403. Die verzauberte Kanne.

[424] Die vor. Schrift S. 102.


Es war im Winter eines der letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts, als ein Holzhacker in dem sogenannten untern Holze beim Ausgraben des Wurzelstockes einer Eiche, mit der Haue auf einen harten Gegenstand hieb, welcher sich bei näherer Untersuchung als eine große zinnerne Kanne erwies. Sie war ungewöhnlich schwer, und der Finder hocherfreut, denn er meinte, sie müsse voll Gold und Silber sein.

Er machte sobald als nur thunlich Feierabend und verfügte sich mit seinem vermeintlichen Schatze nach Hause. Dort konnte er kaum erwarten bis man Licht herbeibrachte, denn schon war es Nacht geworden und man läutete eben den englischen Gruß. Er versuchte nun den Deckel der Kanne zu öffnen, doch ging dieß nicht so leicht von Statten, denn derselbe war sorgfältig mit Draht umwunden und über demselben befand sich noch ein wunderliches Siegel. Da holte der Holzhacker ein Stemmeisen herbei und bald sprang der Deckel ab. Wer beschreibt aber den Schrecken des guten Mannes, als aus der Kanne dickes Gewölke aufstieg, dieses sich endlich nebelartig zusammenballte und in Form eines menschlichen Wesens an das Tischeck setzte.

Der Holzhacker betete, was ihm nur einfiel; dieß schien jedoch auf das gespenstartige Wesen keinen Eindruck zu machen und vor Entsetzen fast außer sich, eilte der Mann zu einem hiesigen Geistlichen und erzählte diesem die räthselhafte Begebenheit. Der Geistliche nahm zwei geweihte Kerzen und zündete selbe auf dem Tische, wo das Wesen noch immer weilte, an, gürtete die Stola um und las aus dem Benedictionale dreimal die Beschwörung. Das drittemal löste sich die Gestalt wieder in Nebel auf und ging in die Kanne zurück, welche man sogleich wieder verschloß und versiegelte. Andern Tags mußte der Mann sie an demselben Ort, wo er sie gefunden hatte, wieder vergraben, und oft erzählte er noch, daß ihm nie ein Weg so viele Schweißtropfen ausgepreßt, als jener, welchen er mit der Kanne beladen, zum Holze einschlug.

Was es mit der Kanne für eine Bewandtniß hatte, ist nie bekannt worden. Der Holzhacker mußte jedoch so viel Spott und Hohn wegen dieser Geschichte ausstehen, daß er sich am Ende beharrlich weigerte, fernerhin Fragen über das Ereigniß zu beantworten.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 424-425.
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