaufen und ging mit, und wenn dem Jakob die Pfahlstecken und Schiffsstangen zu schwer wurden wegen seines lahmen Beines, nahm sie ihm die Last ab und warf sie mit ihren dürren Armen oben auf die Kötze, als wenn's Strohbürden wären. Zwischen Haßloch aber und Faulbach ist hart am Weg ein Stein, dort ruhte sie jedesmal aus, und wo ihre Kötze mit den Füßen aufstand, sind die Löcher davon heute noch zu sehen. So hatte es der Jakob recht gut bei ihr; dabei lehrte sie ihn alle Bauernarbeit, so daß er sich zuletzt besser darauf verstand, als ein geborner Bauer.

Wie aber die drei Jahre um waren, sagte die Alte: »Komm, nun wollen wir zu deinem Bruder gehen!« und nahm ihren Spinnrocken in die Hand und die Kötze auf den Rücken, und der Jakob ging mit. Den Bruder fanden sie im Schloßhof unter der Linde sitzen, – denn es war sehr schwül an dem Tag, und die Linde blühte und gab einen großen Schatten, und die Vögel sangen in ihren Zweigen. Wie sie herankommen, fragt er sie nach ihrem Begehr, und die Frau Hulle nimmt das Wort für den krummen Jakob und sagt, sein Bruder sei da und wolle, was ihm gehöre. Der Schloßherr aber flucht und sagt, wenn sie nicht gleich gingen, wolle er ihr ihren alten wackeligen Kopf herunterreißen und dem Krummen das andere Bein auch noch lahm schlagen. Da wurde die Alte sehr zornig, nahm ihren Spinnrocken und stieß ihn in die Linde, und alsbald, wie dieß geschehen, fliegen die Vögel auf, und der Baum fängt an zu zittern von der Wurzel bis zum Gipfel, und aus dem Stamm und den Aesten und Zweigen läuft der Saft und tropft auf den Boden, und die Blätter werden gelb und fallen ab, und die Frau Hulle sagt: »O du arger Bösewicht, sieh' her! wie dem Lindenbaum, so soll es dir[288] gehen und deinem Hause, – so sollst du verdorren und verschmachten und absterben, und kein Glück mehr haben ewiglich!« Dann ging sie mit dem Jakob von dannen.

Wie sie gesagt hatte, so geschah's. Als der Lindenbaum verdorrt war, da hielt das Schloß nicht mehr. So oft es stürmte, fiel auch ein Thurm, oder eine Mauer ein, und der Regen schwemmte die Steine hinweg, so daß man's nicht mehr aufbauen konnte. Kein Mensch wollte mehr im Schlosse bleiben, und der Schloßherr wohnte im Keller, – dort stand die Geldkiste, und von der wollte er sich nicht trennen, sondern hütete sie Tag und Nacht. Zuletzt, wie nichts mehr vom Schlosse übrig war als der Keller und der verdorrte Lindenbaum, der vor dem Keller stand, kam auf Martini in der Mitternacht ein großer Sturm und warf den Lindenbaum auch um: der fiel gerade vor die Kellerthür und sperrte den Ausgang und der Schloßherr konnte die Thüre nicht mehr aufbringen, wie er sich auch anstemmte und nach Hülfe schrie, und mußte elendiglich auf seiner Geldkiste verhungern.

Die Frau Hulle aber wußte das Alles gar wohl, und den Tag nach seinem Tod kommt sie, hebt den Lindenbaum hinweg, öffnet die Kiste und scheidet das Geld in zwei gleiche Theile; den einen läßt sie liegen, den andern nimmt sie mit, und wie sie aus dem Keller tritt, stürzt der auch zusammen. Daheim gibt sie dem Jakob das Geld und sagt: »So! jetzt hat jedweder das Seine – er und du! – wie's der Vater befohlen hat. Nimm, was dein ist, aber den Edelmann schlag dir aus dem Sinn und werd ein Bauer: so kannst du noch Glück haben. Leb wohl, mich wirst du jetzt nicht mehr sehen.«

Da nahm der Jakob Abschied und baute sich von dem Gelde einen großen Bauernhof auf dem Hundsrück bei Altenbuch, nahm eine Frau und viel Knechte und Mägde und ward ein großer Bauer. Keine Seuche kam in seinen Stall, und keine Raupen auf seine Obstbäume, und kein Hagelschlag über seine Felder. In der Erntezeit, wenn das Gesinde alle Hände voll zu thun hatte, damit das gute Erntewetter nicht verpaßt würde, geschah es oft, daß, wenn sie in der Früh auf's Feld kamen, die Arbeit schon gethan war, daß die Garben alle geschnitten und gebunden und auf Haufen gestellt waren, daß man sie nur hineinzufahren brauchte. Die Leute sahen sich groß darum an, – der Jakob aber wußte wohl, wer's gethan hatte. Wie ihm sein erster Sohn geboren wurde, und er's den Nachbarsleuten anzuzeigen ging, meinte er in seiner Freude, er müsse[289] der Frau Hulle doch auch davon Meldung thun, und machte sich zu ihr auf den Weg, aber wie er auch suchte und sich die Augen rieb, er konnte weder das Häuschen mehr finden, noch das Thal, in dem das Häuschen gestanden, und nachdem er den ganzen Tag vergeblich im Walde herum gelaufen, fand er sich Abends, als man die Lichter anzündete, wieder vor seinem Bauernhof. Endlich ist er im hohen Alter gestorben.

Sein Hof steht noch und der Bauer, der ihn heutzutag im Bestand hat, heißt der Hundsrücks-Philipp.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 286-290.
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