62. Spucksagen von der Wegscheid bei Reichenhall.

[58] L. Steub a.a.O. S. 173.


Ein Schneiderssohn von Unken ging einmal mit seinem großen Fanghunde bei Mondenschein über die Wegscheid. Da sieht er plötzlich einen schwarzen Mann neben sich, der in gleichem Schritt und Tritt mit ihm geht, aber kein Wort spricht. Der Fanghund voll Schrecken, läuft auf der Stelle davon. Der Schneiderssohn zieht Messer und Gabel aus seiner Hosentasche und bewehrt sich damit, traut sich aber vor Entsetzen nicht, den Schwarzen anzureden. Dieser blieb auf der Säumerbrücke stehen, der Schneidersohn aber kam todtenbleich, Messer und Gabel noch krampfhaft in den Fäusten haltend, in's Wirthshaus zu Schnagelreit, und nahm Nachtherberge daselbst, wollte auch um tausend Gulden nicht mehr weiter gehen. – Etwas anderes Seltsames hat sich vor zehn oder zwölf Jahren mit dem Knecht im Kaitl, Lenzl Niederberger zugetragen. Dieser war nämlich auf Vorspann gewesen, und ritt mit seinen zwei Pferden bei hellem Mittag über den Allerseelenbühel, nahe an der Wegscheid, heimwärts. Da stürzt auf einmal ein langer, dicker Baumstamm, oben und unten abgesägt, aus dem Gebüsch heraus auf die Straße, und schickt sich an, ihm nachzukugeln. Der Niederberger schlug nun kurzen Trab an, aber auch der Baumstamm beeilte sich, und als jener hielt oder langsam ritt, that es ihm auch der Baumstamm nach, also, daß er immer eine Spanne hinter den Pferden daherkollerte. Dieß kam dem Lenzl gar zu absichtlich vor, und da er einen Spuck vermuthete, auch jählings einen Schrecken fühlte, so sprengte er im Galopp den Berg hinab bis in's Kaitl, wobei er den Baumstamm noch lange in wilder Hatz hinter sich dreinjagen hörte. Gleich darauf ging er mit den andern Knechten hinaus, um nachzuspüren, konnte aber von dem Baumstamm nichts mehr sehen.

Auf der Wegscheid thut es auch oft bei Nachtszeit vom Felsen herab grauenvolle Schreie, aber so arg war es seit Menschengedenken nicht, wie im Jahre 1831. Damals hörte man in dieser Gegend ein jämmerliches Winseln und Heulen von den höchsten Wänden herunter, welches gegen vierzehn Tage sich vernehmen ließ und zu keiner Stunde des Tages oder der Nacht verstummte. Endlich hat sich der Brunnenwärter vom Nesselgraben[59] aufgemacht, um in den Bergen oben umzusehen, woher das Winseln käme. Als er auf den höchsten Matten sich befunden, mußt' er wahrnehmen, daß dasselbe nicht aus dieser Gegend, sondern gerade unter ihm aus den Klüften der Wand hervordringe, wo sie am steilsten abschließt, so daß sich keine Gemse da halten kann. Er verwunderte sich höchlich, erachtet es aber zu gefährlich, den Laut weiter zu verfolgen, und begab sich unverrichteter Dinge wieder bergabwärts. Nun kam aber der Kreuzer von Helmbach, ein muthiger Bergsteiger von den besten, der seine Schafe suchte, dieses Weges, und als er von dem Andern den Hergang gehört, bedachte er sich, dem Abenteuer nachzugehen; legte also seine Joppe und seinen Hut ab, kletterte mit äußerster Gefahr seines Lebens, was keiner glauben möchte der die Wand betrachtet, durch die Schrunden auf den Ort zu, woher das Winseln kam, und sah da ein uraltes zusammengehocktes Weiblein in einer Felsenspalte sitzen, so zu winseln fortfuhr und auf seine Fragen, wie sie um Gotteswillen an diesen Ort gekommen, keinerlei Antwort gab, vielmehr mit den dürren Händen ihm geradenwegs in's Gesicht fahren wollte. Hierauf hat sie der Kreuzer ohne Umstände herausgerissen und mit sich zu gehen gezwungen, was sie gleichwohl ganz sichern Trittes that. So kam er mit ihr wieder auf die Matte, wo er seine Joppe und seinen Hut niedergelegt, und bückte sich nach diesen und zog sie wieder an. Als er sich nun aber nach dem Weiblein umdrehte, war dasselbe verschwunden, und konnte von ihm trotz alles Suchens da herum nicht mehr gefunden werden. Jetzt kam aber auch das ganze Ding dem Kreuzer nicht mehr geheuer vor, vielmehr erfaßte ihn ein jähes Grauen, also daß er mühselig nach Hause kam und eine Woche krank lag vom Schrecken. Selbigen Tages ist das Weiblein noch bei dem Bauern am See gesehen worden, wo sie sich auf die Bank vor die Hausthüre setzte. Die Bäuerin gab ihr einen Krapfen, erhielt aber keinen Dank dafür und auch keine Antwort auf die Fragen, die sie ihr stellte. Gleich darauf saß sie unten am Kaitl auf der Sommerbank, erhielt eine Nudel, gab aber auch kein Wort von sich, sondern nur ein leises, unverständliches Flüstern. Das Winseln wurde von diesem Tage an nicht mehr gehört, das Weiblein aber auch in der ganzen Gegend nicht mehr erkundet. Es wird aber dieses Weiblein von denen, die es gesehen, übereinstimmend als ein kleines Mütterlein beschrieben, von uraltem Gesichtchen mit vielen hundert Fältchen darin, übrigens im Anzuge recht reinlich und sauber, aber ganz altmodisch. Sie hatte auf dem Kopf ein schwarzes Häubchen mit schmalem schwarzem Pelzbräm, das fast bis auf die Augen hereinging;[60] ein rothes Corsett von älterem Schnitte, als man sich erinnern kann, mit ganz langen Schößen auf dem Rücken, ein blaues Schürzchen und schwarzes Röcklein.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 58-61.
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